Lieferengpässe werden zu einer Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Fast 64 % der Industriebetriebe klagen mittlerweile über Engpässe bei Vorprodukten. Besonders schlimm sieht es bei der Automobilindustrie aus.
von Sven Weisenhaus
Am Freitag war hier in der Börse-Intern zu lesen, dass sich langsam die Frage stellt, ob die Stimmung bei den Unternehmen noch besser werden kann. „Denn sie hat schon Extremwerte erreicht. Einkaufsmanagerdaten und Aktienmärkte haben eine hohe Korrelation. Und wenn die Einkaufsmanagerdaten ein Hoch markieren, dann liegt ein solches meist auch an den Aktienmärkten vor“, hieß es dazu.
Und es gab schon erste Anzeichen dafür, dass sich die Stimmung womöglich bald etwas eintrübt. Dazu war zu lesen: „Denn in sämtlichen Ländern der Eurozone, die von der IHS Markit-Umfrage erfasst werden, ließ wegen der zunehmenden Besorgnis hinsichtlich der Delta-Variante die Zuversicht nach. Diese Umfragekomponente erreichte laut IHS Markit sogar den niedrigsten Stand seit Februar.“
Zukunftsaussichten werden negativer eingeschätzt
Nun wurde gestern der ifo-Geschäftsklimaindex veröffentlicht. Und im Gegensatz zu den Einkaufsmanagerindizes kam es hier im Juli überraschend sogar schon zu einem Rückgang. Das Stimmungsbarometer des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts sank von 101,7 Punkten im Juni auf nun 100,8. Von Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen mit einem weiteren Anstieg auf 102,1 Punkte gerechnet.
Die Unternehmen bewerteten zwar ihre aktuelle Geschäftslage noch etwas besser, jedoch nahm der Optimismus mit Blick auf die Entwicklung in den kommenden Monaten merklich ab. Und damit passt der ifo-Index sehr gut zu den Daten von IHS Markit.
Börse handelt die Zukunft
Das Problem daran ist, dass die Börsen die Zukunft handeln. Daher kann die aktuelle Lage verheerend sein – solange die Zukunftsaussichten positiver sind, ist dies ein Grund für steigende Aktienkurse. Doch wenn die Lage rosig ist und die Kurse schon stark gestiegen sind, sich die Zukunftsaussichten aber eintrüben, dann ist dies meist kein guter Zeitpunkt um in Aktien neu einzusteigen.
Nur weitere Warnzeichen
Nun muss man allerdings berücksichtigen, dass der ifo-Geschäftsklimaindex zum ersten Mal in diesem Jahr überhaupt gesunken ist. Derweil haben die Erwartungen schon einmal im April nachgegeben, ihren Aufwärtstrend dann aber wieder fortgesetzt. Insofern sind die aktuellen Rücksetzer noch kein großes Problem. Davon spricht man erst, wenn die ifo-Daten drei Monate in Folge sinken.
Dominoeffekte
Aber man sollte beachten, dass Lieferengpässe der deutschen Wirtschaft immer mehr zusetzen. Fast 64 % der Industriebetriebe klagen mittlerweile über Engpässe bei Vorprodukten. In der Automobilbranche stehen zum Beispiel aufgrund des Mangels an Halbleiterchips inzwischen Werke tagelang still. Das drückt natürlich auf die Umsätze und auch auf die Gewinne.
Und die Probleme strahlen mittlerweile auf andere Branchen aus. So klagen laut dem ifo-Institut auch 60 % der Groß- und mehr als 42 % der Einzelhändler über entsprechende Probleme. ifo-Experte Klaus Wohlrabe sprach von einem Dominoeffekt, der da inzwischen im Gang ist. Und das Thema wird wohl auch in der zweiten Jahreshälfte relevant bleiben.
Einen Dämpfer hat auch der Optimismus bei konsumnahen Dienstleistern wie Tourismus und Gastgewerbe erlitten, die zuletzt vom Ende vieler Corona-Beschränkungen profitierten. „Hier ist die Euphorie weg“, sagte Wohlrabe. Grund sei die zunehmende Furcht vor einer vierten Corona-Welle. Und auch dies passt zu den Einkaufsmanagerdaten von IHS Markit.
US-Wirtschaft nimmt erneut deutlich Tempo raus
Wie es aussehen kann, wenn die Stimmung der Unternehmen unter anderem wegen einer stockenden Impfkampagne stärker nachlässt, zeigt gerade die US-Wirtschaft. Diese hat zu Beginn der zweiten Jahreshälfte laut den Daten von IHS Markit vom vergangenen Freitag weiter an Schwung verloren.
Der Einkaufsmanagerindex für die gesamte Privatwirtschaft – Industrie und Dienstleister zusammen – fiel im Juli um ganze 4,0 auf 59,7 Punkte, nachdem es bereits im Juni zu einem sehr deutlichen Rückgang um 5,0 Punkte gekommen war (siehe auch Börse-Intern vom 24. Juni).
Das Wachstumstempo der US-Wirtschaft ist damit auf das Niveau vom März zurückgefallen.
Hohe Inflation drückt auf die Kauflaune der Konsumenten
Und ein Grund dafür kann in der Konsumlaune der US-Verbraucher gesehen werden, die sich laut der Universität Michigan angesichts stark steigender Preise im Juli überraschend stark eingetrübt hat. Das entsprechende Barometer fiel auf 80,8 Zähler, von 85,5 Punkten im Juni. Von Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen mit einem Anstieg auf 86,5 Zähler gerechnet.
