Das Öl-Kartell OPEC+ konnte sich nicht auf höhere Förderquoten einigen. Es bleibt ein Nachfrage-Überhang, der theoretisch die Ölpreise treibt. Doch tatsächlich könnte auch das Gegenteil eintreten.
von Sven Weisenhaus
Das Hauptthema an den Börsen sind aktuell die abgebrochenen Gespräche der „OPEC+“-Staaten. In mehreren Verhandlungsrunden konnten sich die ölfördernden Länder nicht auf eine Anhebung der Produktionsquoten einigen.
Nachdem am Freitag eine zweitägige Debatte ergebnislos endete, beraumten die Länder für gestern eigentlich ein neues Treffen an. Doch dieses wurde letztlich auf unbestimmte Zeit verschoben.
Medien berichten, dass die Vereinigten Arabischen Emirate eine Einigung blockiert hätten. Die anderen Länder seien sich derweil bereits am Donnerstag einig gewesen, von August bis Dezember die Fördermenge um rund 2 Millionen Barrel pro Tag zu anzuheben.
Angebotsdefizit treibt Ölpreise
Damit gelten nun vorerst die bisherigen Regelungen der reduzierten Fördermengen weiter. Zur Erinnerung: Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte die OPEC+ die Tagesproduktion um rund 9,7 Millionen Barrel gekürzt. Seitdem wurden die Ölhähne nur teilweise wieder aufgedreht.
(Quelle: Berenberg Bank)
Da aber der Bedarf an Rohöl wegen der Erholung der Weltwirtschaft von den Folgen der Coronavirus-Krise gestiegen ist, liegt derzeit ein Nachfrage-Überhang vor, der zu steigenden Preisen geführt hat. Und da dieser Angebots-Engpass mangels der Einigung der OPEC+ anhält, könnte dies die Preise weiter anheizen.
WTI auf höchstem Niveau seit April 2019
Im Hoch stieg die Öl-Sorte West Texas Intermediate (WTI) heute auf 76,98 USD. Und damit stieß der Preis ziemlich exakt an das Hoch vom 28.04.2019, welches bei 77,13 USD markiert wurde (siehe roter Pfeil im folgenden Chart).
Ich könnte mir trotz der ausgebliebenen Einigung der OPEC+ vorstellen, dass die Ölpreise hier nun in eine Konsolidierung gehen.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Denn es ist keineswegs gesagt, dass in der Angelegenheit bereits das letzte Wort gesprochen ist. Schließlich führen die aktuell vergleichsweise hohen Ölpreise in vielen Ländern nicht nur zu steigenden Verbraucherpreisen. Weiter steigende Öl-Notierungen wären auch geeignet, dämpfend auf die globale wirtschaftliche Erholung einzuwirken. Und das könnte letztlich die Nachfrage nach Öl wieder bremsen, was nicht im Sinne der Öl-Verkäufer sein kann.
Zudem werden mit steigenden Ölpreisen bislang unrentable Öl-Projekte wieder lukrativ. In den USA nimmt die Anzahl an aktiven Bohrlöchern mit dem Ölpreisanstieg kontinuierlich zu. Zwar stagniert die US-Ölproduktion aktuell noch, das dürfte sich aber bald ändern. Konkurrenten profitieren also von den steigenden Ölpreisen und der mangelnden Einigkeit der OPEC+. Auch das kann nicht in deren Sinne sein.
(Quelle: Berenberg Bank)
Es ist daher denkbar, dass es innerhalb der kommenden Tage oder Wochen doch noch zu einer Einigung kommen wird. Und es wäre auch denkbar, dass sich einige OPEC-Mitglieder nicht mehr an die Förderbremse gebunden fühlen und die Produktion hochfahren.
Zudem zeigen sich auch die USA über die Auswirkungen der hohen Ölpreise auf die Verbraucher besorgt. Und daher drängt die US-Regierung auf einen Kompromiss und suchte dazu bereits Gespräche mit den Regierungen mehrerer OPEC-Länder.
„Wir sind nicht an diesen Gesprächen beteiligt, aber Regierungsbeamte haben sich mit relevanten Hauptstädten ausgetauscht, um auf eine Kompromisslösung zu dringen, die es ermöglicht, die vorgeschlagenen Produktionssteigerungen voranzubringen“, teilte ein Präsidialamtssprecher in Washington mit.
Geht gerade ein 5-gliedriger Aufwärtstrend zu Ende?
Die fehlende Einigung der OPEC+ und ein anhaltendes Angebots-Defizit sind im Ölmarkt wahrscheinlich inzwischen eingepreist. Nun könnte der Markt als nächstes darauf setzen, dass es doch noch zu einer Anhebung der Förderquoten oder einer steigenden Produktion der Konkurrenz oder einzelner OPEC-Staaten kommt. Das würde die Ölpreise belasten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich auch gerne an meine letzte Öl-Analyse vom 9. Juni. Denn darin hatte ich geschrieben, dass der Ölpreis der Sorte WTI durchaus noch bis in den Widerstandsbereich vordringen könnte, wo er auch zwischen April 2019 und Januar 2020 drei Mal ein Hoch markiert hat (roter Bereich im Chart oben).
Da man aus Sicht der Elliott-Wellen die Ölpreise aber bereits in einer Welle 5 sehen konnte (siehe blaue Ziffern im folgenden Chart), ging ich davon aus, dass es anschließend zu fallenden Kursen bis in den „Wohlfühlbereich“ von rund 60 US-Dollar kommen könnte. Dazu der Chart aus der damaligen Börse-Intern:
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Ölpreise heute bereits kräftig nachgeben. Vom Tageshoch bei 76,98 USD hat der WTI-Preis schon bis auf 73,25 USD um mehr als 4,8 % verloren. Er ist damit eindrucksvoll am Hoch vom 28.04.2019 abgeprallt. Es könnte sich nun ein spekulativer Short-Trade anbieten, mit einem Stop-Loss knapp oberhalb von 77 USD.
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