FDP und Grüne bringen sich für Sondierungen in Position. Am Ende entscheiden die Kleinen, wer Kanzler wird - und nicht die stärkste Partei. Ein Novum in Deutschland. Die Zeichen stehen auf Rot-Grün-Gelb. FDP, die typische Umfallerpartei?
Börsen-Zeitung: "Architekt einer Mehrheit" Kommentar zu den Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl von Angela Wefers
Kanzler wird in Deutschland, wer eine Mehrheit im Bundestag hinter sich bringt - nicht zwangsläufig der Kandidat aus der stärksten Fraktion. Wem dies gelingt, ist am Tag nach der Bundestagswahl offen. Es wird noch eine Weile spannend bleiben. Der Wahlsieger Olaf Scholz (SPD) erhebt Anspruch auf Führung der nächsten Regierung. Der von den Wählern deutlich gerupfte, nun knapp dahinter platzierte Armin Laschet (CDU) steht für ein neues Regierungsbündnis bereit.
Nahezu sicher ist, dass Grüne und FDP der neuen Regierung angehören werden. Sowohl eine Ampel-Koalition unter SPD-Führung als auch eine von der Union angeführte Jamaika-Koalition sind rechnerisch möglich. Beide halten sich beide Optionen offen. Die Grünen neigen einem Bündnis mit der SPD zu, die FDP einem mit der Union, weil sie dort jeweils größere inhaltliche Überschneidungen der Wahlprogramme finden. Eine Dreierkoalition in der künftigen Bundesregierung ist weitgehend gesetzt.
Der Regierungswille ist bei Grünen und FDP ausgeprägt. Die FDP wird nach der gescheiterten Sondierung über eine Jamaika-Koalition im Bund nach der Wahl 2017 nicht noch einmal begründen können, warum sie eine politische Gestaltungsmöglichkeit ausschlägt. Eine große Koalition will weder die SPD noch die Union weiterführen. Schon die vergangenen vier Jahre waren nur eine Notgemeinschaft.
Ein Novum in Deutschland ist, dass die kleineren Koalitionspartner den Takt in der Regierungsbildung angeben und nicht die Partei des künftigen Kanzlers. Grüne und FDP sind als Erstes zu einer "Vor-Sondierung" verabredet, um Gemeinsamkeiten auszuloten. Beide zusammen sind rechnerisch ungefähr so stark wie der potenzielle große Koalitionspartner - im Schulterschluss womöglich sogar noch stärker. Das erfordert viel Geschick des nächsten Regierungschefs. Auf dem Weg dahin wird der fähigere Architekt eines neuen Dreierbündnisses reüssieren. Dies ist sowohl Scholz als auch Laschet zuzutrauen. Beide sind erfahrene Politiker und haben Landesregierungen geführt.
Die Angst der Wirtschaft
Diese Erfahrung verspricht auch eine gewisse Stabilität für eine neue Regierung, die besonders für die deutsche Wirtschaft und Industrie von großer Bedeutung ist. Offen hatten Wirtschaftsvertreter und Verbände vor der Bundestagswahl vor dem Schreckgespenst eines rot-grün-roten Bündnisses gewarnt. Die Wähler haben jedoch einen klaren Blick auf die Linke und die Partei abgestraft. Das von der Linken gezeichnete Bild einer schlimmen sozialen Schieflage wird von der deutschen Wählerschaft ebenso wenig geteilt, wie sie die Forderungen für schlicht nicht umsetzbar und finanzierbar hält. Dies Schreckgespenst ist gebannt. Aber ein künftiges Dreierbündnis wird labiler sein als eine Zweierkonstellation.
Die Regierungsbeteiligten müssen sich regelmäßig hervortun, um öffentlich wahrgenommen zu werden, wenn sie in der Koalition nicht ausreichend punkten können. Die Stabilität eines künftigen Bündnisses wird also stark davon abhängen, ob jeder der Partner in Punkten glänzen kann, die für ihn besonders wichtig sind. Nur dann wird sich auch der Parteibasis ein Bündnis mit dem bis dahin bekämpften politischen Gegner vermitteln lassen. Je stärker die Parteiführung von der Basis getragen ist, desto geräuschloser wird es zugehen, desto effektiver kann regiert werden. Gute Erfahrungen mit einer Dreier-Regierung gibt es in den Ländern: in Rheinland-Pfalz mit der Ampel und in Schleswig-Holstein mit Jamaika.
Schneller verhandeln
Schneller sollen die Verhandlungen diesmal gehen und nicht wieder bis in das neue Jahr reichen. Ende Februar steht schon die Wahl des Bundespräsidenten an. Dies könnte ein Kalkül im Verhandlungspaket sein. Inhaltlich dürfte die Union mit Laschet den Grünen eher entgegenkommen können als die SPD mit Scholz der FDP. Klimaschutz ist das zentrale Thema der Grünen, aber es geht alle an. Je schneller sich die Union dort bewegen würde, desto mehr käme es ihr selbst zugute.
SPD und Grüne dringen auf Steuererhöhungen, die in starkem Maß auch die Wirtschaft belasten werden. Für die Liberalen sind höhere Steuern indessen ein Tabu. Eine Lockerung der Schuldenbremse, wie es die Grünen wollen und in Teilen die SPD, ist mit der FDP nicht zu machen. Wenn die Liberalen sich in den Verhandlungen über eine Ampel dort durchsetzen, könnten sie sich zum Nutzen der Wirtschaft als Stabilitätsbewahrer feiern lassen.
Jenseits der Inhalte ist für die Wahrscheinlichkeit, ob eine Ampel oder Jamaika gelingt, die Rückendeckung aus Partei und Führungsgremien entscheidend. Die SPD hat schon ein Sondierungsteam gebildet. Belastungsfaktor ist dabei der Parteivorstand. Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans beleidigte erst einmal den möglichen Koalitionspartner FDP, indem er ihm Voodoo-Ökonomie vorwarf. Das mag im Wahlkampf gehen, aber nicht im Anlauf auf eine Koalition. Dass Scholz gleichwohl auf Sieg setzt, zeigt sich in der Kontinuität von Rolf Mützenich als Fraktionsvorsitzendem. Dieses für eine Oppositionsfraktion zentrale Amt will sich Laschet warm halten. Ob Ralph Brinkhaus (CDU) es behalten kann, ist nicht sicher.
Die CDU hat eine Zukunftskoalition angemahnt. Tatsächlich ringt sie um ihre eigene Zukunft. Die Sticheleien aus Bayern sind leiser geworden, nachdem sich auch die CSU ein Direktmandat von den Grünen in München hat abnehmen lassen. Revolte liegt aber in der Luft. Käme der CDU erneut ein Parteichef abhanden, stünde sie innerhalb kürzester Zeit vor einem dritten Machtkampf um die Führungsspitze, nachdem Angela Merkel 2018 den Platz frei gemacht hat. Ob sie das stärkt, darf immerhin bezweifelt werden.