Der Auslöser - ein Bericht der Basler Zeitung am 8. Januar:
Folgender Kommentar darunter wurde bei Facebook gelöscht, der User für 30 Tage gesperrt:
"Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über `Facharbeiter`, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt."
Ein Berliner Gericht verurteilte Facebook nun, den Kommentar wieder frei zu schalten. Eine Reaktion des "Sozialen Netzwerks" steht noch aus. Müssen demnächst deutsche Gerichte über die Veröffentlichung von Kommentaren bei Facebook entscheiden?
Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel erkämpfte den "Freispruch" für den Kommentar.
Damit ist es erstmals in Deutschland gelungen, ein gerichtliches Verbot gegen Löschungen und Sperrungen rechtmäßiger Inhalte durch Facebook zu erwirken. Die Hamburger Kanzlei Rechtsanwälte Steinhöfel hat beim Landgericht Berlin eine entsprechende einstweilige Verfügung beantragt und erhalten (Beschluss vom 23.03.2018, 31 O 21/18).
Der Fall: Die „Basler Zeitung“ verlinkte am 08.01.2018 den Artikel „Viktor Orban spricht von muslimischer ‚Invasion‘“ auf ihrer Facebook-Seite. Angekündigt mit einem Zitat des ungarischen Regierungschefs: „Viktor Orban wundert sich, wie in einem Land wie Deutschland [...] das Chaos, die Anarchie und das illegale Überschreiten von Grenzen als etwas Gutes gefeiert werden konnte’“.
Der Nutzer Gabor B. kommentierte: „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter’, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt“.
Dieser Kommentar war kurz danach derjenige mit den meisten „Likes“. Bis er von Facebook wegen eines angeblichen und nicht näher erläuterten Verstoßes gegen deren Gemeinschaftsstandards gelöscht und B. für 30 Tage gesperrt wurde. Joachim Steinhöfel: „Man mag die Einschätzung des Kommentators teilen oder die Äußerung als polemisch und unsachlich erachten. Wichtig ist nur: Der Kommentar ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.“
Facebook lenkte auf die Abmahnung von Rechtsanwälte Steinhöfel teilweise ein und hob die Sperre auf, die Löschung aber nicht. Die Anwälte Facebooks teilten mit, dass eine „erneute sorgfältige Überprüfung zu dem Ergebnis (kam), dass die Gemeinschafsstandards korrekt angewendet worden waren und der Inhalt daher nicht wiederhergestellt werden kann.“
In der vom Landgericht Berlin erlassenen einstweiligen Verfügung wird dem Unternehmen nun unter Androhung von Ordnungsgeldern bis zu € 250.000,00 oder Ordnungshaft verboten, den zitierten Kommentar zu löschen oder B. wegen dieses Kommentars zu sperren.
Einstweilige Verfügungen werden in der Regel nicht begründet. Das Gericht konnte dem Antrag aber nur stattgeben, wenn es die Rechtsauffassung vertrat, dass a) Nutzer es nicht hinnehmen müssen, dass ihre rechtmäßigen Inhalte aus sozialen Medien gelöscht werden und dass b) der konkret gelöschte Inhalt rechtmäßig und zulässig war.
„Dies ist ein richtungsweisender Beschluss und die erste derartige Gerichtsentscheidung in Deutschland. Endlich haben Nutzer eine Handhabe gegen die intransparenten Machenschaften eines Konzerns, der mit seiner Verantwortung umgeht, als handele er mit gebrauchten Fahrrädern“, sagt Steinhöfel.
„Dieses Verfahren berührt eine für die Kommunikation in sozialen Netzwerken sowie für die Teilhabe am Meinungsaustausch in einem Netzwerk mit marktbeherrschender Stellung grundlegende Rechtsfrage: Hat der sich vertrags- und rechtstreu verhaltende Nutzer der Dienste von Facebook oder Twitter eine Löschung seiner Inhalte oder eine darauf fußende Sperre hinzunehmen oder nicht? Der Beschluss ist ein wichtiger Etappensieg für die Meinungsfreiheit.“
Steinhöfel sieht sich zudem in seiner Kritik am umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bestätigt. „Es ist nicht nur verfassungswidrig, es funktioniert auch nicht, sondern dient noch als Brandbeschleuniger der aktuellen willkürlichen Lösch- und Sperrpraxis.“ In den Materialien zu dem Gesetz hieße es zwar: „Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden“. Justizminister Maas habe es aber in fahrlässiger Weise unterlassen, einen solchen Anspruch auch in das Gesetz aufzunehmen, so Steinhöfel.
Der Beschluss wurde am 23.3.2018 vom Landgericht Berlin erlassen und den Rechtsanwälten Steinhöfel am 6.4.2018 zugestellt. Er wird jetzt per Gerichtsvollzieher der Gegenseite zugestellt. Ab Zustellung ist er von Facebook zu beachten. Das Unternehmen kann Rechtsmittel einlegen.
Über Rechtsanwälte Steinhöfel
Der Hamburger Anwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel ist einer der profiliertesten und bekanntesten deutschen Wettbewerbs- und Medienrechtler. Weitere Kernbereiche seiner 1989 gegründeten Kanzlei sind Rechtsfragen des Internets und E-Commerce. Steinhöfel kann auf Erfahrungen aus nahezu 10.000 Zivilprozessen zurückgreifen, die häufig über mehrere Instanzen geführt wurden - bis heute brachte er weit über 200 Verfahren zum Bundesgerichtshof (BGH).
Steinhöfel, der zudem als Publizist und Blogger tätig ist, setzt sich seit Jahren vehement für die Meinungsfreiheit, insbesondere in sozialen Netzwerken, ein und gilt als vehementer Kritiker des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Auf der von ihm ins Leben gerufenen Seite „Facebook-Sperre - Wall Of Shame“ dokumentiert er seit 2016 zahlreiche Fälle von zu Unrecht gesperrten Usern oder gelöschten Beiträgen sowie unterbliebenen Löschungen von strafbaren Kommentaren.
Über die Seite wurde international berichtet. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die gesammelten Fälle in einem Gutachten (WD 10 - 3000 - 037/17) als Beleg für die schwierige Beurteilung von strittigen Inhalten von Hasskommentaren anhand der vielfach intransparenten Lösch- und Nicht-Löschpraxis von Facebook erwähnt. Mehr unter www.steinhoefel.de sowie unter https://facebook-sperre.steinhoefel.de/