Wie geht es nach dem schlimmsten Börsen-Crash seit der Finanzkrise weiter? Kommt gar eine neue Finanzkrise, die noch bedrohlicher wird als 2009? Eine Analyse.
von Sven Weisenhaus
Die Nachrichten überschlagen sich derzeit. Die meisten dürften mit dem Sichten und Einordnen aller Informationen kaum nachkommen. Auch ich kann hier nicht einmal ansatzweise alle wichtigen Ereignisse aufzählen, die derzeit gemeldet werden, ohne den Rahmen des Newsletters zu sprengen. Also fasse ich zusammen:
Globale Konsequenzen befeuern den Crash
Das Coronavirus breitet sich weiter aus. Immer mehr Institutionen warnen, kündigen Maßnahmen an oder revidieren ihre bisherigen Prognosen zur Entwicklung der Weltwirtschaft. Ebenso nehmen zahlreiche Unternehmen ihre Geschäftserwartungen zurück – mit zunehmender Tendenz.
Das befeuert natürlich die Kursverluste an den Aktienmärkten. Und das dortige Kursgeschehen kann man inzwischen durchaus schon als (zumindest kleinen) Crash bezeichnen. Denn die Abwärtsbewegungen gehen in der Kürze der Zeit über die einer normalen, selbst einer sehr dynamischen Korrektur hinaus.
Ohne Rücksicht auf Verluste
Zumal aktuell alles aus den Depots geworfen wird, was nicht niet- und nagelfest ist – ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Beachtung der reellen Geschäftsaussichten bzw. möglichen Geschäftsbeeinträchtigungen der einzelnen Firmen.
Obwohl viele Unternehmen nur eingeschränkt von der Virus-Problematik beeinträchtigt sein werden, fallen deren Aktienkurse dennoch wie ein Stein. Es wird kaum ein Unterschied gemacht gegenüber den Firmen, die voraussichtlich deutlich stärker unter den Folgen der Virus-Ausbreitung leiden. Das kann unter anderem auch damit zusammenhängen, dass Anleger ihre Fonds und/oder ETFs verkaufen und diese daraufhin eben entsprechende Anteile über die gesamte Marktbreite veräußern müssen.
Derweil werden Aktien von Unternehmen hochgejubelt, die auch nur im Entferntesten etwas zur Bekämpfung des Virus selbst oder dessen Ausbreitung beisteuern können. Dieses Feld beherrschen zurzeit eindeutig die Spekulanten.
Anleger suchen nach Antworten
In einer solchen Phase kommen natürlich Fragen wie „Soll ich jetzt noch auf fallende Kurse setzen?“, „Ab wann macht ein Einstieg Sinn?“ oder „Wo liegen jetzt die relevanten Chartmarken?“. Anleger suchen aufgrund einer extremen Verunsicherung nach Antworten. Ich kann Ihnen dazu gerne verraten, was wir unseren Lesern des Target-Trend-Spezial in den Ausgaben dieser Woche bereits wiederholt geschrieben haben:
Ich empfehle aktuell, sich nach Möglichkeit einfach eine Weile aus dem Markt herauszuhalten. Und insbesondere sollte man sich mit Neueinstiegen noch zurückhalten oder zumindest nur kleine Trades wagen, bis sich die Kurse beruhigt haben. Und es macht derzeit kaum Sinn, charttechnische Marken zu benennen – aus folgendem Grund:
Die aktuellen Kursbewegungen halten sich nicht an Chartmarken
Der DAX hatte zum Beispiel mit dem gestrigen Korrekturtief schon fast 1.400 Punkte bzw. etwas mehr als 10 % binnen nur vier Tagen abgegeben. Heute ging es dennoch weiter abwärts. Ähnlich sieht es auch in den diversen anderen Aktienindizes aus. Und bei unzähligen Einzelwerten ist die Entwicklung sogar noch wesentlich dramatischer.
In dieser Marktbreite sind das extrem ungewöhnliche Kursbewegungen, mit denen niemand in dieser Art und Weise rechnen konnte. Sicherlich, es wird einige Marktteilnehmer geben, die zuvor schon ein größeres Ausmaß der Virus-Problematik befürchtet und erwartet hatten und die deshalb auch durchaus einen Crash vorhergesehen haben.
Doch wann genau dieser einsetzt und wie er ablaufen würde, das war nicht vorherzusehen. Und die Kursbewegungen sind auch jetzt völlig unkalkulierbar. Denn der Markt hält sich aktuell kaum mit charttechnisch relevanten Marken auf.
Sämtliche Unterstützungen oder Widerstände wurden in den wilden Abwärtsbewegungen und kurzen Kurserholungen einfach überrannt oder sie haben immer nur kurz gehalten. Man könnte zwar nun unzählige Unterstützungen benennen, doch was nützt es im aktuellen Marktumfeld?
Erst wenn ein markantes Tief gebildet wird und eine ordentliche Kurserholung einsetzt, die Kurse dann langsam auspendeln und sich dabei Formationen abzeichnen, wird man mit der Charttechnik wieder klarer sehen können. Bis dahin sind Chartmarken nur irgendwelche Nummern unter vielen.
