Der Ölpreis konnte in der vergangenen Woche um knapp10% steigen. Die Auflösung der spekulativen Übertreibung am Ölmarkt ist damitin die zweite Phase eingetreten. Wir gehen davon aus, dass der Ölpreis in denkommenden Wochen zwischen 110 und 130 USD je Barrel schwanken wird, bevor er dannauf ein fundamental gerechtfertigtes Niveau zurückfällt, welches wir zwischen 80und 100 USD sehen. Längerfristig gehen wir aufgrund steigender Förderkosten undeines weiterhin hohen Nachholbedarfes in den Schwellenländern von wiedersteigenden Ölpreisen aus.
Derrasante Anstieg des Ölpreises um rund 50 USD seit Anfang des Jahres ging ausunserer Sicht in erster Linie auf das Konto von Finanzinvestoren. Diese habenRohstoffe und insbesondere Rohöl vermehrt als eigenständige Anlageklasseentdeckt, um ihr Portfolio zu diversifizieren, weil sich Rohstoffpreise in langfristigerPerspektive weitestgehend unabhängig von den Aktien- und Rentenmärktenentwickeln. Rohstoffe eignen sich außerdem, um sich gegen zunehmendegeopolitische Risiken und einen schwächeren US-Dollar abzusichern und zugleichvom kräftigen Wachstum in den Schwellenländern zu profitieren. Die Bedeutungder Finanzinvestoren hat in den vergangenen Monaten am Ölmarkt deutlichzugenommen Dies zeigt sich auch darin, dass das tägliche Handelsvolumen füramerikanisches Leichtöl das tatsächliche Produktionsvolumen von 300 Tsd. Barrelpro Tag mittlerweile um das 2000-fache übersteigt und dass sich die Zahl deroffenen Positionen an der New Yorker Warenterminbörse NYMEX innerhalb von zweiJahren auf knapp 3 Millionen Kontrakte nahezu verdoppelt hat. Die Finanzanlegerallein können zwar keinen langfristigen Trend auslösen, dennoch verstärken undbeschleunigen ihre Handlungen die vorhandenen Tendenzen immens.
Diemassiven Zuflüsse durch die Finanzanleger dürften letztlich dazu geführt haben,dass sich der Ölpreisanstieg im ersten Halbjahr 2008 exponenziell beschleunigteund zuletzt immer mehr Ähnlichkeiten mit dem Verlauf desTechnologie-Aktienindex Nasdaq im Jahre 2000 aufwies. Dass derPreistrend dann doch drehte, kann auf die merkliche Produktionsausweitung derOPEC und die immer deutlicher zutage tretende Nachfrageabschwächung in denIndustrieländern zurückgeführt werden. Hinzu kam ein Stimmungswechsel bezüglichder künftigen Entwicklung der anderen Anlageklassen und im Zuge dessen zu einermassiven Umschichtung der Finanzanleger heraus den Rohstoff-Investments zurückin Aktien, Renten und den US-Dollar. Dass der Finanzindex des S&P 500 kurznach dem Ölpreishoch den Tiefpunkt erreichte und danach innerhalb von einerWoche um 30% steigen konnte, deutet auf die Liquidation von beliebten „Long-Öl/Short-Finanzaktien"-Tradeshin. Derartige Handels-Strategien erfreuten sich seit dem Ausbruchder Finanzkrise vor einem Jahr großer Beliebtheit und trugen zum vorherigenHöhenflug des Ölpreises bei.
Marktteilnehmer derzeit überwiegend skeptisch zum Ölpreis gestimmt |
DieStimmung der Marktteilnehmer hat in den letzten Wochen dramatisch gedreht undanstelle einer optimistischen Haltung trat nun eine starke Skepsis gegenüberdem Ölpreis. Selbst eindeutig preistreibende Nachrichten wie der Anfang Augusteskalierte Konflikt zwischen Georgien und Russland sowie der wochenlangeAusfall der weltweit zweitgrößten Ölpipeline Baku-Tbilisi-Ceyhan fandenplötzlich kein Gehör mehr und konnten den Ölpreisverfall nicht stoppen, auchwenn es dadurch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Rohöllieferungen ausdem Kaspischen Meer kam. Tropenstürme in der Karibik hatten erst dannsichtbaren Markteinfluss, als sie abgeklungen waren, ohne eine nennenswerteBeeinträchtigung der Ölförderung im Golf von Mexiko verursacht zu haben. DieNetto-Short-Positionierung der spekulativen Marktteilnehmer an der NYMEX, d.h.der Überhang von Leerverkäufen, erreichte Mitte August den höchsten Stand seitFebruar 2007, als der Ölmarkt gerade eine mehrmonatige Talfahrt hinter sichhatte, in welcher der Ölpreis 35% an Wert verlor. Derzeit übersteigt die Zahlder Put-Optionen auf WTI-Rohöl zwischen Oktober 2008 und Januar 2009 mit den Basispreisenzwischen 110 und 115 USD die Anzahl der jeweiligen Calls um das 2,5-fache. Allein für Dezember 2008 stehen derzeit rund 45 Tsd. Puts a 1.000Barrel WTI-Rohöl mit dem Basispreis von 100 USD und 37 Tsd. Puts mit dem Basispreisvon 110 USD an der NYMEX aus.
