Die deutsche Autoindustrie, der Motor Deutschlands, steht vor immer größeren Problemen: Energiekrise, grüne Ideologie, Lieferketten. Ist der Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr?
Börsen-Zeitung: "Die Steuerung wird nicht leichter", Kommentar zu VW von Carsten Steevens
Der Start als Nachfolger von Herbert Diess an der Spitze des VW-Konzerns hätte für Oliver Blume holpriger verlaufen können. Doch zum einen gab der Börsengang von Porsche Rückenwind, der trotz der Furcht vor einer Energiekrise und ihren wirtschaftlichen Folgen sowie der Verunsicherung bei Kapitalmarktteilnehmern vor einem Monat glückte. Zum anderen fiel das operative Ergebnis im dritten Quartal für die Wolfsburger besser aus als erwartet - zumindest wenn man die Kosten für den Börsengang der Sportwagentochter und Belastungen durch die Aussetzung des Russland-Geschäfts von insgesamt 1,6 Mrd. Euro außen vor lässt.
Umsatz und Gewinn steigen, obwohl wegen gestörter Lieferketten und Engpässen in der Chip-Versorgung weniger Fahrzeuge ausgeliefert werden als vor einem Jahr. Der Mehrmarkenkonzern profitiert vor allem bei den Premiummarken wie Audi und bei Porsche davon, dass Autos zu höheren Preisen verkauft werden können. Aktuell gut gefüllte Auftragsbücher und eine über der Versorgung liegende Nachfrage lassen darauf schließen, dass die Autohersteller auch 2023 in der Lage sein sollten, höhere Verkaufspreise am Markt durchzusetzen. Doch dagegen stehen die nahende Rezession und Auswirkungen einer sich in die Länge ziehenden hohen Inflation. Neben gestiegene Ausgaben für Rohstoffe und Energie treten höhere Lohnkosten. Zudem muss der VW-Konzern wie die Branche insgesamt weiter mit Störungen in den Lieferketten rechnen - auch wenn sich derzeit die Versorgung mit Halbleitern verbessert.
Die mit dynamischen Veränderungen in der Weltwirtschaft seit Beginn des Ukraine-Kriegs begründete Verschiebung der diesjährigen Planungsrunde, bei der Volkswagen üblicherweise im Herbst die Investitionen für die nächste Fünfjahres-Periode absteckt, zeigt, dass der Konzern beim Umbruch in Richtung Digitalisierung und Elektromobilität vor einer Vielzahl schwieriger Aufgaben steht, aber auch, dass die aktuellen Umstände Budgetanalysen für längere Planungszyklen verkomplizieren.
Dabei geht es nicht nur darum abzuschätzen, wann sich im Zuge der Entwicklung von Technologien für das autonome Fahren welche Skaleneffekte ergeben könnten. Der kostspielige Ausstieg von Ford und VW beim Softwareentwickler Argo AI zeigt aktuell, wie wichtig möglichst genaue Einschätzungen von Perspektiven sind, die dann den strategischen Kurs vorgeben. Auch die geopolitischen Risiken erfordern in Anbetracht der großen Bedeutung des weltgrößten Automarkts China für den Konzern klugen Weitblick - um eine andere Anforderung zu nennen. Die Steuerung von VW wird 2023 nicht einfacher.