Chef des Baustoffkonzerns Heidelberg Materials warnt vor einer drohenden Deindustrialisierung Deutschlands. "Die Lage der Industrie ist zum Teil dramatisch". - "Die Politik muss aufpassen, dass sie die Schraube nicht überdreht".
Der Chef des Baustoffkonzerns Heidelberg Materials, Dominik von Achten, fordert von der Bundesregierung mehr Engagement gegen eine drohende Deindustrialisierung in Deutschland. »Die Lage der Industrie ist zum Teil dramatisch«, sagte Achten im SPIEGEL-Interview. Die Industrie brauche eine Perspektive, wie die Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und zu wettbewerbsfähigen Preisen gesichert werden solle. »Die Politik muss aufpassen, dass sie die Schraube nicht überdreht«, so Achten. »Sie kann nicht den Spitzenausgleich bei der Stromsteuer abschaffen und gleichzeitig einen Industriestrompreis ablehnen, das funktioniert nicht.«
Ein subventionierter Industriestrompreis, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ihn vorgeschlagen hat, könne für eine Übergangszeit Sinn ergeben, sagte Achten. »Wichtig ist aber eine Perspektive auf einen geringeren und marktgerechten Strompreis.« Dafür brauche Deutschland ein ausreichendes Angebot an erneuerbaren Energien. »Wir können nicht erwarten, dass das Ausland uns die Infrastruktur schafft, damit wir vermeintlich nachhaltig leben können.«
Auf dem Weg zu einer klimaschonenderen Produktion hat die Zementindustrie das Problem, dass ein Großteil ihres CO2-Ausstoßes beim Brennen des Kalksteins entsteht. Diesen Teil der Emissionen können Hersteller wie Heidelberg Materials nicht vermeiden, indem sie auf andere Brennstoffe ausweichen, wie es in vielen Industrien möglich ist. Stattdessen plant Heidelberg Materials die Abscheidung und Speicherung von CO2, das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS). Eine erste Anlage des Unternehmens soll 2024 in Norwegen in Betrieb gehen. In Deutschland hingegen sind die Lagerung und der Export von CO2 bislang verboten.
Achten fordert eine Reform. »Es kann doch nicht sein, dass eine der zentralen Industrien überall dekarbonisiert werden kann, in Norwegen, in den USA – aber nicht im Industrieland Deutschland«, sagte der Konzernchef. »Wenn wir diese Hürde nicht überwinden, können wir hinter den Industriestandort ein großes Fragezeichen setzen.« Die Energiekrise des vergangenen Jahres habe gezeigt, dass sich Deutschland nicht immer nur auf andere verlassen könne. »Wenn wir die CO2-Speicherung nach Norwegen auslagern und die Norweger irgendwann sagen, sie hätten gern den fünffachen Preis dafür, dann haben wir uns wieder abhängig gemacht.« Dabei gebe es Alternativen unter deutschen Gewässern und unter deutschem Boden, so Achten. »Wir können doch nicht immer sagen: Überall, nur bitte nicht in meinem Vorgarten.«