Der in der Geschäftswelt für Joint-Venture gebräuchliche Merksatz „If you cant beat him join him“ könnte sich umdrehen in „if you can´t join him beat him!“, was für die Weltbörsen gefährlich wäre. Europa und Russland streben schon seit einigen Jahren eine strategische Partnerschaft, insbesondere eine strategische Energiepartnerschaft an, die auch in der EU-Energie-Charta zum Ausdruck kommen soll.
Russland strebt seinerseits auch schon lange die Mitgliedschaft in der WTO an, die aber von den USA offensichtlich nicht gewollt ist. Was wir in den letzten Wochen seit dem Goergien-Krieg aber erleben, ist eine Zunahme der politischen Spannungen, der gegenseitigen Provokationen und Drohungen, die sogar in einen „kalten Krieg“, in einer neuen Eskalationsstufe münden können.
So droht die EU, allen voran Frankreich/Polen, mit EU-Sanktionen, falls Russland nicht den beschlossen 6 Punkte Plan mit dem vollständigen Truppenabzug und vor allem die territoriale Integrität Georgiens einhalte. Georgien fordert von der EU nun auch ausdrücklich wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland.
Mit der völkerrechtlichen Annerkennung von Südossetien und Abchasien schafft Russland in der Tat „unbequeme“ Fakten, die sogar zu einem Sprengstoff in den Beziehungen zur EU, USA und NATO werden könnten.
Die geplanten gemeinsamen Manöver der NATO mit russsicherer Beteiligung wurden bereits abgesagt und das politische Klima ist sehr frostig. Russland könnte als Retourkutsche mit einem Energiestopp bzw. Ölblockade antworten, falls die EU tatsächlich wirtschaftliche Sanktionen aussprechen sollte.
Dann wäre in der Tat eine Eskalationsstufe erreicht, die die Moskauer Börse – und möglicherweise auch andere Weltbörsen – zum Einbrechen (bzw. Fortsetzung des Bärmarktes) bringen könnte. Die baltischen Staaten sehen sich von Russland bedroht und fordern von Angela Merkel einen noch schärferen Umgang mit Russland. Ebenso fordert Polen eine deutlichere Sprache im Umgang mit Russland, was auch immer das heißen soll.
Dass in diesem Umfeld auch keine Aktienkurse gedeihen können, versteht sich von selbst. Am 1. September wird der schon mit Spannung erwartete EU-Kaukasus-Gipfel stattfinden, wo es zu einem EU-Beschluss gegen Russland kommen könnte, wobei die humanitäre Hilfe für Georgien im Vordergrund stehen sollte. Medwedew kündigt seinerseits Gesprächsbereitschaft mit Brüssel an. Die Investoren sehen dem ganzen Treiben recht hilflos mit großer Betroffenheit zu.
Anhänger von Verschwörungstheorien sind sogar der Auffassung, dass der Konflikt von amerikanischen Geheimdiensten ganz bewusst geschürt wird, um dem Jagdbombenflieger und Vietnamveteran McCain eine bessere Ausgangsituation im bevorstehenden US-Wahlkampf mit Obama zu verschaffen.
Sollte etwa erst Russland und dann Iran noch (auch Veranlassung von Bush) zum US-Wahlkampfthema werden? Wir werden sehen. McCain wird in der Wortwahl und Strategie nicht anders verfahren als Bush und der sagte sinngemäß einmal nach dem 11. September 2001 und vor dem Irakkrieg: „Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind!“
In den letzten Wochen wurden erhebliche Gelder aus Russland abgezogen, was auch die Währung schwächte und die immer noch stattlich vorhanden Währungsreserven von weit über 500 Mrd. USD nur unmerklich verminderten. Der russische Aktienmarkt verlor seit dem Mai-Hoch über 40% an Wert, was schon einem Mini-Crash gleichkommt und den starken Vertrauensverlust dokumentiert. Das Kapital wird aber genauso schnell wieder zurückfließen, wenn sich die Situation entspannen sollte, was ich aber erst gegen Jahresende erwarte.
