Pjotr Gontscharow, Kommentator und Analyst vom russischen Nachrichten-Portal RIA Novosti:
Schon seit langem wird in denMedien gemunkelt, dass der Atomstreit mit Iran zu einer Wechselmünze inden Beziehungen zwischen Moskau und Washington werden könnte.
Die USA würden demnach das Schicksal Georgiens den Russen überlassen,die Russen hingegen opfern Iran. Georgiens Abenteuer in Südossetiensollte eigentlich diese Pläne zunichte machen. Doch alles kam anders:die Mutmaßungen mehrten sich, dass dieser Austausch baldRealität werden könnte, aber inwiefern solche Vermutungen begründet ist,vermag keiner zu behaupten!
Tonangebend war dabei US-Außenministerin Condoleezza Rice. AlleFernsehbilder zeigten deutlich, wie schwer es für sie war, nach derBeendigung der russischen Operation zur „Zwangsbefriedung“, die Fassungzu behalten, was für die „eiserne Condy“ überhaupt nicht üblich war. Aneiner Krawatte wie Saakaschwili zu kauen - so weit kam es nicht, dochdie überhöhte Reizbarkeit ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber.
Wie wir alle wissen, versprach Washington, seine Position in allenAspekten des Zusammenwirkens mit Moskau zu revidieren. RusslandsUN-Botschafter Vitali Tschurkin antwortete darauf im Gespräch mit einemUS-Fernsehsender sehr nüchtern, Moskau könnte Washington ohne seineHilfe mit einigen Problemen alleine lassen, zum Beispiel dem Streit umdas iranische Atomprogramm.
Solch ein diplomatischer Austausch von Komplimenten fand tatsächlichvor dem Hintergrund der zunehmenden Aktivitäten der US-Kriegsflotte undderen NATO-Verbündeten in Bezug auf den Atomstreit mit Iran statt. NachAngaben der ägyptischen Tageszeitung „The Middle East Times“ istbereits ein britisch-amerikanisch-französischer Flottenverband inRichtung Persischer Golf unterwegs, nachdem sie während einer Übung imAtlantischen Ozean die Blockade der iranischen Küste trainiert hatte.
An der Spitze der ersten Stoßgruppe steht der US-Flugzeugträger„Theodore Roosevelt“ mit 80 Kampfjets an Bord, der zweiten Stoßgruppedie USS „Ronald Reagan“, der dritten die USS „Iwo Jima“. Im Endergebniswerden sich vor der Küste Irans mehr als 40 Kriegsschiffe versammeln,darunter auch Flugzeugträger, Kreuzer und U-Boote sowie einige U-Bootemit Atomwaffen.
Die Lage kann man kaum als gewöhnlich bezeichnet werden, obgleich dieUSA sich regelmäßig damit beschäftigen, ein Übermaß anMarinegruppierungen im Persischen Golf zu bilden. Nach Angaben der„Middle East Times“ habe man in Kuwait beispielsweise bereits einProgramm für den Fall eines Kriegs eingeleitet.
Die Experten befassen sich überwiegend mit zwei Versionen. Eine Versionlautet, die USA bereiten einerseits ernsthaft eine Blockade der KüsteIrans mit dem Ziel vor, den Persischen Golf zu sperren, durch den derIran bis zu 40 Prozent seines importierten Brennstoffs bezieht.Zugleich wollen die Amerikaner der iranischen Kriegsmarine nichtgestatten, die Straße von Ormuz durch das Versenken von mehrerenÖltankern zu „versiegeln“. Die zweite Version geht davon aus, dass diePräsenz einer mächtigen Flottenstreitmacht am Persischen Golf alsUnterstützung bei eventuellen Angriffen der israelischen Luftwaffe aufiranische Atomanlagen gedacht werden könnte.
Die erste Version ist viel plausibler. Zugunsten dieser Version sprichtauch die Tatsache, dass vor kurzem das US-Finanzministerium Sanktionengegen fünf iranischen Firmen verhängt hat, die verdächtigt werden, mitder Entwicklung iranischer Atomwaffen zu tun zu haben. Die US-Kontendieser Firmen wurden eingefroren, allen amerikanischen Firmen ist esvon nun an verboten, mit ihnen jegliche Geschäfte zu tätigen.
Europa steht ebenfalls nicht im Abseits. Die EU hat bereits einseitigzusätzliche Sanktionen (zu den schon vom UN-Sicherheitsrat verhängten)gegen Irans Atomprogramm eingeführt und die Kreditvergabe drastischeingeschränkt mit dem Ziel, den Handel mit dem Iran zu begrenzen.Außerdem wurde beschlossen, alle See- und Lufttransporte zwischen denEU-Ländern und dem Iran verstärkt zu kontrollieren.
All diese Tatsachen deuten auf eine strikte Wirtschaftsblockade Iranshin. Nach Ansicht der meisten Experten - zieht man den heutigen Zustandder iranischen Wirtschaft in Betracht - könnte der Mullah-Staat dieBlockade nur kurze Zeit durchstehen und früher oder später die Waffenstrecken müssen.
Was die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf iranische Atomanlagenbetrifft, so scheint es, dass diese Idee etwas verfrüht ist. Israelselbst ist zum Krieg mit Iran nicht vorbereitet und immer noch nicht inder Lage, mögliche Vergeltungsschläge Irans abzuwehren. Die modernstenFlugabwehrsysteme, die die Amerikaner den Israelis versprochen hatten,werden frühestens 2009 ihren Dienst aufnehmen können. Gleichzeitigweigern sich die USA den Israelis Präzisionswaffen, die auch alsAngriffswaffen benutzt werden können, zu liefern, weil Washingtoneigentlich keine Lust auf den israelisch-iranischen Krieg hat.
Eine Wirtschaftsblockade Irans schließt aber Antwortmaßnahmen seitensdes Mullah-Staats nicht aus, so dass es doch zu einem großen Kriegkommen könnte. Im Falle eines solchen Kriegs müssten die USA sehrgroßes Geschütz auffahren - die Flugzeuge auf einem Flugzeugträgerwerden hier nicht ausreichen. Nicht zufällig hat vor kurzemUS-Außenministerin Rice den Nato-Stützpunkt bei Incirlik in der Türkeibesucht, der eine wichtige Rolle für die US-Luftwaffe spielt, die imIrak und in Afghanistan eingesetzt wird.
Teheran hat einstweilen auf diese Spekulationen noch nicht reagiert undden Bau eines angeblich neuen U-Boots, eines neuen für Radareunsichtbaren Kriegsschiffs sowie die Inbetriebnahme eines modernenFlugzeugs, das in der Lage sein soll, ohne Nachtanken eine Strecke vonmehr als 3000 Kilometer zurückzulegen, verkündet. Zudem bejubelteTeheran den Start eines neuen Satelliten (oder vielleicht einfach einerAttrappe) und bekräftigte, dass Aggressoren die Region nicht lebendigverlassen würden.
Das bedeutet, dass weder die USA noch Israel den Iran in der nächstenZukunft bombardieren werden. Doch das bedeutet bei weitem nicht, dasseine Seeblockade Irans in Moskau stillschweigend akzeptiert werdenwürde.