Ein ukrainischer Spezialkräfte-Kommandeur soll eine maßgebliche Rolle bei den Sprengstoff-Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines im September 2022 gespielt haben.
Nach gemeinsamen Recherchen des SPIEGEL und der „Washington Post“ soll Roman Tscherwynsky, 48, ein langjähriger Agent der ukrainischen Geheimdienste, eine der zentralen Figuren hinter den Attacken auf die Röhren sein. Er soll den Angriff „koordiniert“ haben. Tscherwynskys Name wird in diesem Zusammenhang sowohl in ukrainischen als auch in internationalen Sicherheitskreisen genannt.
Der Name eines mutmaßlichen Drahtziehers aus dem ukrainischen Sicherheitsapparat, ist der bislang deutlichste Beleg, dass die Gasleitungen in der Ostsee von ukrainischen Tätern gesprengt wurden. Ermittler von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und des Generalbundesanwalts haben darüber hinaus inzwischen zahlreiche Spuren zusammengetragen, die in die Ukraine weisen. Aus Sicherheitskreisen heißt es, es sei kaum vorstellbar, dass nicht zumindest der ukrainische Generalstab über die Sabotageaktion informiert gewesen sei.
In einer schon im Juni 2022 verschickten Warnung hatte der Militärnachrichtendienst der Niederlande an die CIA gemeldet, der Anschlag würde von einer Gruppe vorbereitet, die »unmittelbar« dem ukrainischen Generalstabschef Walerij Saluschnyj berichte. Ex-Agent Tscherwynsky soll damals tatsächlich in einer Freiwilligen-Einheit der ukrainischen Spezialkräfte gedient haben.
Den Erkenntnissen der deutschen Ermittler zufolge mieteten die Täter für ihren Anschlag die Segeljacht „Andromeda“ und fuhren mit ihr über mehrere Zwischenstationen zu den Anschlagsorten in der Ostsee. Taucher sollen dann Sprengsätze zu den Pipelines am Meeresgrund gebracht haben.
Tscherwynsky gehörte über viele Jahre den ukrainischen Geheimdiensten SBU und GUR an und zeichnete für besonders spektakuläre Aktionen verantwortlich. 2019 entführte der SBU mit Tscherwinskys Zutun den Separatisten Wladimir Zemach, der am Abschuss des Flugzeuges MH 17 beteiligt gewesen sein soll. Außerdem war Tscherwinsky an der Schein-Rekrutierung Dutzender Wagner-Söldner beteiligt, die in die Ukraine entführt werden sollten.
Derzeit steht der 48-jährige in Kiew vor Gericht. Beim Versuch, einen russischen Kampfjetpiloten zum Überlaufen zu bewegen, soll er Kompetenzen überschritten haben. Er sitzt in Untersuchungshaft. Er selbst bezeichnet das Verfahren gegen ihn als politisch motiviert. Er hatte in der Vergangenheit lautstark Kritik an Präsident Wolodymyr Selenskyj und dessen Umfeld geäußert.
Tscherwynsky selbst bestritt auf Anfrage eine Beteiligung an den Nordstream-Attacken. Entsprechende Hinweise seien „russische Propaganda“, ließ er über seinen Anwalt ausrichten. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte eine ukrainische Beteiligung an den Sprengungen in der Vergangenheit bestritten. Eine Anfrage des SPIEGEL und der „Washington Post“ beantwortete die ukrainische Regierung nicht.