Nach Einschätzung von Experten könnte die AfD noch stärker werden und die SPD überholen.
"Wenn es den Regierungsparteien nicht bald gelingt, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, kann die AfD auch noch weiter zulegen und die SPD überflügeln", sagte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer dem "Handelsblatt".
Als Grund nannte er die zuletzt gestiegenen Umfragewerte der AfD bei gleichzeitig hoher Unzufriedenheit mit der Arbeit der Großen Koalition in verschiedenen wichtigen Politikfeldern.
Diese zeige, "dass sich die Unterstützung der AfD immer stärker von ihrem Markenkern, der Asyl- und Flüchtlingspolitik, gelöst hat und die AfD immer stärker zum allgemeinen Vehikel des Protests gegen die als unzureichend wahrgenommene Performance der Regierungsparteien wird."
Dazu hätten Union und SPD "sehr stark selbst beigetragen", so Niedermayer, "weil sie sich in den letzten Monaten politisch zerlegt haben". Ähnlich sieht es der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. "Das AfD-Gewinnerthema ist die Unzufriedenheit mit der Entscheidungskraft der Regierung", sagte Oberreuter dem "Handelsblatt".
Themen würden von Union und SPD zum Teil "emotional hochgezogen", Projekte mit Dringlichkeit versehen angekündigt, doch Lösungen blieben aus. Das habe zwar gute Gründe, "weil die Probleme zu komplex sind, als dass sie sich im Aufmerksamkeits- und Erwartungstakt des Publikums lösen ließen", so Oberreuter.
Doch dieser "Beschleunigungsdruck" belaste die Etablierten und fördere die Protestierer. "Ergo profitiert die AfD von der Illusion einfacher und schneller Lösungen und vom Wunsch nach einer starken Regierung."
Meinungsforscher schätzt Wählerpotential der AfD auf 20 Prozent
Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa, Hermann Binkert, schätzt das Wählerpotential der AfD auf um die 20 Prozent. „Die AfD ist die Partei mit dem geringsten zusätzlich möglichen Potential. Vier Punkte könnte sie aktuell noch zulegen, wenn sie ihr Potential maximal ausschöpft“, sagte Binkert dem Handelsblatt. Es sei aber noch wahrscheinlicher, dass die AfD die SPD wieder überhole, als dass sie die 20-Prozentmarke überspringt. „Gefährlicher für die SPD ist die Stärke der Grünen“, fügte der Insa-Chef hinzu. „Sie könnten der SPD die Führungsrolle im Mitte-Links-Lager entreißen.“
Die Stärke der AfD führt Binkert auf das Asyl- und Zuwanderungsthema zurück, das nach wie vor „sehr viele Menschen“ beschäftige. „Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die Berichte in den Medien, das eigene Erleben kann auch ein Hitzesommer nicht vergessen machen“, sagte er. Insgesamt seien die Umfragezahlen auch in diesem Sommer wieder sehr stabil, fügte der Insa-Chef hinzu. „Die eigentliche Botschaft ist der Trend seit der Bundestagswahl: CDU, CSU und SPD haben etwa jeweils jeden achten Wähler verloren, Grüne und AfD jeweils jeden vierten Wähler neu hinzugewonnen.“
Foto: Journalisten bei der AfD, über dts Nachrichtenagentur