Während in den meisten Medien das Buch „Die Patin“ als Rache einer enttäuschten CDU-Wegbegleiterin abgetan wird, bietet es durchaus traurige Wahrheiten. Gertrud Höhlers Kritik an der Kanzlerin öffnet Blick auf tiefer liegende Probleme.
von Hans Heckel
Die Reaktionen der großen Medien auf das Merkel-Buch von Gertrud Höhler steigern sich teils in regelrechte Hass-Tiraden hinein. Die 71-jährige Literaturwissenschaftlerin wird in einer Weise persönlich attackiert, die keine Grenzen mehr zu kennen scheint.
Die Methode, den Autor zu demontieren, um seine Thesen nicht mehr ernsthaft diskutieren zu müssen, ist aus der Sarrazin-Kontroverse vor zwei Jahren noch bestens in Erinnerung. Doch ebenso wie damals steht der beinahe einhelligen Ablehnung seitens der Medien eine weitaus differenziertere Beurteilung von Seiten des Volkes gegenüber. In Leserbriefspalten und Internet-Foren erfährt Höhler neben Kritik auch viel Unterstützung. Ihr Eindruck von einer zerfasernden Demokratie und eines gefährlich bröckelnden Rechtsstaats wird offenbar von vielen Menschen geteilt.
Was also ist dran an Höhlers Vorwurf, unter der Kanzlerschaft Merkels erodierten Demokratie und Rechtsstaat?
Für den Rechtsstaat ist es unerlässlich, dass sich die politische Führung an Recht und Gesetz hält. Zutreffend bemerkt Höhler, dass bei der abrupten Energiewende und ebenso bei der Euro-Rettung Gesetze reihenweise gebrochen wurden. Das aber ist das Gegenteil von Rechtsstaat: Dass man Gesetze nach Belieben brechen darf, wenn man nur die Macht dazu besitzt. Doch genau dies ist unter Merkel geschehen.
Und die Demokratie? In den Parteien des Bundestages hat es nie ernsthafte, ergebnisoffene Diskussionen über die Euro-Einführung gegeben, eine Volksabstimmung wie in anderen Ländern blieb den Deutschen ebenso versagt.
Letzteres indes weist noch in die Zeit vor Merkel zurück. Höhlers Glorifizierung der Kohl-Ära als gleichsam goldenes Zeitalter der Demokratie geht daher in die Irre.
Aber wie geht es weiter? Heute wird sichtbar, dass mit dem Euro das Fundament unseres demokratischen Rechtsstaats an sich zur Debatte steht, Stichwort „Vereinigte Staaten von Europa“. Doch lassen Politiker keinen Zweifel aufkommen, wie sie diese Umwälzung zu realisieren gedenken: Abermals soll ohne Volksbeteiligung alles soweit vorangetrieben werden, bis den Deutschen kaum etwas anders übrig bleibt als zuzustimmen oder Chaos zu riskieren. Das Volk also wird ganz unverhohlen übers Ohr gehauen.
Aber ist das alles allein Merkels Schuld? Wenn ja: Warum lässt sich das Volk dies gefallen? Bettina Röhl stellt in der „Wirtschaftswoche“ die entscheidende Frage, ob die Kanzlerin nicht vielleicht nur das Symptom einer allgemeinen Krise der Parteiendemokratie sei, der ein kaum weniger orientierungsloses Volk gegenüberstehe. Merkel füllt demnach nur das Vakuum, das andere hinterlassen haben. Röhls Analyse der Kontroverse ist nicht bloß die intelligenteste, sie ist auch die beunruhigendste.