Im Moment ist Russland einmal wieder in der Weltbörsenöffentlichkeit der „böse Bube“ und der Agressor. Dabei fällt die einseitige Sichtweise in den westlichen Medien auf. Russische Journalisten kommen kaum zu Wort (auch nicht in den TV-Medien wie BBC und CNN). Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder wird bei seiner Anmerkung, dass der erste Aggressor wohl Georgien und nicht Russland gewesen sei, gleich in die Korruptionsecke Russlands gesteckt und politisch auch aus eigenen Kreisen angefeindet.
Angela Merkel geht auf Schmusekurs mit Bush - auch in der Iran-Frage. Wann wird Angela Merkel deutliche Worte finden, dass die USA aus dem Irak verschwinden und dort seit Jahren das Völkerrecht verletzten, denn mit welcher Berechtigung hält die USA den Irak „besetzt“. Auch dort gibt es ebenso wie in Georgien immer noch „Friedenstruppen!“, die angeblich den demokratischen Aufbau des Landes sichern.
Immerhin produziert der Irak wieder fast soviel Öl wie zuvor, nur wer verdient daran und wem kommt es zugute? Und warum schlägt Angela Mrekel nicht ein Referendum unter UN- oder OSZE-Aufsicht in Südossetien und Abchasien vor, um hernach über die völkerrechtliche Anerkennung ähnlich wie bei Kosovo zu entscheiden?
Aber das wäre wohl ein zu großer Affront gegen Bush und das wäre wiederum „unakzeptabel“. Gefragt ist jetzt Politik mit Augenmaß und Verstand, zumal die Weltbörsen auch charttechnisch auf der Kippe stehen.Für Anleger erhöhen sich in jedem Fall im Moment die politischen Risiken, wobei der Schritt zu einem „Kalten Krieg“ nicht mehr weit ist. Dies wäre dann auch ein erheblicher Rückschlag für die zunehmend besseren werdenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und Russland.
Bei der gerade laufenden (für meinen Geschmack etwas zu protzig-pompösen) Moskauer Automobilshow berichtete auch der VDA-Chef Mathias Wissmann voller Begeisterung von den großen Absatzchancen der deutschen Automobilindustrie in Russland (mit Umsatzsteigerungen von 50% in jedem Jahr). Auch das geplante nordeuropäische Pipeline-Projekt ist nicht ganz bedeutungslos.
Ohnedies sollte man nicht vergessen, dass Deutschland schon längst in einer Rezession wäre, wenn es nicht den osteuropäischen Exportmarkt mit den höchsten Zuwächsen in den letzten Jahren hätte. Auch der Außenhandelsumsatz mit Russland stieg jedes Jahr im Durchschnitt um 20-30%. Russland ist für die deutsche Export-Wirtschaft weit wichtiger als die USA. Umgekehrt könnte Russland in Zukunft mehr denn je „genötigt“ sein, seine Beziehungen nach Asien (China/Indien) zu intensivieren und Europa zu vernachlässigen.
Auch das sollte (und wird) Angela Merkel bei dem nächsten EU-Kaukasusgipfel am 1. September mitberücksichtigen. Die jetzt in den „kontroversen, aber hoffentlich konstruktiv geführten Dialog“ kommenden Politiker sollten sich dem Gewicht der wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Worte und Beschlüsse bewusst sein. Zudem hat Russland schon Unterstützung von China bzw. der Shangahai Cooperation Organisation (SCO) bekommen.
Die SCO wurde von China und Russland im Jahr 2001 gegründet und ihr gehören nun die Volksrepublik China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an. Es wird nach dem 7. SCO-Gipfel in Bischkek (Kirgisistan) am 16. August 2007 mit der Aufnahme weiterer asiatischer Staaten in die Organisation gerechnet.
Derzeit vertritt die SCO bzw. SOZ schon jetzt rund ein Viertel der Weltbevölkerung (!) und stellt damit die größte Regionalorganisation der Welt dar. Die SCO hat nun am 28. August offiziell das Vorgehen der russischen Friedentruppen als legitim und das Vorgehen des georgischen Präsidenten Saakashwili als „unakzeptabel“ bezeichnet, während die USA und die EU-Länder das Vorgehen der Russen in Georgien als „unakzeptabel“ bezeichnet haben.
Vielleicht wird dieses Jahr das Wort „unakzeptabel“ das Unwort des Jahres, da es mehr Unfrieden als Frieden schafft. In jedem Fall verlagert sich damit der Georgien-Konflikt auf eine andere Ebene und es könnte nun auch ein USA/China-Konflikt daraus werden. Durch die Unterstützung der SCO wird es der EU noch schwerer fallen, Russland einseitig für das Verhalten in Georgien zu betrafen.
