Europäische Zentralbank hat womöglich Kredite in Milliardenhöhe zu freizügig vergeben. Eigene Statuten schreiben strengeren Umgang bei Transaktionen mit spanischen Staatsanleihen vor.
Der Umgang mit bestimmten spanischen Staatsanleihen wirft Zweifel an der Qualität des Risikomanagements der Europäischen Zentralbank (EZB) auf. Geschäftsbanken haben von der Notenbank Kredite über bis zu 16,6 Milliarden Euro erhalten, obwohl sie das Geld nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ nicht hätten bekommen dürfen, wenn die EZB ihre eigenen Statuten strikt anwenden würde. Denn die spanischen Staatsanleihen, die die Banken als Sicherheiten dafür verpfändet haben, erfüllen die Anforderungen der Zentralbank nur teilweise.
Seit dem Höhepunkt der Finanzkrise können sich Europas Kreditinstitute in unbegrenzter Höhe Geld bei der Zentralbank leihen. Einziges Limit: Sie müssen Wertpapiere oder Kreditforderungen als Sicherheit hinterlegen. Zweifel an der Prüfung dieser Sicherheiten weckt nun der Umgang mit spanischen Staatsanleihen mit bis zu 18 Monaten Laufzeit, sogenannten T-Bills. Ihr Volumen beläuft sich derzeit auf knapp 80 Milliarden Euro. Bei der EZB werden sie in der höchsten Bonitätsklasse geführt. Das bedeutet, dass die EZB für diese Papiere nur mit einem Risikoabschlag von 0,5 Prozent kalkuliert. Wenn eine Bank spanische T-Bills in Höhe von 10 Millionen Euro einreicht, bekommt sie dafür 9,95 Millionen Euro Kredit von der Zentralbank.
Doch die T-Bills erfüllen die Bedingungen für diese erste Bonitätsklasse nicht mehr, wie Recherchen der „Welt am Sonntag“ ergaben. Papiere über 66,5 Milliarden Euro sind eigentlich nur zweitklassig und müssten daher nach den EZB-Regeln miteinem höheren Abschlag von 5,5 Prozent versehen werden – was 3,3 Milliarden Euro weniger Kredit für die Banken bedeuten würde. Die übrigen T-Bills in einem Volumen von 13,3 Milliarden Euro sind sogar nur drittklassig – sie dürfte die Notenbank überhaupt nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren.
Entscheidendes Kriterium sind in diesem Falle Ratingnoten. In die höchste Bonitätsklassegehören nur Wertpapiere, die von mindestens einer Ratingagentur mit der Note „A“ bewertet werden. Das ist bei den fraglichen T-Bills aber nicht der Fall: Sie kommen bei den großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch nur auf Noten im „B“-Bereich und sind damit nur noch zweitklassige Sicherheiten. Für zwei der Anleihen gibt es nur eine Note von S&P, und die reicht nicht einmal mehr für die unterste Kategorie.
Zur Erklärung dieses Vorgehens verweist die EZB auf die kleinere Ratingagentur DBRS, die Spanien nach wie vor mit einem „A“-Rating bewerte. Dies soll für eine bessere Einstufung ausreichen: Die Abschläge für die spanischen T-Bills seien „korrekt berechnet, da das Rating von DBRS im Moment ‚AL’ lautet“, sagte ein Sprecher. Allerdings handeln offensichtlich nicht alle Euro-Zentralbanken nach dieser Maxime. Denn obwohl Irland von DBRS ebenfalls mit „A (low)“ bewertet wird, hat die irische Notenbank die T-Bills der irischen Regierung nur als zweitklassig eingestuft und mit entsprechend höheren Abschlägen versehen.
Die EZB sah sich bis Ende der Woche nicht in der Lage, diese Kuriositäten in ihrer Sicherheitenpolitik aufzuklären. Der Sachverhalt werde geprüft, sagte ein Sprecher lediglich. Generell verweist die EZB darauf, dass die meisten europäischen Banken bei der Zentralbank mehr Sicherheiten hinterlegt hätten, als für die gewährten Kredite eigentlich nötig wäre. Ob das aber auch für alle in diesem Fall betroffenen Banken gilt, bleibt unklar. Schließlich sind gerade viele spanische Institute angeschlagen und bekommen frisches Geld fast nur noch von der Notenbank.
Sollten die Anleihen niedriger eingestuft werden, müssten die betroffenen Banken andere Sicherheiten im Wert von bis zu 16,6 Milliarden Euro vorweisen können. Oder aber sie müssten Zentralbankdarlehen zurückzahlen und sich das Geld aus anderen Quellen besorgen. Im schlimmsten Fall müssten die Banken bei der nationalen Zentralbank um teure Notfallkredite bitten.