Die Konsumenten schätzten sowohl ihre aktuelle Lage als auch ihre Zukunftsaussichten für die kommenden Monate schlechter ein als zuletzt. Das Barometer des Verbrauchervertrauens erreichte dadurch den niedrigsten Wert seit Februar. Und als Grund dafür nennen die Umfrageteilnehmer die steigenden Preise.
Mit Blick auf die kommenden 12 Monate wird eine Verteuerung von Waren und Dienstleistungen in Höhe von 4,8 % erwartet. Einen derart hohen Wert haben die Forscher der Universität Michigan seit August 2008 und damit vor Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr gemessen.
DAX-Anleger werden bereits deutlich vorsichtiger
Mit Blick auf die Umfragen bei deutschen Unternehmen, die eingetrübte Zukunftsaussichten offenbart haben, verwundert es kaum, dass sich der DAX vom Trendhoch des 19. April noch nicht nachhaltig nach oben absetzen konnte. Erst heute hat der deutsche Leitindex wieder bis unter das damalige Niveau zurückgesetzt (dicke rote Linie oben im folgenden Chart).
Während der DAX damit immerhin deutlich Tempo aus seinem Anstieg herausgenommen hat und sich mit seiner Kursentwicklung der vergangenen Wochen und Monate an der konjunkturellen Entwicklung orientiert, eilen die US-Indizes völlig losgelöst von den Signalen der US-Wirtschaft fröhlich weiter von Rekord zu Rekord. Die US-Aktienanleger stören sich an den Warnsignalen aus der Wirtschaft bislang kaum. Ob die heutigen Kursverluste nur wieder kurze Rücksetzer sind oder nun doch eine saisonale Korrektur eingeleitet wird, bleibt abzuwarten.
Wichtige Informationen nicht ignorieren!
Torsten Ewert hat völlig Recht: Wer die Nachrichten ignoriert hat und einfach den Trends weiter gefolgt ist, war mit seinen Investments sehr erfolgreich (siehe „Das Erfolgsrezept für Börsianer: No News!“). In einer Übertreibung ist ein solches Verhalten auch sehr häufig erfolgsversprechend. Allerdings nur, solange man rechtzeitig den Absprung schafft.
Denn wenn jemand die Warnsignale, welche die Konjunkturdaten womöglich senden, nicht mitbekommt und plötzliche stärkere Rücksetzer an den Aktienmärkten immer noch als hervorragende Chancen zum Nachkauf sieht, statt hierin charttechnische Bestätigungen der konjunkturellen Warnsignale zu sehen, der könnte am Ende doch zu den Verlierern gehören, wenn die Aktienmärkte ihr Aufwärtstrends beenden und aus fundamentalen Gründen in eine größere Korrektur übergehen.
Relevante Informationen verschaffen einen Vorsprung
Ich plädiere daher dafür, genau wie Torsten Ewert, nur relevante Nachrichten zu konsumieren. Und ich kann Ihnen verraten, dass ich mich im Laufe meiner Börsenkarriere von unzähligen Newslettern abgemeldet habe und inzwischen fast nur noch Informationen lese, die direkt oder möglichst nah von der Quelle stammen.
So verschaffe ich mir fast nur noch mit Meldungen über die Entwicklung von Konjunktur- und Unternehmensdaten wichtige Hintergrundinformationen. Und wenn diese dann von Kursbewegungen charttechnisch bestätigt werden, kann ich meist gut einschätzen, ob ein Aufwärtstrend noch gesund ist bzw. ob eine stärkere Abwärtsbewegung nur eine simple Gegenbewegung oder doch der Auftakt zu einer größeren Korrektur ist.
Charts liefern die besten Informationen
Dabei sind die charttechnischen Signale für mich aber immer noch die wichtigsten, weil die Konjunktur- und Unternehmensdaten meist die Vergangenheit widerspiegeln, abgesehen von unternehmenseigenen Prognosen und Frühindikatoren wie den Einkaufsmanagerdaten, während die Kursverläufe meist schon frühzeitig zukünftige Entwicklungen anzeigen.
Natürlich weiß man als Börsenneuling noch nicht, welche Nachrichten und Konjunkturdaten aktuell relevant sind. Aber dafür gibt es ja qualitativ hochwertige Börsendienste, zu denen Sie hoffentlich auch die von Stockstreet zählen.
Fazit
Jüngste Konjunkturdaten haben vorangegangene Signale bestätigt, wonach das Hoch beim Tempo der konjunkturellen Erholung hinter uns liegt. Und die Zukunftsaussichten trüben sich ein. Man sieht immer mehr dunkle Wolken am Konjunktur-Himmel aufziehen.
Der DAX hat auf diese Entwicklung bereits reagiert, während die US-Indizes ihre Übertreibungen einfach unbeirrt fortgesetzt haben. Doch ich erinnere an die Saisonalität, wonach der DAX meist vor den US-Indizes ein Hoch markiert. Und seit Mitte Juli hat der DAX kein höheres Hoch mehr markiert, ganz im Sinne der Saisonalität.
Noch passt also alles zusammen. Und wenn das so bleibt, werden auch die US-Indizes bald nachhaltig Schwäche zeigen. Verpassen Sie also nicht den rechtzeitigen Absprung!