In jedem Fall ist Russland auch im Falle von EU-Wirtschaftssanktionen nicht isoliert, sondern mit der SCO im Bunde. Zudem agiert Russland aus der Position der wirtschaftlichen und finanziellen Stärke und die EU/USA aus der Position der wirtschaftlichen und finanziellen Schwäche. Der Fall Kosovo ist zwar etwas anders gelagert, aber aus russischer Sicht in der Konsequenz mit der völkerrechtlichen Anerkennung der Unabhängigkeit ähnlich.
Wir wollen gar nicht davon sprechen, ob in den letzten Jahren seit dem „unakzeptablen“ Krieg der USA gegen den Irak jemals die territoriale Integrität des Landes Irak beachtet oder gar von der EU angemahnt wurde. Ich persönlich verabscheue jede Art von Krieg aus welcher Legitimation auch immer heraus. Aus der Sicht der USA ist die de facto mehrjährige Besatzung des Iraks ein Verteidigungskrieg mit dauerhaften „Friedenstruppen“ im Irak.
Übrigens destabilisiert sich die Situation in Pakistan zunehmend, was dort auch wieder die Börse zum Einbruch brachte. Wann werden wohl endlich UN-Friedenstruppen unter der Leitung der USA und Großbritannien dort „Frieden“ schaffen. Die Zahl der durch Bombenanschläge getöteten Zivilisten ist übrigens im Irak jetzt schon höher als während des Irak-Krieges durch das Militär und die Kosten wachsen (im US-Haushalt) ständig.
Wie gut, dass das ein Non-event für die Börse ist. Irak produziert jetzt wieder 2,3 Mio. Barrel Öl am Tag, was mittelfristig zu fallenden Ölpreisen sorgen wird, wenn zwischenzeitlich nicht Russland der EU oder erst einmal Ukraine/Polen/Tschechien den Öl- oder Gashahn abdreht. Zumindest muss die Ukraine im nächsten Jahr eine starke Gaspreiserhöhung durch Gazprom erst einmal verkraften.
Die Kurse an der Börse Kiew haben sich bereits aus ganz anderen Gründen seit Jahresbeginn halbiert.
EU-Sanktionen gegen Russland könnten aufgrund der Energieabhängigkeit schnell zum Eigentor bzw. Bumerang werden. Die Anleger sollten sich auf weitere Hiobsbotschaften im politischen Dialog bzw. auch einen vorübergehenden Konfrontationskurs einstellen und sich auch bewusst sein, dass die US-Finanzkrise keineswegs abgehakt ist, sondern noch zunehmen kann.
Welche Richtungdie Börse nimmt und wie Sie dann verhalten sollen, können Sie der täglich aktualisierten„Ostbörsen-Hotline 09001-8614001 (1,86 €/Min) entnehmen. Meine wöchentlichenKolumnen und Analysen können Sie ab sofort unter www.andreas-maennicke.de kostenlosabrufen, wenn Sie sich dort registrieren.
Hinweise: Am 12. November findet dasnächste ESI-Ostbörsen-Seminar „Go East!“ um 18.00 Uhr in Frankfurt/M (gleich nachdem EK-Forum) statt. Dort werden neben den Chancen an den etablierten Ostbörsenauch die neuen Chancen an den Börsen in Südosteuropa, Zentralasien und denGUS-Republiken ausgelotet. Referent ist neben Andreas Männicke derOstbörsenexperte Stefan Laxhuber. Bitte melden Sie sich rechtzeitig an unterESI GmbH; Jüthornstr. 88, 22043 Hamburg, Tel: 040/6570883, Fax: 040/6570884,E-Mail. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! . Der Vorstandder KREMLIN AG Axel Potthorn wird am 6. September beim Hamburger Börsentageinen Vortrag über die Chancen der unterbewerteten russischen Nebenwerte halten. Das nächsteLive-TV-Interview über den Balkan mit Andreas Männicke findet am 19. September inder 3SAT/Börse um 21.30 Uhr statt. In der nächsten Woche wird auch einaufgezeichnetes TV-Interview mit Andreas Männicke über Russland bei BloombergTV ausgestrahlt.