Liebe Leser,
am Anfang war bekanntlich das Wort. Oder bezogen auf die Strategiepapiere von DAX-Konzernen: das blumige Blabla. So verlautete im vergangenen Jahr erstmals aus der Daimler-Konzernzentrale, dass die Mobilitätsdienstleistungen zur tragenden Säule des Unternehmens ausgebaut werden sollten. Ich bin mir sicher: Bei den meisten Anlegern ging die Ankündigung zum linken Ohr rein und zum rechten wieder raus, weil sich keiner unter den Worten etwas Konkretes und Greifbares vorstellen konnte. Das hat sich inzwischen geändert. Und es wird allmählich erkennbar, welche Konsequenzen dies hat. Wir werden möglicherweise eine ähnliche Transformation erleben, wie sie etwa bei der Axel Springer AG zu beobachten war.
Vielversprechende Investitionen, die keine Autos verkaufen
Daimler hatte in der Vergangenheit schon den Carsharing-Dienst car2go, die Mobilitäts-App moovel und die Taxi-App mytaxi aufgebaut. Am Donnerstag folgte dann der nächste Zukauf für die Sparte. Das neueste Pferd im Stall nennt sich flinc und ist führender Anbieter für eine App, die Mitfahrgelegenheiten vermittelt. Die Anwendung wird zum Beispiel auch von Firmen fleißig genutzt, um Fahrgemeinschaften von Mitarbeitern zu organisieren.
Das sind insgesamt betrachtet recht vielversprechende Investitionen in die Zukunft. Sollten sich die Projekte am Markt durchsetzen können, winken in einigen Jahren lukrative Renditen. Doch mit keinem dieser Geschäfte wird der Daimler-Konzern ein Auto mehr verkaufen können. Das ist ein entscheidender Punkt, so glaube ich, um verstehen zu können, was bei den Stuttgartern derzeit vor sich geht.
Vorbild Axel Springer?
Axel Springer hat es vorgemacht. Zu dem Verlagshaus gehören nach wie vor die „BILD“-Zeitung, die „Bild am Sonntag“ und „Die Welt“. Die ersten beiden Erzeugnisse sorgen immer noch für Gewinne, letzteres Blatt war schon immer ein Projekt, das quasi außer Konkurrenz lief. Aber von anderen Beteiligungen im Kerngeschäft hat man sich infolge der Zeitungskrise sukzessive getrennt. Stattdessen hat man sich zu einem der größten Digital-Konzerne Europas gemausert.
Und ähnliches könnte sich auch für Daimler ergeben. Natürlich fällt die Verschiebung des Geschäftsschwerpunkts noch nicht so drastisch aus, insbesondere wenn man die Umsätze der verschiedenen Sparten heranzieht. Doch niemand kann aktuell genau sagen, wie sich die globale Autoindustrie durch Themen wie Elektromobilität und autonomes Fahren in den kommenden zehn Jahren verändern wird. Vielleicht zählt Daimler zu den Gewinnern, vielleicht aber auch zu den Verlierern.
Der DAX-Konzern baut dieser Entwicklung mit seinen Mobilitätsdienstleistungen insofern vor, als dass man sich eine weitere Sparte aufbaut, die in zehn Jahren verlässliche Einnahmen garantieren wird. Denn auch dann werden sich die Menschen weltweit noch mithilfe von Autos fortbewegen. Fragt sich eben nur, wie viele davon dann noch einen Mercedes-Stern tragen.
Ein Beitrag von Mark de Groot.