Die Europäische Zentralbank schaut argwöhnisch auf die Rekordjagd an den Aktienmärkten. "Wir beobachten das sehr genau", sagte EZB-Direktorin Isabel Schnabel dem "Spiegel".
Im Euroraum seien die hohen Bewertungen zwar noch durch höhere Gewinnerwartungen der Unternehmen begründbar, "aber die Risiken steigen, vor allem wenn die wirtschaftliche Erholung den Erwartungen nicht gerecht werden sollte".
Besondere Sorge bereitet Schnabel die Tatsache, dass der Zusammenbruch des US-Hedgefonds Archegos zu milliardenschweren Verlusten bei großen Banken wie der Credit Suisse geführt hat. Das sei "ein Warnsignal, dass hier erhebliche systemische Risiken liegen", sagte Schnabel.
Der Fall zeige, "dass es bei Fonds erhebliche Regulierungslücken gibt". Man werde sich genau anschauen müssen, warum die Banken dem Fonds eine so große Verschuldung ermöglichten.
Archegos hatte sich in großem Stil Geld bei Banken geliehen und diese Kredite durch Aktienpakete besichert, die wegen der Schieflage dann aber schnell verkauft werden mussten. "Solche Notverkäufe sind gefährlich, das kennt man aus der globalen Finanzkrise", warnte Schnabel.
"Man kann froh sein, dass der Effekt auf wenige Akteure begrenzt blieb. Ansonsten hätte das sogar zu einer Systemkrise werden können." Schnabel warnte zudem vor einer Blockade beim europäischen Wiederaufbaufonds. "Wenn sich die Auszahlung der Gelder auf unbestimmte Zeit verzögern würde, wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe für Europa", sagte Schnabel dem "Spiegel".
"Dann müsste Europa sich Gedanken über alternative Lösungen machen, das könnte dauern." Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutsche Zustimmung zu dem 750-Milliarden-Euro schweren Fonds vorerst gestoppt, weil eine Gruppe um den früheren AfD-Chef Bernd Lucke Verfassungsbeschwerde gegen das Vorhaben eingereicht hatte.
"Es steht mir nicht zu, mich über das Bundesverfassungsgericht zu äußern", sagte Schnabel, betonte aber zugleich die Bedeutung des Fonds. "Damit demonstriert Europa zum einen Solidarität mit den Ländern, die hart von der Krise getroffen wurden, aber nur geringe fiskalische Spielräume haben. Zum anderen ist es für die europäische Wirtschaft als Ganzes wichtig - und damit gerade für die Exportnation Deutschland."
Dass durch den Fonds und weitere nationale Hilfsprogramme in der Corona-Pandemie die Staatsschulden deutlich wachsen, ist für Schnabel kein Problem. "Ein Anstieg der öffentlichen Schulden ist angesichts dieser Jahrhundertkrise unvermeidlich und sinnvoll, solange die Ausgaben das Wachstum nachhaltig ankurbeln", sagte sie.
Foto: EZB, über dts Nachrichtenagentur