Immer neue Details zeichnen ein brutales Bild der Ermordung von Jamal Khashoggi. Abseits der blutrünstigen Umstände wirft der Fall viele Fragen auf. Was wußte er, dass die Saudis ihn umgehend in einer Botschaft liquidierten? Was wußten CIA & Co.?
von Christian Hiß
Die causa Jamal Khashoggi, des im Istanbuler Konsulats Saudi-Arabiens ermordeten und zersägten Journalisten, ist ein stetes Auf und Ab. Jeden Tag kommen neue Details ans Licht, werden neue Verbindungen aufgedeckt. Dachte die Weltöffentlichkeit bis vor kurzem, der Fall hätte nur die Türkei und Saudi-Arabien vor ein Dilemma gestellt, sind nun auch die USA involviert. Wollten die USA ebenso wie die Saudis Khashoggi entsorgt sehen?
Juni 2017 – Khashoggi verlässt Saudi-Arabien Richtung Exil in Washington, D.C., USA. Dort ist er als Kolumnist für die „The Washington Post“ tätig.
Mai 2018 – Khashoggi lernt Hatice Cengiz, eine 36jährige türkische Doktorandin kennen, mit dieser ist er bald verlobt.
28. September 2018 – Khashoggi sucht das Konsulat Saudi-Arabiens auf. Offiziell/in den Mainstream-Medien heißt es, er benötigte eine Scheidungsurkunde, um Hatice Cengiz in der Türkei heiraten zu können. Khashoggis Verlobte beschrieb diesen Besuch im Konsulat später als freundlich; der Journalist sei herzlich empfangen und ihm versichert worden, die notwendigen Dokumente seien bald abholbereit.
2. Oktober 2018 – Khashoggi sucht erneut das Konsulat auf, vorgeblich um die notwendigen Dokumente abzuholen. Seine Verlobte wartet außerhalb des Konsulats. Der Journalist betrat das Gebäude durch den Vordereingang um 13:14 Uhr MESZ. Drei Stunden später fragt Cengiz Mitarbeiter des Konsulats nach dem Verbleib ihres Verlobten; ihr wird gesagt, dieser hätte das Konsulat durch einen Hintereingang verlassen.
Zersägt auf dem Privatschreibtisch des audischen Generalkonsuls
Heute wissen wir, dass Khashoggi das Konsulat nicht mehr verlassen hat, zumindest nicht lebend. Viel eher ist davon auszugehen, dass er von einem extra eingeflogenen 15köpfigen Team überwältigt, gefoltert und betäubt wurde.
Am Körper des betäubten, aber noch lebenden, Journalisten machte sich dann ein Gerichtsmediziner, Teil des 15köpfigen „Hit Teams“, mit der Knochensäge zu schaffen, zerlegte ihn und brachte ihn so um. Das alles auf dem Privatschreibtisch des Generalkonsuls, dem auf seinen Protest hin ebenfalls mit dem Tod gedroht wurde: „Wenn du leben willst, wenn du nach Saudi-Arabien zurückkehrst, sei still.“
Am 3. Oktober widersprechen sich die saudi-arabischen und türkischen Behörden. Erstere behaupten, Khashoggi hätte das Konsulat unbeschadet verlassen, sei seit dem jedoch verschwunden. Die türkischen Behörden halten dagegen, Khashoggi hat das Konsulat nie verlassen. Am 4. Oktober bestellt das türkische Außenministerium den saudi-arabischen Botschafter ein.
Einen Tag später, am 5. Oktober, der König Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman, alias „MbS“, erklärt gegenüber „Bloomberg“, dass Khashoggi sich nicht im Konsulat aufhalte (dort festgehalten wird) und er auch keine Einwände gegen eine Vor-Ort-Untersuchung durch die türkischen Behörden hätte. Am Tag darauf (6.10.) empfängt der saudi-arabische Generalkonsul, Mohammad al-Otaibi, gegenüber Journalisten von „Reuters“: „Jamal [Khashoggi] ist weder im Konsulat noch im Königreich Saudi-Arabien, und das Konsulat und die Botschaft arbeiten [zusammen], um ihn zu finden.“ Der Konsul sagte weiter, „wir sind besorgt.“
Gesucht haben ihn die Saudis jedoch nicht noch waren diese besorgt, wie Generalkonsul al-Otaibi es ausdrückte.
