Der Vorschlag von SPD-Chef Sigmar Gabriel für eine Volksabstimmung in allen Ländern Europas über eine Schuldenvergemeinschaftung stößt bei führenden Ökonomen in Deutschland auf Zustimmung. Gabriels Vorschlag sei zu begrüßen. „Denn in den einer solchen Abstimmung vorausgehenden Kampagnen und öffentlichen Diskussionen könnte es gelingen, die ökonomischen und politischen Argumente für und gegen diesen Weg umfassend zu beleuchten“, sagte der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, Handelsblatt Online. „Wenn dann die Mehrheiten in Europa für eine Haftungsunion stimmten, wären die notwendigen zwischenstaatlichen Transfers demokratisch legitimiert. Die Marginalisierung der Parlamente, die wir derzeit erleben, wäre beendet.“
Gabriel hatte sich für einen grundlegenden Strategiewechsel in der deutschen Europapolitik ausgesprochen und eine gemeinschaftliche Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten bei gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle angeregt. Dazu müsse ein Verfassungskonvent eine Grundgesetzänderung erarbeiten, über die dann in einer Volksabstimmung entschieden werden solle. Er werde diesen Vorschlag in die SPD-Gremien einbringen und auch bei den Vorsitzenden der anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa dafür werben, betonte Gabriel.
Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, zeigte Sympathie für die Idee des SPD-Vorsitzenden. „Gabriel hat Recht, dass eine weitergehende Fiskalunion mit strengen Regeln für die Haushaltskontrolle nicht auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes möglich ist“, sagte Hüther Handelsblatt Online. Ein Verfassungskonvent wäre in der Tat notwendig. Allerdings gibt der IW-Chef zu bedenken, dass sich ein solches Verfahren vermutlich nicht nur europarechtlichen Fragen widmen und deshalb ein sehr zeitintensives Verfahren begründen würde. Kurzfristig liege daher in Gabriels Vorschlag „kein Lösungsbeitrag zur gegenwärtigen Krise“, unterstrich Hüther.
„Auch wäre es fatal, wenn die Begründung einer Fiskalunion oder gar einer wirklichen politischen Union aus der Not der Krise folgte“, sagte der IW-Chef weiter. Das schaffe keine Legitimität. „So wichtig die demokratische Verankerung der weiteren europäischen Entwicklung auch ist, sie benötigt schlichtweg viel mehr Zeit.“ Erst damit werde es gelingen, das „Elitenprojekt Europa“ zu einem Thema der Europäer zu machen.
Ifo-Ökonom Carstensen hält es zudem für nötig zu klären, was eine strenge gemeinsame Haushaltskontrolle bedeute. „Wenn wir die bestehenden Regeln ernst nehmen, haben wir sie doch schon“, sagte er. Hinzu käme also lediglich die Vergemeinschaftung der Schulden. „Das kann politisch gewollt sein, wird Deutschland aber enorme Summen kosten. Das sollte Herr Gabriel nicht unerwähnt lassen“, betonte Carstensen.