Die Türkei steht vor der Insolvenz: Die Währung kollabiert von einem Rekordtief zum nächsten. Die Börse Istanbul ist um 40% abgestürzt. Zehnjährige türkische Anleihen bei 20% Zins. Es droht der wirtschaftliche Kollaps mit Dominoeffekten in die Euro-Zone.
Türkische Lira gegen Euro - 1 Jahr, Rekordtief
Von Michael Mross
Kollabiert die türkische Wirtschaft, stürzt Erdogan.
Bewegungen an den Währungsmärkten gelten in der Regel als treffsicherer Indikator für zukünftige Krisen. Und was sich derzeit am Bosporus abzeichnet ist nichts anderes als ein Showdown. Die türkische Lira hat in einem Jahr fast 50% an Wert eingebüßt. Das bedeutet: Die Mehrheit der Türken, die sich nicht gegen den Wertabsturz absichern können, wurde um 50% enteignet. Das dürfte schwerwiegende Folgen haben.
Angeblich soll Erdogan seine Landsleute aufgerufen haben, ihr Gold gegen Lira zu tauschen. Bisher ein schlechter Deal: Wer sein Vermögen im Edelmetall sicherte, konnte die Kaufkraft erhalten.
Der Absturz betrifft jedoch nicht nur die Währung. Auch die türkische Börse ist um 40% abgestürzt. Und auch bei den Anleihen brennt es lichterloh. Türkische Bonds rentieren derzeit bei 20%.
Auswirkung auf Eurozone
So sieht der Untergang aus: In der Türkei drohen 1923iger Verhältnisse mit massiver Geldentwertung und entsprechender Inflation. Damit dürfte das Land politisch erheblich destabilisiert werden.
Dass damit auch Erdogan untergehen dürfte, sollte westliche Beobachter jedoch nicht zu früh freuen. Denn die Türkei gehört zwar nicht zum Euro ist aber über die kommunizierenden Röhren des Finanzsystems direkt mit Resteuropa verbunden.
Und mitten drin dabei: Viele Geldhäuser der Euro-Zonen-Südschiene. Das ist wohl auch mit ein Grund, warum der Euro in letzter Zeit abschmierte: Wegen Sippenhaft.
Die Rechnung ist einfach: Kippt die Türkei, fällt die Eurozone hinterher. Eine Bankenkrise wäre unausweichlich und damit eine neue Finanzkrise.
In der Eurozone haben die französische BNP Parisbas und die italienische Unicredit die größten Verflechtungen mit der Türkei. Doch auch alle anderen sind mit dabei. Bankaktien gehen deshalb heute nach unten, auch die Deutsche Bank und verlieren über 3%.
Türkei Insolvenz steht kurz bevor
Wirtschaftshistoriker Russell Napier sieht im NZZ-Interview schwarz für die Zukiunft. Die Türkei steht am Abgrund: "Die Insolvenz der Türkei ist keine Frage der Zeit mehr - der Anfang ist schon gemacht" prognostiziert er. Wenn das stimmt - und die Währungsverwerfungen zeigen es - können wir uns warm anziehen. Denn es droht nichts geringeres als eine zweite Finanzkrise, die noch viele schlimmer ausfallen könnte als die letzte.
Auszug aus dem NZZ-Interview
Napier sieht im im globalen Kreditsystem erste frühe Krisensymptome:
"Der Dollar wird dann stark, wenn sich ein Kreditereignis (Anm. Pleite) abzeichnet. Das ist aus drei Gründen der Fall. Erstens ist Europa nicht mehr so wachstumsorientiert, wie es war. Zweitens riechen die Anleger Stress im globalen Kreditsystem. Drittens sehen die Renditen amerikanischer Staatsanleihen ziemlich attraktiv aus, wenn man sie mit jenen nordeuropäischer Staaten und Japans vergleicht."
Wo sehen Sie konkrete Hinweise auf Probleme im Kreditsystem?
"Zunächst sind in den vergangenen Jahren weltweit rekordverdächtig viele Dollar-Verbindlichkeiten eingegangen worden. Dazu kommen die Schwierigkeiten Argentiniens, den Wechselkurs des Peso stabil zu halten. Zweitens können mehrere türkische Firmen ihre Schulden nicht mehr bedienen, vor allem die in fremden Währungen.
International tätige Finanzinstitute, die der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ihre Positionen melden, weisen Gegenparteirisiken von mehr als 400 Mrd. $ mit Bezug zur Türkei aus. Dazu kommt die Tatsache, dass verschiedene chinesische Firmen von der Regierung gerettet werden mussten, weil sie mit ihren Dollarkrediten nicht mehr klargekommen sind. In Europa ist der sogenannte Ted-Spread, also der Aufpreis für variabel verzinstes Fremdkapital in Dollars, auf das Niveau gestiegen, auf dem er im Jahr 2007 war."
Deutet das auf künftigen Ärger an den Finanzmärkten hin?
"Ja – und die Türkei fällt in diesem Zusammenhang aufgrund der enormen Unwägbarkeiten am stärksten auf. Dabei geht es nicht nur um die Forderungen vor allem französischer und italienischer Banken, sondern auch um die Risiken, die internationale Obligationenfonds in ihren Büchern haben.
Diese Finanzinstitute stehen wohl noch nicht vor Solvenzproblemen, aber ihre Profitabilität und die Wachstumsmöglichkeiten könnten deutlich beeinträchtigt werden. Dazu kommt die Frage, was im Krisenfall mit den 3 Mio. Flüchtlingen in der Türkei passieren wird und ob die Vereinbarung mit der Europäischen Union turbulentere Zeiten übersteht."
Sie fürchten die Insolvenz der Türkei?
"Diese findet doch gerade statt. Ich kann Ihnen mehrere Firmen nennen, welche ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Ein Beispiel ist die Telekom-Holding Otas, ein weiteres das Konglomerat Dogus, das seine Verbindlichkeiten restrukturieren musste.
Es ist keine Frage der Zeit mehr, bis es so weit kommt, sondern der Anfang ist schon gemacht. Letztlich wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in meinen Augen nicht darum herumkommen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, um Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig tiefen Zinsen zu erzielen. Das wäre die De-facto-Insolvenz, weil viele Firmen ihre Auslandsverbindlichkeiten aus juristischen Gründen nicht mehr bedienen könnten."