Die „Entführung“ bzw. Ermordung Khashoggis war geplant und keine Überraschungstat – weder für Saudi-Arabien noch die USA.
Die Geheimdienste beider Länder haben Khashoggi überwacht, die USA vorgeblich sogar mit ihm zusammengearbeitet, ihm das Gefühl gegeben, auf ihn „aufzupassen“ (ihn schlussendlich aber nicht gewarnt), wie alternative US-Medien berichteten.
US-Präsident: Trump „Khashoggi ist tot.“
US-Präsident Trump sagte am Donnerstag gegenüber Journalisten der „The New York Times“ im Oval Office: „Außer das Wunder der Wunder geschieht, gehe ich davon aus, dass Khashoggi tot ist.“
Die „NYT“ beschrieb Präsident Trump als „ungewöhnlich vorsichtig und diszipliniert“ während des Interviews, welches bezeichnenderweise stattfand kurz nachdem der Präsident von Außenminister Pompeo, der gerade aus Saudi-Arabien und der Türkei zurückkam, gebrieft worden ist.
Trumps Umgang mit den Journalisten der „NYT“ ist ein klares Zeichen dafür, dass die USA mehr wissen als sie zugeben und tiefer involviert sind als bisher gedacht.
Die Apple Watch und das Dilemma der Drei: Saudi-Arabien, Türkei und USA
Die türkische Zeitung „Yeni Safak“ berichtete, ihr liege eine Audioaufnahme vor, die belege, dass Khashoggi während eines Verhörs mehrere Finger abgeschnitten worden seien, bevor er enthauptet worden sei.
Die „BILD“ berichtet, der Mord an Khashoggi sei von dessen Apple Watch aufgezeichnet und in die Cloud hochgeladen worden – das ist natürlich völliger Unsinn.
Fakt ist, das wissen wir von diversen Fotos, dass Khashoggi eine Apple Watch der dritten Generation besaß. Diese smarte Uhr ist zwar in der Lage, Audioaufzeichnungen anzufertigen, jedoch benötigt sie für das Hochladen in die Cloud eine Datenverbindung, etwa LTE – das wird in der Türkei jedoch nicht für die Apple Watch angeboten – WiFi-Zugang, äußert unwahrscheinlich innerhalb des Konsulats, oder mittels Bluetooth über ein zugehöriges iPhone.
Der Journalist nahm sein iPhone jedoch nicht mit ins Konsulat, sondern ließ dieses bei seiner Freundin. Eine Bluetooth-Verbindung schafft aber maximal 15 Meter (50 Fuß), eher 9 Meter (30 Fuß). Die Apple Watch als zufälliger Enthüllungshelfer scheidet aus; es ist eine Finte der Türken begründet im türkischen Dilemma.
Türkisches Dilemma: Alle Beweise stammen aus Spionage
Die Türken haben das Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul entweder verwanzt oder einen Informanten innerhalb des Konsulats gewonnen, vermutlich beides, und können deshalb weder Informationen noch gar Beweise selbst vorlegen, sondern müssen alles – halbwegs „glaubwürdig“ – über die Presse lancieren.
Ein Abhören von diplomatischen Missionen gehört sich eben nicht, weder unter Freunden noch unter Feinden, aber was sich noch weniger gehört ist, zuzugeben, dass man es dennoch macht und dabei zu riskieren, zu offenbaren, WIE man es macht.
