Nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank sollte die EZB völlig unabhängig agieren können. Eigentlich dafür gedacht, Geldwertstabilität möglich zu machen, wird die gewährte Unabhängigkeit der EZB jedoch jetzt genau zum Gegenteil missbraucht, ohne dass dies zu verhindern ist.
von Norman Hanert
Es ist mal wieder Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, der in kürzester Frist klar macht, was von Erklärungen der EU oder der EZB zu halten ist, die vor allem dazu gedacht sind, die Deutschen ruhig zu halten. Gemünzt auf die EZB ließ Rajoy seine Landsleute wissen: „Ich kann nicht akzeptieren, dass sie uns sagt, welche Kürzungen nötig sind und welche nicht.“ Nur wenige Tage zuvor hatte EZB-Chef Mario Draghi „strenge Bedingungen“ angekündigt, die als Gegenleistung verlangt werden, wenn ein Land vom neuen EZB-Anleihekaufprogramm profitieren will. Ähnlich schnell hatte Rajoy bereits im März die spanische Interpretation des EU-Fiskalpakts geliefert. Nur Tage, nachdem er den Vertrag unterschrieben hatte, ließ Rajoy wissen, dass Spanien sich erst einmal nicht an die Abmachung gebunden fühlt.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich auch im Fall der EZB-Anleihekäufe die spanische Lesart durchsetzen wird. Einer Pressemitteilung der EZB zufolge soll bereits die Absichtserklärung, sich an Haushaltsvorgaben der EU halten zu wollen, ausreichen, um von der EZB seine Staatsanleihen abgekauft zu bekommen. Die vom EZB-Chef Draghi angekündigten „strengen Bedingungen“ dürften demnach vor allem für deutsche Ohren bestimmt gewesen sein.
Spätestens mit dem unbegrenzten Einstieg beim Staatsanleihenkauf ist unübersehbar, dass die EZB sich vom Vorbild Bundesbank endgültig verabschiedet hat und inzwischen eher auf den Pfaden der Banca d’Italia wandelt. Dass diese völlige Abkehr vom Maastricht-Vertrag überhaupt ungehindert möglich ist, kann fast als Treppenwitz der Geschichte aufgefasst werden. Die politische Unabhängigkeit der Bundesbank hatte beim Entwurf zur EZB Pate gestanden. Eigentlich sollte diese Unabhängigkeit bewirken, dass die Zentralbank frei vom Druck von Politikern für Geldwertstabilität sorgen kann, doch nun ermöglicht die eingeräumte Unabhängigkeit der EZB unter einem Chef Draghi ein ungehindertes Agieren zugunsten der Länder Südeuropas, nicht zuletzt zugunsten Italiens. Der inzwischen laut gewordenen Forderung, die Staatsfinanzierung per EZB-Notenpresse durch Klagen vor den Europäischen Gerichtshof zu stoppen, sollte man nicht allzu viele Erfolgsaussichten einräumen. Der Gerichtshof hat durch seine Rechtsprechung nicht umsonst den Beinamen „Motor der Europäischen Integration“ erhalten.
Die kaum kontrollierbare Macht der EZB wird künftig sogar noch weiter zunehmen. Nach dem Willen Brüssels soll schon zum 1. Januar 2013 die EZB die Aufsicht über diejenigen Banken erhalten, die Gelder aus europäischen Rettungsprogrammen erhalten haben, Mitte 2013 sollen dann alle Großbanken, ab 2014 sämtliche 6100 Banken der Euro-Zone, beaufsichtigt werden. Von deutscher Seite wird bezweifelt, ob die EZB tatsächlich in der Lage ist, eine solche Zahl von Banken effektiv zu kontrollieren. Ohnehin sollte die Eile, mit der das Vorhaben vorangetrieben wird, skeptisch machen. „Wir können und müssen schnell vorankommen“, fordert etwa Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici.
Dass es Moscovici oder dem ebenfalls drängenden spanischen Wirtschaftsminister Luis de Guindos darum geht, ihre nationalen Bankenaufsichten schnellstmöglich zu entmachten, darf bezweifelt werden. Für sie ist die Ban-kenaufsicht aus einem anderen Grund interessant. Sie soll Voraussetzung sein für die direkte Rekapitalisierung von maroden Banken durch den ESM-Fonds. Was de facto der schon länger vorgebrachten Forderung die Bankenrettung nicht mehr selbst bezahlen zu müssen, sondern andere zur Kasse zu bitten, entgegenkommt. Durch die „Hintertür“ Bankenaufsicht ist damit auch bei der kostspieligen Bankenrettung die Vergemeinschaftung von Kosten und Risiken erreicht. Sollte das Vorhaben gelingen, dann kann generös – zumindest vorübergehend – auf die dritte Säule der Bankenunion, den europaweiten Einlagensicherungsfonds, verzichtet werden. Erste Pläne der EU-Kommission hatten vorgesehen, dass auch die Einlagensicherung der deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit herangezogen werden soll, wenn irgendwo in Europa eine Bank Pleite geht. Das Vorhaben scheint zunächst einmal aufgeschoben, aber nur solange bis Bankenaufsicht und Rekapitalisierungsfonds installiert sind.
Langfristig dürfte der Zugriff auf die Gelder der deutschen Einlagensicherung zu verlockend sein. Quasi im Nebeneffekt würde man durch die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung den deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken noch einen Wettbewerbsvorteil wegnehmen – ihr Sicherungssystem gilt europaweit als vorbildlich.
Die Brüsseler Pläne entbehren ohnehin nicht einer gewissen Ironie. Noch vor einigen Jahren wurde gegen den gesamten deutschen Sparkassensektor ein regelrechter Kreuzzug mit dem Ziel seiner Zerschlagung und Abschaffung geführt. Treibende Kraft der damaligen Pläne war ein EU-Kommissar namens Mario Monti.