Das Scheitern in Afghanistan bedeutet nach der Einschätzung des Berliner Politologen Herfried Münkler eine Zäsur in der politischen Geschichte des Westens. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstagausgabe) sagte er, seiner Einschätzung nach seien alle Versuche an ein Ende gekommen, westliche Werteordnungen mit militärischen Mitteln zu exportieren. Dieses Vorhaben sei naiv und ohne wirkliche Kenntnis der Struktur der afghanischen Gesellschaft angegangen worden, warf Münkler den westlichen Alliierten vor.
Die Erwartung, Weltordnungen auf der Basis politischer Normen und Regeln zu errichten, sieht der Politikwissenschaftler grundsätzlich erschüttert. "Die Modelle des humanitär begründeten militärischen Agierens muss man revidieren", sagte Münkler der NOZ und forderte einen grundsätzlichen Politikwechsel des Westens. Das Scheitern in Afghanistan habe gezeigt, dass die Botschaft der westlichen Werte dort kulturell wenig attraktiv gewirkt habe und als fremde Ideologie erfahren worden sei.
Münkler, bis 2018 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, plädierte dafür, die Weltordnung im 21. Jahrhundert auf einen Ausgleich von Interessen zu gründen. Seiner Meinung nach führt vor allem China vor, wie eine neue Realpolitik aussehen könne. "Sie verbinden Politik nicht mit einem Werteexport", sagte Münkler, der die Welt des 21. Jahrhunderts von den fünf großen Blöcken der USA, der Europäischen Union, Chinas, Indiens und Russlands dominiert sieht.
Es komme darauf an, dass keiner dieser Blöcke versuche, den anderen Akteuren seine Werteordnung aufzudrängen. Eine auf Werte basierte Weltordnung brauche immer einen Hüter. Die USA haben nach Münklers Worten die Lust daran verloren, diese Rolle des weltweiten Hüters einer Werteordnung zu übernehmen.
Foto: Taliban in den Straßen von Kabul, über dts Nachrichtenagentur