In welche Richtung geht der Markt als nächstes?
Wenn Sie jetzt aber dennoch im Markt aktiv sein wollen, dann sind Short-Trades gegenüber Long-Positionen aktuell natürlich grundsätzlich zu bevorzugen. Doch niemand kann vorhersagen, wann eine Kurserholung einsetzt und wie weit diese laufen wird.
Mit einer neuen Short-Position gerät man dann leicht sehr weit in den Verlust und muss unter Umständen lange warten, bis sich dies wieder ändert. Schließlich sind 1.000 Punkte Kursveränderung im Dow Jones aktuell auf der Tagesordnung. Ähnliches gilt für Long-Trades. Man kann zwar auf eine Kurserholung setzen, doch im bisherigen Verlauf waren diese relativ kurz und es folgten sehr schnell neue Tiefs.
Crash-Phasen sind Sache der Spekulanten
Ich kann verstehen, wenn Sie in der aktuell unsicheren Zeit gerne konkrete Antworten zur Charttechnik und zu möglichen neuen Trades erhalten möchten. Doch ich kann Ihnen versichern, dass der Tipp, sich aus dem Markt herauszuhalten, aktuell der beste ist, den Sie bekommen können. Crash-Phasen sollte man den Zockern überlassen.
S&P 500: Fast 16 % Verlust binnen 7 Handelstagen
Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick auf den Chart des S&P 500, der das hier Geschriebene untermalt.
Die letzte große Korrektur fand Ende 2019 statt (siehe linkes rotes Rechteck). Schon die damalige, finale Abwärtsbewegung verlief extrem dynamisch. Binnen nur 15 Handelstagen (23 Tagen) verlor der S&P 500 mehr als ca. 16 %.
Vergleicht man dies nun mit der aktuellen Korrekturwelle, dann stellt man fest, dass der Index fast die gleiche Strecke zurückgelegt hat, dafür aber nur 7 Handelstage (9 Tage), also die halbe Zeit, benötigte. – Der aktuelle Crash ist also deutlich rasanter. Allerdings waren die Aktien ja jüngst auch deutlich höher bewertet und hatten die Kurse charttechnisch stärker nach oben übertrieben.
Der erste Boden ist nicht der letzte
Beim Vergleich der beiden Korrekturen fällt auch noch auf, dass es Ende 2018 zu zwei großen Abwärtswellen kam. Und auf ein solches Szenario sollte man sich auch jetzt wieder einstellen. Wenn bald eine stärkere Kurserholung einsetzt, dann wird der erste Boden sehr wahrscheinlich nicht der letzte gewesen sein.
S&P 500 erreicht über Umwegen das erste Kursziel
Und wenn Sie sich jetzt noch fragen, was die roten Pfeile in dem Chart zu bedeuten haben, dann verweise ich erneut, wie vorgestern bereits, auf die Börse-Intern vom 15. November 2019 mit dem Titel „S&P 500: Eine Korrektur um bis zu 12 % wäre nur normal“. Schon Mitte November hatte ich darauf hingewiesen, dass Gewinnschätzungen und Aktienkurse weit auseinander gelaufen waren.
„Will sich der S&P 500 nur dem Gewinntrend erneut annähern, indem er zum Beispiel auf die Unterstützung bei 2.730 Punkten zurückfällt, würde das immerhin eine Korrektur um 12 % bedeuten“, schrieb ich damals. Und weiter: „Es muss nicht so kommen, aber die Hälfte würde ich aktuell schon einkalkulieren – also eine Gegenbewegung von ca. 6 %“. Nun wurde dieses erste Ziel einer Gegenbewegung erreicht, allerdings leider erst nach einem gewaltigen Umweg. Da die Kurse weiter angestiegen waren, mussten sie nun halt stärker fallen, um das gleiche Bewertungsniveau zu erreichen.
Und um die oben genannten Fragen nun doch noch etwas genauer zu beantworten:
„Soll ich jetzt noch auf fallende Kurse setzen?“
Jetzt vielleicht nicht gerade. Aber kommt es zu einer ordentlichen Kurserholung, beim S&P 500 zum Beispiel bis in den Bereich zwischen 3.000 und 3.100 Punkten, kann man auf eine zweite Abwärtswelle setzen.
„Ab wann macht ein Einstieg Sinn?“
Wer es spekulativ mag, kann auf dem aktuellen Niveau auf eine Kurserholung setzen. Ansonsten würde ich warten, bis der S&P 500 auch noch das zweite Kursziel abgearbeitet hat und damit das untere Ende des Aufwärtstrendkanals (grün) erreicht. Diese Unterstützung wäre eine gute Basis für einen (erneuten) Kursanstieg. Man sollte dann aber den Stopp auf Einstandskurs ziehen, wenn dieser Anstieg angelaufen ist.
„Wo liegen jetzt die relevanten Chartmarken?“
Das aktuelle Niveau ist im S&P 500 eine wichtige Unterstützung. Den nächsten markanten Halt kann die untere Linie des Aufwärtstrendkanals in Verbindung mit der horizontalen Linie bei 2.728 Zählern bieten. Aber ob diese Chartmarken lange halten, muss abgewartet werden (siehe oben).
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