Nicht Nachrichten machen die Kurse, sondern die Kurse machen die Nachrichten - lautet ein altes Sprichwort an der Börse. Ursachen für Marktbewegungen werden meist nachgereicht - und sind häufig falsch.
Von Torsten Ewert
Sie wissen, dass wir eine gesunde Skepsis hegen gegenüber den meisten medialen Begründungen für die Kursbewegungen an den Börsen. Das gilt auch und erst recht für die Erklärungen zur jüngsten Panik. Es gibt aber einen kleinen Trick, wie man viele dieser „Gründe“ als vorgeschoben entlarven kann.
Eine ganz einfache Frage
Sie kennen sicherlich das geflügelte Wort „Cui bono?“ (=Wem zum Vorteil, also wem nutzt es?), mit dem man häufig die wahren Ziele der Handlungen und Aussagen anderer besser erkennen kann. An der Börse lautet die entlarvende Frage „Warum ausgerechnet jetzt?“
Warum soll ausgerechnet jetzt dieser oder jener Grund zu der aktuellen Kursbewegung geführt haben?, ist also eine Frage, die wir uns in der Redaktion laufend stellen, wenn die Medien uns die Börsenwelt erklären wollen. Wenn Sie auf diese Frage keine plausible Antwort finden, dann ist der Grund mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgeschoben.
Wenden wir diese Methode mal auf die wichtigsten Begründungen an, die wir in der seit dem Frühjahr laufenden Korrektur im DAX hörten und lasen.
„Gründe“ und Charttechnik
Da war zunächst die Griechenlandkrise. Hier führt diese Frage zumindest für den Zeitraum ab Juni/Juli tatsächlich zu einer plausiblen Erklärung: Die Griechenlandkrise eskalierte – unerwartet! – Ende Juni/Anfang Juli, es drohte der Grexit. Als es dann doch noch zu einer Einigung kam, stiegen die Kurse in einer Erleichterungsrally dementsprechend deutlich an. (Eine solche gegenteilige Kursreaktion, wenn der Grund wegfällt, ist übrigens ein zweites starkes Indiz dafür, dass dieser tatsächlich eine Rolle spielte – leider erst im Nachhinein.)
Bei allen anderen Gründen, die uns im weiteren Verlauf des Rückfalls genannt wurden, liefert hingegen unsere kleine Frage zu wenig überzeugende Antworten. So wurde der Rücksetzer Ende Juli mit dem Crash an Chinas Aktienmärkten begründet. Dieser Crash begann aber schon Mitte Juni und erreichte sein erstes Tief Anfang Juli. Bei dieser ersten Abwärtswelle verlor der Shanghai Composite mehr als 32 % (siehe folgender Chart).
Als hierzulande dieser Crash als Begründung für die neuerliche DAX-Schwäche herhalten musste, befand sich der chinesische Aktienmarkt gerade wieder in einer Erholung. Es wären schon komische Börsianer, die Angst vor steigenden Kursen haben, aber einen 32%igen Kursrutsch zuvor ungerührt vorübergehen lassen!
„Gründe“ finden wird immer schwerer
Die Yuan-Abwertung Mitte August dürfte hingegen tatsächlich für einige Irritation an westlichen Börsen gesorgt haben. Den Shanghai Composite stützte sie jedoch abermals – ein weiteres starkes Indiz dafür, dass dessen Einbruch kaum als Erklärung für die Verluste bei DAX & Co. taugt.
Umso länger eine Abwärtsbewegung dauert und umso heftiger sie ausfällt, desto schwerer tun sich die Beobachter, Gründe dafür zu finden, sofern diese nicht völlig offensichtlich sind. Das merkten wir in den vergangenen zwei Wochen, als Sorgen vor einer allgemeinen Wachstumsschwäche der Weltweltwirtschaft – natürlich aufgrund von Problemen in China – als Begründung herhalten mussten. Als „Beweis“ wurde sogar der anhaltend niedrige Ölpreis angeführt.
Nun ist das vergleichsweise schwächliche Wachstum in faktisch allen Regionen der Welt ein Problem, mit dem sich Ökonomen und Börsianer seit Jahren herumschlagen. Letztlich geht es zum Beispiel bei allen getroffenen und zu erwartenden Maßnahmen der großen Notenbanken seit der Finanzkrise um nichts anderes. Auch Chinas Wachstumsabschwächung sowie die dortigen möglichen Blasen (Immobilien, Schattenbanken usw.) sind seit Jahren bekannt und wurden auch hier im Steffens Daily immer wieder thematisiert (siehe z.B. Steffens Daily vom 14.03.2014).
Ein weiteres starkes Indiz
Und auch der Ölpreis fällt bereits seit Mitte 2014 und hat schon Ende Juli ein neues Jahrestief erreicht. Auch hier besteht aktuell – also ausgerechnet jetzt – kein Anlass zu neuer Sorge.
Wie zur Bestätigung gab es Ende voriger Woche die zweite Schnellschätzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA für das zweite Quartal. Danach wuchs die US-Wirtschaft von April bis Juni im Vergleich zum Vorquartal und auf das Gesamtjahr hochgerechnet um 3,7 %. Erwartet wurden jedoch nur 3,2 %, nachdem im ersten Quartal nur ein BIP-Wachstum von 2,3 % zu verzeichnen war. Daraufhin kam es zum stärksten Anstieg des Ölpreises seit Mai. Und selbst Warren Buffett steigt wieder groß (mit 4,5 Mrd. Dollar) in Ölwerte ein, wie am Freitag gemeldet wurde…
Lassen Sie sich nicht von falschen Signalen ablenken!
Unsere Zweifel an den allgemeinen „Begründungen“ der jüngsten Kursschwäche, die faktisch nur durch unsere harmlose Frage „Warum ausgerechnet jetzt?“ geweckt wurden, wurden damit zunächst bestätigt.
Natürlich ändert das nichts an der Kursschwäche an sich. Wenn Sie aber in solchen Situationen auch noch auf die falschen Signale achten, dann werden Sie höchstwahrscheinlich erneut zu spät kommen, wenn der Markt wieder dreht. Und diese Möglichkeit ist durchaus gegeben. Die Panik der Vorwoche könnte vielleicht schon der Startschuss dafür gewesen sein. Eine Panik leitet meist das Ende einer Abwärtsbewegung ein. Aber warten wir zunächst ab, wie weit die aktuelle Gegenbewegung geht.