Spitzen-Ökonom Rajan: Chinesisches Wirtschaftsmodell ist „am Ende“. Jugendarbeitslosigkei im April mit über 20 Prozent auf Rekordhoch. Industrieproduktion geht zurück. Immobiliensektor kollabiert.
Die wirtschaftliche Erholung Chinas verliert weiter an Schwung. Sowohl die Industrieproduktion als auch die Einzelhandelsumsätze blieben hinter den Prognosen der Analysten zurück. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte im April mit über 20 Prozent ein Rekordhoch. Besondere Sorgen bereitet internationalen Finanz-Experten die Talfahrt im angeschlagenen Immobiliensektor, wo eine Reihe von Immobilienkonzernen ums Überleben kämpft und Millionen von Chinesen vor dem Verlust ihrer Investitionen stehen könnten.
Der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) Raghuram Rajan sieht keine rasche Erholung der chinesischen Wirtschaft voraus, falls das politische System dort nicht grundlegend verändert wird. „Ich glaube, dass das bisherige chinesische Modell des exportorientierten Wachstums am Ende ist“, sagt Rajan in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT. China habe sich zu lange auf den Exportsektor und Investitionen in die Infrastruktur konzentriert. „Aber auf der Exportseite ist der industrielle Westen jetzt vorsichtiger geworden, immer mehr Einfuhren aus China zuzulassen“, so der Ökonom. „Auf der Infrastrukturseite haben sie jetzt sämtliche Straßen und Hochgeschwindigkeitszüge gebaut, die sie in nächster Zeit gebrauchen können. Also was jetzt?“
Volkswirtschaften im Entwicklungsstadium Chinas, so Rajan, müssten sich nun eigentlich auf einen Ausbau des Dienstleistungssektors spezialisieren, auf Forschung, Design, Innovation und kreative Branchen. In China gelinge das aber nicht, weil die Kommunistische Partei ein zunehmend unfreies Regime mit Denkverboten und starren Zielvorgaben schaffe.
Rajan, der heute Ökonomie an der Universität Chicago lehrt, hatte zuvor die Notenbank von Indien geleitet und war von 2003 bis 2006 der Chefökonom des IWF. Einer seiner Doktorstudenten war Jörg Kukies, der heute als führender Wirtschaftsberater im Kanzleramt arbeitet.
Im ZEIT-Gespräch kritisiert Rajan die Entscheidung der Bundesregierung, zweistellige Milliardensubventionen fürs Anlocken internationaler Chipfabrikanten auszugeben. „Diese Art von Industriepolitik schafft üblicherweise eine Oase von sehr gut bezahlten Fachkräften rings um die Fabrik. Natürlich gibt es dadurch lokale Belebungseffekte, die zugereisten Hightech-Ingenieure müssen ja auch ihre Wäsche zur Reinigung bringen, aber ist das zehn oder zwanzig Milliarden Euro wert? Ich glaube eher an ein Wachstum von unten.“
Es sei nicht mal klar, dass die Ansiedlung solcher Fabriken durch US-amerikanische oder taiwanesische Konzerne die Versorgungssicherheit mit Chips in Deutschland sicherstelle. „Besser wäre es doch, die Chips selbst herzustellen“, so der Ökonom.