Eine technische Zwischenerholung ist wahrscheinlich |
Alldies deutet auf eine extrem pessimistische Marktstimmung hin, welche zunächstabgebaut werden muss. In Anbetracht dessen ist eine Zwischenerholung nichtüberraschend, zumal der Markt stark überverkauft gewesen ist und bei 110-111USD eine wichtige psychologische Unterstützung und die 200-Tagelinie verlaufen.Die Zwischenerholung kann durchaus bis auf 130 USD führen, zumal diegeopolitische Lage sich weiter anspannt, die Hurrikan-Saison noch nicht dieSpitze erreicht hat und auch der Aktienmarkt weiter angeschlagen bleibt.
Der mittelfristige Trend bei Rohöl ist dagegen abwärtsgerichtet |
Beiall dem darf aber das große Bild nicht außer Acht gelassen werden, wobei wirmittelfristig von einem weiteren Rückgang der Ölpreise ausgehen. Eine wichtigeRolle wird die weitere Entwicklung der Nachfrage in China spielen, welche langeZeit die Triebfeder für die Hausse an den Rohstoffmärkten war. Dabei könnte esin den kommenden Monaten zu negativen Überraschungen kommen. Die im erstenHalbjahr robuste Nachfrage war unseres Erachtens vor allem zwei Faktoren zuverdanken, welche nicht mehr bzw. nur noch eingeschränkt gelten. Einerseitswurden die Lagerbestände vor den Olympischen Spielen aufgestockt. Dazu wurdeder inländische Kraftstoffverbrauch durch künstlich niedrig gehaltene Preisesubventioniert.
Die chinesische Nachfrage dürfte negativ überraschen |
ImZuge dessen stiegen die Rohölimporte deutlich an und China wurde in denvergangenen drei Monaten sogar erstmals zum Netto-Importeur von Benzin. Auchwenn der implizite Ölverbrauch in China im Juli aufgrund der höheren Importeund einer höheren Raffinerieauslastung um 9,5% stieg bzw. den stärksten Anstiegseit zwei Jahren verzeichnet hat, liegt letzteres hauptsächlich daran, dass dieKraftstoffpreise Anfang Juli um rund 20% erhöht wurden. Weitere Preiserhöhungendürften nach dem Ende der Olympischen Spiele folgen, was den Zuwachs derÖlnachfrage in China deutlich dämpfen sollte. Es ist auch davon auszugehen,dass die Lagerbestände noch ausreichend hoch sind, wobei die Importe von Rohölund Ölprodukten in der kommenden Zeit sinken werden. Einen ersten Hinweishierfür lieferten bereits die im Juli um 7% gesunkenen Rohölimporte. Einegeringere Nachfrage in China dürfte unter dem Strich dafür sorgen, dass sichdas Sentiment beim Ölpreis dramatisch eintrübt.
Auchdürfte ein schwächeres Nachfragewachstum in China weitere Abwärtsrevisionen derWeltnachfrage zur Folge haben. Derzeit geht die IEA davon aus, dass die globaleÖlnachfrage in diesem Jahr um 800 Tsd. Barrel pro Tag zunimmt, wobei der Zuwachsin Chinas allein 500 Tsd. Barrel pro Tag betragen sollte. Anfang des Jahreshatte man noch einen Anstieg um insgesamt 2 Mio. Barrel pro Tag prognostiziert.Für diese Abwärtsrevision zeichnen vor allem die OECD-Länder verantwortlich,deren Ölverbrauch in diesem Jahr um 600 Tsd. Barrel pro Tag fallen soll.