Saudisches Dilemma: Mord in eigener diplomatischer Mission
Das Dilemma vor dem Saudi-Arabien steht, ist wohl das unangenehmste. In einer der diplomatischen Missionen des Königreichs wurde einer seiner Staatsbürger von seinen Landsleuten umgebracht (oder betäubt) und (dann) zerlegt (und umgebracht) und zwar derart, dass fremde Geheimdienste und halbwegs versierte Journalisten die Tat in Einzelheiten nachvollziehen können.
Zudem bleibt Saudi-Arabien nun kaum noch ein Ausweg, entweder der Mord geschah auf Befehl höchster Kreise oder aber der Geheimdienst ist zum Staat im Staate geworden – beides dürfte die Weltöffentlichkeit nicht beruhigen.
US-Dilemma: Verbündeter, Meuchelmörder oder doch partner in crime?
Nicht besser geht es der Trump-Administration. Immerhin ist es (spätestens) unter Präsident Trump wesentlicher Teil der US-Außenpolitik geworden, hinter dem Königreich aufzuräumen – egal ob es um Menschenrechtsverletzungen, Terrorunterstützung oder den Krieg im Jemen ging. Nun müssen sich die USA entscheiden, auf Aufklärung drängen und gegebenenfalls sanktionieren oder, um die Freundschaft/den Schein zu wahren, höflich um Aufklärung bitten oder gleich bei der Vertuschung helfen?
Bisher sieht einiges danach aus, als hätten die Dienste der USA und Saudi-Arabiens zusammengearbeitet und die USA den Tod Kashoggis zumindest billigend in Kauf genommen. Die Frage ist jedoch, welches Ziel verfolg(t)en die USA oder warum war Khashoggi eine Gefahr?
Kashoggi: Gefahr für Saudi-Arabien und USA?
Drohte Khashoggi etwa den Saudis mit der Enthüllung der Ergebnisse seiner angeblichen Recherchen zu 9-11 wie einige alternative Medien in den USA vermuten oder geht es beim Verhalten der USA doch nur um Waffen, Öl und Friedensicherung, wie die „Süddeutsche Zeitung“ mutmaßte?
Sollte Khashoggi etwas über 9-11 gewusst und den Saudis am 28. September 2018 mit der Enthüllung gedroht haben, hätten Letztere – vielleicht wie auch die USA – Grund gehabt, ihn zu beseitigen. Am 28. September sucht der Journalist das Konsulat auf, deutet an, was er hat, eine vage Drohung und verlangt mit höherer Stelle zu sprechen.
Der Geheimdienstresident reagiert geistesgegenwärtig und sichert Kashoggi zu, bereits am 2. Oktober mit einem Offiziellen, der dann aus Riyad anreist, zu sprechen. Der CIA, der Kashoggi ebenfalls beschattet bzw. sich als sein Freund geriert, bestärkt ihn, am 2. Oktober das Konsulat aufzusuchen. Dann und dort erwartet Kashoggi jedoch kein Offizieller zum Gespräch, sondern ein 15köpfiges „Hit Team“ ausgerüstet auch mit einer Knochensäge.
Die banalere – weniger aufregende Geschichte – die Saudis haben einen Dissidenten, einen Unliebsamen entsorgt, auf eine Art und Weise, die dümmer als dumm ist, die selbst die politischen Morde des Kalten Krieges (inklusive aller dilettantischen Attentatsversuche des CIA gegen Fidel Castro) übertrifft und die USA sehen darüber hinweg, da das Königreich langjähriger Verbündeter vor Ort und Vorposten gegen den Iran ist genau wie ein guter Kunde der US-Rüstungsindustrie.
Außerdem brauchen die USA die Saudis um die Palästinenser im Schach zu halten, um Trumps „Lösung“ des Israel-Palästina-Konflikts durchzudrücken. Es wird für die USA jedoch schwer, die Welt von der Bösartigkeit Irans zu überzeugen, wenn der treue Verbündete Saudi-Arabien Killerkommandos in NATO-Mitgliedsländer wie die Türkei entsendet – vielleicht geht es doch um mehr als Waffen, Öl und Friedenssicherung. Die kommenden Tage werden es zeigen.