Die Schlagzeile ist Fake. Es ist ein Gedankenspiel. - Diese Woche findet in der Saudi-Haupstadt Riad "Davos in der Wüste statt". Fast alle Wirtschaftsbosse haben abgesagt - nur Siemens-Chef Kaeser nicht. Business must go on!
Update Montag: Siemens-Chef Kaeser sagt Teilnahme an Riad-Konferenz ab
von Wolfgang Hübner
Man stelle sich vor: Ein bekannter regierungskritischer russischer Journalist im britischen Exil, nennen wir ihn Igor, betritt die Botschaft seines Landes in London, um sich Papiere für seine geplante Hochzeit zu besorgen.
Doch er kommt nicht mehr aus dem Gebäude, nie mehr. Die ganze Welt wundert sich, empört sich, die britische Regierung gibt schließlich bekannt, ihr lägen Beweise vor, dass Igor in der russischen Botschaft gefoltert, ermordet und zerstückelt worden sei.
Überall in den westlichen Ländern werden russische Botschafter zur Rede gestellt, die NATO ruft eine Sonderkonferenz ein, die Westmächte inklusive Deutschland drohen Russland mit einschneidenden Sanktionen, der Papst appelliert, Amnesty International hyperventiliert.
In immer größerer Not lässt Putin schließlich erklären, in der Botschaft sei es zu einem Streit mit Igor gekommen, der mit dem Tod des Journalisten geendet habe. Der Vorfall sei bedauerlich, aber selbstverständlich habe Putin mit all dem nichts zu tun.
Die höhnisch-aggressiven Reaktionen von Berlin über Paris bis Washington lassen sich leicht vorstellen. Was aber sind die Reaktionen auf den nun faktisch eingestandenen Mord an dem regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat von Saudi-Arabien in Istanbul?
Eine besonders bemerkenswerte Reaktion gab es schon vor einigen Tagen: Siemens-Chef Joe Kaeser, der vielgepriesene Anti-AfD-Kämpfer („Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel“) sagte in Toronto: „Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben“.
Kaeser bezog sich mit seiner Äußerung auf eine geplante Investorenkonferenz in Riad Ende Oktober, auf der es um lukrative Aufträge gehen soll. Nun hagelt es natürlich Absagen vor allem aus westlichen Staaten. Sehr zurückhaltend ist bislang allerdings Deutschland. Die Bundesregierung meint, die Entscheidung über eine Beteiligung solle jedes Unternehmen selbst treffen. Irgendwie verständlich, denn Außenhandel geht beim Exportweltmeister allemal vor Moral – die ist bekanntlich für Sozialinvasoren reserviert.
Nach dem Mordgeständnis der Saudis sind selbstverständlich wortreiche Distanzierungen und medienwirksame Verurteilungen solch brutal-grausiger Praktiken zu erwarten. Doch die Abhängigkeiten von saudischem Öl, Investitionen und Beteiligungen ist für den Westen viel zu groß, um zu jenen Maßnahmen zu greifen, die Russland gewiss wären, wenn es in gleicher oder ähnlicher Weise gegen Putin-Feinde vorginge.
Und gilt nach einer sicherlich sündhaft teuren, aber durchaus erfolgreichen PR-Kampagne im Westen der mehr als nur mutmaßliche Auftraggeber des Mordes, nämlich Kronprinz Mohammed bin Salman, nicht als großer Reformer des Königreichs? Es hat schließlich auch bisher keine Rolle gespielt, dass dieser „Reformator“ für ungeheure Kriegsverbrechen im armen Jemen verantwortlich ist.
Wenn sich die ersten Empörungswogen geglättet haben, wird der Westen, insbesondere der verlässliche Waffenlieferant Deutschland, wieder schnell seinen Frieden finden mit dem Kronprinzen und seiner superreichen Verwandtschaft. Erst kürzlich musste Außenminister Maas einen Kniefall vor den Saudis machen, nachdem sein Vorgänger Gabriel diese kritisiert und damit sehr verärgert hatte.
Maas, der gerne von seiner Auschwitz-Motivation schwadroniert, hat diesen Job übrigens protestfrei erledigt. Denn er weiß so gut wie Merkel, Macron oder Trump, wie wichtig Saudi-Arabiens Reichtum und Westbindung ist.
Für wie unverzichtbar der Kronprinz seinen Staat hält, hat er mit dem dreisten Mord in dem Istanbuler Konsulat spektakulär bewiesen. Die Voraussage sei gewagt: Die Investorenkonferenz Ende Oktober wird, wenn überhaupt, nach den neuen Entwicklungen zwar ohne westliche, also auch ohne deutsche Beteiligung stattfinden.
Joe Kaeser kann sich also einstweilen wieder ganz dem Kampf gegen die AfD widmen. Aber schon Anfang nächsten Jahres wird die Konferenz in Riad gewiss nachgeholt, natürlich mit Joe Kaeser und allen anderen westlichen Industrie- und Finanzspitzen. Denn dann ist Khashoggi oder das, was von ihm übrigblieb, verscharrt. Nicht nur die Show, auch Business must go on!