OECD-Nachfrage nach Rohöl bleibt sehr schwach |
Noch immer stellen dieOECD-Staaten rund 60% der weltweiten Ölnachfrage, wobei dieser Anteil ständigzu Gunsten der Schwellenländer zurückgeht. Besonders ausgeprägt ist dieNachfrageschwäche in den USA. So haben die US-Amerikaner laut US-Verkehrsministeriumim 1. Halbjahr 2008 mit dem Auto fast 70 Mrd. Kilometer weniger zurückgelegtals noch im Vorjahr, was einer Entfernung von rund 100.000 Mal zum Mond undzurück entspricht. Das US-Energieministerium berichtete MitteAugust, dass der durchschnittliche Ölverbrauch im selben Zeitraum um insgesamtum 800.000 Barrel pro Tag bzw. fast 4% gegenüber dem Vorjahr zurückging. Auchin Europa bleibt die Nachfrage äußerst schwach. Die spürbare Abschwächung derNachfrage in den OECD-Ländern geht einher mit einem deutlich gestiegenenAngebot durch die OPEC. Jüngsten Erhebungen von Petroligistics zufolge konntedie OPEC ihren Output im August um 450.000 Barrel auf knapp 33 Mio. Barrel proTag steigern. Damit übertrifft die OPEC die eigenen Zielvorgaben derzeit um rundeine Mio. Barrel pro Tag. Diese Entwicklung dürfte zu einem weiteren Aufbau derüberirdischen Lagerbestände weltweit beitragen.
Steigende Lagerbestände könnten für die OPEC-Entscheidung wichtig sein |
Die Rohöllagerbeständein den USA sind in den vergangenen Wochen bereits deutlich gestiegen und liegennur noch knapp unter dem 5-Jahresdurchschnitt. Anfang Juli betrug dieAbweichung noch 8%. Mit dem Ende der Sommer-Fahrsaison Anfang September und demNäherrücken der Heizsaison dürfte sich der Fokus stärker auf dieDestillate-Vorräte richten, wozu neben Diesel auch Heizöl zählt. Diese sind fürdie Jahreszeit gut gefüllt und liegen im Gegensatz zu den zuletzt deutlichzurückgegangenen Benzinlagerbeständen am oberen Ende des 5-Jahreskorridors. Selbstwenn für den jüngsten Anstieg des OPEC-Angebots möglicherweise nurvorübergehende Faktoren wie zuvor zurückgehaltene Lieferungen aus dem Iran verantwortlichzeichnen, könnten Rufe nach einer Kürzung der Förderquoten beim nächstenOPEC-Treffen am 9. September, welche bislang vor allem von den Falken(Venezuela, Iran, Libyen) zu hören waren, in Anbetracht steigenderLagerbestände auch bei anderen Kartellmitgliedern auf offene Ohren stoßen. EineKürzung der Fördermenge würde den kurzfristigen Preisanstieg in Richtung 130USD weiter unterstützen.
Kurzfristige Risiken sprechen für einen spürbaren Anstieg |
Weiterer Rückenwindfür einen kurzfristigen Ölpreisanstieg könnte durch die bis in den Novemberandauernde Hurrikansaison in den USA kommen. Die Wetterbehörden in den USAgehen davon aus, dass die Hurrikanaktivität in diesem Jahr stärker ausfallenwird als durchschnittlich üblich. Dazu kann es jederzeit zu einer erneutenEskalation des Konfliktes zwischen Russland und der NATO und des Streits um dasiranische Atomprogramm kommen. Selbst wenn der Ölpreis daraufhin steigensollte, ist die seit Mitte Juli laufende Korrekturphase damit noch nichtabgeschlossen. Weil die vorherige Übertreibung besonders ausgeprägt war, dürftedie Korrektur dieses Mal heftiger ausfallen und mit 6-12 Monaten auch relativlange anhalten. Von daher könnte der Ölpreis das fundamental gerechtfertigteNiveau, welches wir zwischen 80 und 100 USD je Barrel sehen, kurzzeitig durchausauch unterschießen.
Langfristig sollte der Ölpreis steigen begünstigt durch hohe Kosten und starke Nachfrage aus Schwellenländern |
Diezuletzt stark gestiegenen Produktions- und Transportkosten sprechen allerdings dafür,dass das langfristige Preisniveau deutlich höher liegt als vor einigen Jahren. Esist auch nicht das erste Mal, dass der Ölpreis innerhalb kurzer Zeit über 20%an Wert verliert. Bereits in den Jahren 2003 und 2006 kam es zu ähnlichscharfen Preisrückgängen. Diese erwiesen sich aber als nur mittelfristigeKorrekturen. Unsere grundsätzlich positive langfristige Haltung hat sich deshalbnicht geändert. Der Aufholprozess in den Schwellenländern ist noch lange nichtabgeschlossen. So liegt der tägliche Rohölverbrauch pro Kopf in China beiweniger als 1 Liter, während in den USA durchschnittlich rund 11 Liter Rohölpro Kopf verbraucht werden. Wir gehen deshalb nach wie vor davon aus, dass dieÖlnachfrage in den Schwellenländern weiter massiv zunehmen und einen Ölpreisanstiegauf lange Sicht unterstützen wird.