EU-Sozialkommissar Andor kritisiert Merkel: „Wir wollen keine Gleichmacherei bei Urlaub und Rentenalter“. EU-Kommission: Deutsche arbeiten deutlich länger als im Tarifvertrag vereinbart.
Nach Angaben der Brüsseler EU-Kommission arbeiten die Deutschen deutlich länger als in den Tarifverträgen vereinbart. Der zuständige EU-Sozialkommissar Laszlo Andor sagte der Tageszeitung „Die Welt“ (Montagausgabe): „In keinem Land der Euro-Zone gibt es einen so großen Unterschied zwischen der tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit und der tatsächlichen Wochenarbeitszeit wie in Deutschland. Die tarifvertraglich festgelegte Wochenarbeitszeit liegt in Deutschland bei 37,7 Stunden, tatsächlich arbeiten die Beschäftigten aber 40,4 Stunden in der Woche. Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein, ob eine solche Entwicklung vorbildlich ist.“ Jedes Land habe aber bei der Arbeitszeit seine Eigenheiten. „Wichtig ist am Ende, dass jedes Land wettbewerbsfähig ist. Dazu gehören aber viele Faktoren, die Arbeitszeit ist nur eine davon“, betonte der EU-Kommissar aus Ungarn.
Andor wandte sich auch gegen Forderungen von Kanzlerin Angela Merkel nach einer stärkeren Angleichung des Rentenalters in Europa. „Wir wollen bei Arbeitszeiten, Urlaub und Rentenalter keine Gleichmacherei in Europa.“ Dies könne nicht der Zweck der geplanten engeren wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit zwischen den europäischen Volkswirtschaften sein. Andor: „Bei der Festsetzung des Rentenalters in einem Land sind beispielsweise das Verhältnis zwischen alten und jungen Menschen, die Lebenserwartung, die Produktivität und das durchschnittliche Berufseintrittsalter von großer Bedeutung. Das ist in jedem Land unterschiedlich, darum ist auch das Renteneintrittsalter unterschiedlich.“
Hintergrund: Merkel hatte Mitte Mai bei einem Auftritt in Meschede/Sauerland gesagt: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig.“ Griechenland und Portugal müssen derzeit mit milliardenschweren Kredithilfen der Euro-Länder vor der Pleite bewahrt werden. Im Gegenzug haben beide Länder neben einem harten Sparkurs auch Änderungen in der Wirtschaftspolitik zugesagt.
Der EU-Kommissar verwies darauf, dass die Deutschen im Durchschnitt weniger arbeiteten als viele Arbeitnehmer im europäischen Ausland: „Studien zeigen, dass die tarifvertraglich vereinbarte Arbeitszeit in Deutschland deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 1750 Stunden pro Jahr liegt. Griechen und Portugiesen hingegen arbeiten laut Tarifvertrag mehr als der EU-Durchschnitt.“