Wer Südafrika wirklich erleben will, der geht ins Getto. Dort kann man jetzt sogar übernachten. Eine mutige Einwohnerin bietet Halbpension für 25 Euro.
Von Michael Mross
Irgendwo im größten Township Kapstadts, ein Meer von Wellblechhütten, provisorischen Behausungen und totaler Armut. Hier lebt Vicky – sie ist hier aufgewachsen. Sie hat schon oft erlebt, wie neugierige Touristen ins Ghetto kamen. Armen-Sightseeing am Rande des Tafelbergs, dem Wahrzeichen Kapstadts. Geschäftsidee deshalb: Warum nicht ein Hotel eröffnen? Bed & Breakfeast im Getto – auf Wunsch sogar mit Dinner.
In den so genannten Townships Südafrikas wohnen Millionen. Sie kommen aus ganz Afrika in letzter Zeit auch viele aus Simbabwe. Südafrika gilt als relativ stabil, hat einen höheren Lebensstandard im Vergleich zu den noch ärmeren Nachbarn. Doch Afrika ist nicht Europa. Sozialhilfe oder sonstige Annehmlichkeiten findet man hier natürlich nicht. Sammelbecken dieser Gestrandeten sind riesige Ghettos vor den Toren der Großstädte. Eines der größten Townships ist Khayelitsha und bedeutet „Neue Heimat“, „Heimat“ von rund 1,5 Millionen Menschen. Doch diese Heimat ist nicht nur für’s europäische Auge ein Grauen.
Als ich im Jahr 2004 das erste Mal dort war, traute ich meinen Augen nicht. Ja: Man kann hier auch übernachten. Und man wird nicht sofort ermordet. Und am nächsten Tag gibt es sogar Kaffee und Frühstück. – Sicherlich nichts für den normalen Pauschalurlauber. Vicky’s Bed and Breakfast, eine Sensation in Khayelitsha.
Die Situation in Khayelitsha war früher um einiges hoffnungsloser, als es heute ist. Gewiss, die Armut ist überall noch unübersehbar. Doch wenn es einen Fortschritt gibt, so ist es bei Vicky’s am deutlichsten sichtbar geworden. Aus der Wellblechhütte wurde ein akzeptables Holzhaus. Aus einer Etage wurden zwei. Die erbärmliche Inneneinrichtung wurde ebenfalls modernisiert. Sicherlich auch deshalb, weil die Besitzerin weltweit Furore gemacht hat, mit ihrem Angebot, eine Übernachtungsmöglichkeit im Ghetto anzubieten.
Die Übernachtungsmöglichkeit im Ghetto bietet einige Annehmlichkeiten, wie die Besitzerin kundtut: „Das Haus schaut nach Osten und hat viel Sonnenlicht am Morgen. Es gibt genügend Platz zwischen dem Haus und der Straße, Parkmöglichkeiten für Autos und Raum für Kinder zum Spielen. An warmen Samstagen stellen wir Stühle vor die Tür, um das geschäftige Alltagsleben des Townships zu beobachten“.
Es herrscht fast eine friedliche Idylle in dieser Armut. Doch die Momentaufnahme täuscht natürlich. Wie der Alltag hier wirklich aussieht, das kann der flüchtige Besucher nur erahnen.
Mittlerweile hat Vicky viele Unterstützer, welche die Millionen Mitbewohner im Ghetto nicht haben. Deshalb sieht jetzt, kurz vor Weihnachten, also im Sommer in Südafrika, die Realität immer noch so aus: