Von der Leyen vergibt Berateraufträge, Chebli hat Spaß an Rolex, Barley will Grenzen offen halten und Nahles gründet Pferdekreis – es fühlt sich alles surreal an, als wärs der letzte Tag auf dem Jahrmarkt und die Schausteller reißen den Laden ab.
von Dushan Wegner
Jahrmärkte sind, wie das Leben auch, eine zugleich fröhliche wie auch traurige Angelegenheit. In der Großstadt findet sich an jedem Tag des Jahres (und in wirklich großen Großstädten auch zu jeder einzelnen Stunde des Tages) eine Ablenkung, eine Attraktion, ja, vielleicht sogar eine Sensation.
Draußen aber, vor den Städten und in den Dörfern, wo früher die Bauern wohnten und heute die Familien, die auch ein Häuschen haben wollen, dort wo Kinder bis vor kurzem noch Langeweile und Wald und Geheimnisse kannten (dann kamen Smartphones und andere Drogen), da sind Jahrmarkt, Kirchweihe und Schützenfest ganz wesentlich und unabdingbar notwendig für den intakten Jahresablauf und nicht zuletzt für die mentale Stabilität des sozialen Mikrokosmos.
Der Jahrmarkt hat einen festen Termin, wann er beginnt. Kurz vor Beginn, so es sich heutzutage noch für sie lohnt, kommen die Schausteller und bauen ihre hoffentlich behördengeprüften Geister-, Achter- und sonstigen Bahnen auf. Lässig an den Pfeilern des Autoscooters lehnen die Dorfromeos, schäkern mit den Julias und gehen heimlich im Kopf durch, wie viele Münzen sie noch übrighaben. Aus den Lautsprechern wird mit müdem Enthusiasmus aufgerufen, bei der nächsten Fahrt dabei zu sein. Es geht rund, immer wieder, Sportsfreunde, mein lieber Scholli!
Ja, ein guter Jahrmarkt ist ein Abbild des ganzen Lebens – und ein schlechter ist es auch. Wie der Jahrmarkt auch ausfällt, ein Jahrmarkt ist immer besser als kein Jahrmarkt. Doch, wie das Leben auch, geht der Jahrmarkt irgendwann zu Ende. Selbst fest-installierte Jahrmärkte, die soll es ja auch geben, gehen zu Ende an exakt dem Punkt, wo die Geldvorräte oder die Gesundheit des Unterhaltenen ihr Ende finden.
Ein oder zwei Unterschiede hat es dann doch zwischen Jahrmarkt und Leben. Der erste: Auf dem Jahrmarkt (wie übrigens auch im kölschen Karneval) ist es klüger, die Dinge alle als uneigentlich zu betrachten – im Leben würde das schiefgehen. Der zweite: Nach dem Jahrmarkt ist vor dem Jahrmarkt; die Schausteller ziehen weiter und das Dorf räumt auf, doch es wird einen nächsten Jahrmarkt geben.
Volle Pulle, kein Zurück!
Stellen wir uns für einen Augenblick vor, ein Jahrmarkt ginge zu Ende, und alle Anwesenden wüssten, dass dieser Jahrmarkt – warum auch immer – der letzte Jahrmarkt gewesen ist. Es wird keinen nächsten Jahrmarkt geben.
Die Dorfjugend wird nie wieder Autoscooter fahren oder Zuckerwatte naschen. Die Schausteller werden ihre Fahrgeschäfte nicht mehr brauchen, also haben sie alles, die Lose, die Achterbahn, einfach alles freigegeben, und ein jeder darf mitnehmen und abbauen und ausrauben, was er möchte und was er kann.
Es ist der letzte Tag auf dem letzten Jahrmarkt, und überall laufen feixende, schraubende und wütend gutgelaunte Leute herum, reißen die Buden auseinander, schleppen die Hauptgewinne aus der Schießbude heim.
Der dicke Dorfdepp hat sich mit Kandisäpfeln eingedeckt, sein breites Gesicht ist verschmiert von rotem Zuckerguss. Zwei junge Männer schieben einen Geisterbahn-Wagen übers Kopfsteinpflaster. Zwei andere junge Männer verprügeln einen dritten. Einige Julias weinen, denn sie mochten den Jahrmarkt gern, und nun wird es ihn nicht mehr geben.
Alle an Bord, ab geht die Fahrt!
Selbst politische Gegner können sich ihr kaum entziehen – Ursula von der Leyen, 52, hat eine überwältigend positive Ausstrahlung. Und damit ist nicht nur ihr legendäres Lächeln gemeint (das sie, wie wir seit den zähen Hartz-IV-Verhandlungen wissen, auch mal ablegen kann), sondern ihre gewinnende Art, auf Menschen zuzugehen: Egal, mit wem sie spricht, ob mit Kita-Kindern oder Kabinettskollegen, immer wirkt sie persönlich zugewandt, lebhaft interessiert und dazu meist noch bestens gelaunt. (brigitte.de, 15.6.2009)
Das Zitat ist von 2009, wir haben heute 2018. Damals wurde von der Leyen als nächste Kanzlerkandidatin gehandelt. Heute ist sie Verteidigungsministerin und ihr Stern strahlt weniger hell.
Frau von der Leyen »ist – mal wieder – im Krisenmodus« (spiegel.de, 21.10.2018). Sie hatte ja so einen guten Lauf, die Frau Ministerin mit produktiven Ideen zur Modernisierung der Bundeswehr wie etwa den speziellen Uniformen für Schwangere (bento.de, 2.4.2018)! In letzter Zeit allerdings klemmt der Lauf und es will nicht so recht zünden (und wenn doch, dann schießt es schief).
»Strafanzeige gegen Ursula von der Leyen«, liest man heute (spiegel.de, 17.10.2018). Es geht um Missverständnisse bei Lohnnebenkosten im Ministerium, wenn ich es richtig verstehe. Es wird sich klären lassen, gewiss und sicherlich – andere Meldungen sind da haariger, ganz ohne Föhn und Haarspray.
»Ursula von der Leyen soll freihändig mit Beraterverträgen umgegangen sein« schreibt faz.net, 19.10.2018. Vom »System McLeyen« liest man in welt.de, 19.10.2018. Wenn ich die Meldungen richtig verstehe, wurden Beraterverträge für sehr viel Geld vergeben, und es ist nicht immer eindeutig, warum und nach welchen Kriterien.
Ich bin guter Dinge, dass sich auch bei den Millionenaufträgen alles aufklären wird. Frau von der Leyen kann voll guten Mutes ein weiteres Jahrzehnt als christdemokratische Hoffnungsträgerin beschreiten.
Jedoch: Deutschland insgesamt fühlt sich an wie der letzte Tag auf dem letzten Jahrmarkt. Die Fahrgeschäfte werden demontiert, es fährt ja eh nix mehr. Keiner fühlt sich schuldig. Die Geschichte wird sie freisprechen, sowieso – die Schießbude aber, die ist futsch.
Frau McLeyen täte gut daran, die Missverständnisse schnell aufzuklären, sonst könnte der Bürger beginnen, an der Zurechnungsfähigkeit seiner Regierung zu zweifeln.
Karussell extrem, hart am Limit!
Nicht alles ist Frohsinn und Fahrvergnügen auf der deutschen Kirmes. Es gibt sie zwar noch, die guten Dinge, doch – der Caishen, der Abundatia, dem Hades und all den anderen Göttern des Wohlstands sei es geklagt – es gibt leider auch den Neid!
Dieses Wochenende wurde Frau Chebli – eine weitere politische Hoffnungsträgerin – zum Opfer des Neides. Die übelwillige Netzgemeinde hatte ein Foto aus 2014 ausgegraben, auf welchem die prominente Politikerin der Arbeiterpartei eine teure Uhr der Marke Rolex trägt (wohl eine Datejust 36).
Eine üble Neidkampagne brach über Frau Chebli herein; es wurde sogar ein Foto ausgegraben, wo sie eine wohl noch teurere Uhr präsentiert (@Lichtalb, 21.10.2018).
Zwei starke Ritter gesellten sich an die Seite der Mutigen. Herr Poschardt von der WELT bescheinigte ihr, dass sie »mega Stil« habe (@ulfposh, 19.10.2018), Herr Lindner von der FDP erklärte es zu ihrer Privatsache, welche Uhr sie öffentlich trage (@c_lindner, 21.10.2018). (Ich vermute einfach mal zu deren Gunsten, dass beide Herren es ironisch meinen.) Als wollte man jeden Zweifel an der Existenz einer Berliner Einheitsmeinung ein weiteres Mal ausradieren, verteidigte sogar die TAZ (taz.de, 21.10.2018) das Rolex-Tragen (wenn Linke es tun).
Die Berliner Einheitsmeinung ist einheitlich unreflektiert. Jede Uhr über 20 Euro Ladenpreis sendet eine Botschaft aus, und natürlich ist es alles andere als Privatsache, welche Botschaften ein Politiker aussendet. Eine 7000-Euro-Uhr sagt: Guck mal, ich bin so reich, ich kann es mir leisten, Geld für nutzlosen, aber schönen Luxus zu verbrennen. Das mag unter Unternehmern aus gutem Grund sexy sein, wie es allerdings bei der sprichwörtlichen Krankenschwester ankommt, wenn SPD-Politiker sich mit Fuck-You-Uhren präsentieren?
Zweifelsohne hat Frau Chebli das Recht, mit dem vom Staat erhaltenen Geld zu tun, was sie möchte. Wer weiß, vielleicht hat ihr die Uhr sogar ihr Gatte gekauft, warum nicht?
Es geht um etwas anderes. Die Pointe versteht nur, wer nicht – wie die Verteidiger – die Vorgeschichte ausblendet. Der Spiegel schrieb im Juli 2018, dass die Politikerin im Außenministerium auffiel »wie ein Flamingo in der Arktis« und dass der Personalrat anscheinend »mit Beschwerden über sie beschäftigt war« (siehe auch @philipplickert, 22.10.2018), dass sie mit Beziehung zum saudischen Königshaus protzte und ansonsten schlecht vorbereitet erschien, aber gut – es wird nur Neid sein gegenüber einer Aufsteigerin, bloß weil sie manchem als aus politisch korrekten Gründen »unkündbar« erschien.
Niemand will Frau Chebli ihre teure(n) Uhr(en) wegnehmen – doch man sollte sich als Demokrat auch nicht das Recht nehmen lassen, die von Politikern ausgesandten Botschaften zu kommentieren – und im Wahllokal zu würdigen. (Weil ich gefragt wurde: Ich selbst trage eine 20-Euro-Casio.)
Die Botschaft, welche teure Uhren aussenden, lautet: Ich kann es mir leisten – und du (wenn du SPD-Zielgruppe bist) leider nicht. Es ist legal, so etwas auszudrücken, aber ist es klug? Anders als die Montblancs von Lammert & Kollegen (siehe z.B. bild.de, 24.8.2016), geht es hier sogar um privates Geld (präziser: Steuergeld, das via Politikergehalt privatisiert wurde). Und doch wird der Bürger auch hier das Bauchgefühl nicht los, dass es der letzte Tag auf dem letzten Jahrmarkt ist – und manche gewinnen selbst am letzten Tag des Jahrmarkts noch den Hauptpreis an der großen Berliner Losbude.
Die nächste Runde geht auf’s Haus!
Ach, dieser Jahrmarkt – es sind so viele Beispiele. Wir könnten von Frau Barley reden, welche selbst die Grenze zu Österreich wieder ganz öffnen möchte (welt.de, 21.10.2018) – wenn wir schon den Jahrmarkt abreißen, dann richtig! Was wäre ein großes Spektakel aber ohne aufregende Tiere? Das dachte sich auch SPD-Chefin Andrea Nahles, also war sie nun bei der Gründung von »Parlamentskreis Pferd« im Deutschen Bundestag dabei (spiegel.de, 18.10.2018) – es ist nicht bekannt, welche Uhr sie beim Ausritt tragen wird, wir hoffen aber, dass sie sich nicht vergaloppiert!
Der Jahrmarkt geht zu Ende, aber in den Chefetagen haben sie Spaß. Was noch? Ach ja: wir könnten von den 21% reden, welche die Grünen derzeit in Umfragen erreichen (faz.net, 22.10.2018) – Gefühl frisst Verstand, Hysterie frisst Zukunft, oder, in anderen Worten: letzte Sause auf dem Jahrmarkt.
Am Wochenende wird in Hessen gewählt. Es wird ein weiteres Mal ein Desaster für die Parteien der Merkel-Koalition werden. »Der letzte Tag, an dem Angela Merkel noch selbst über ihre Zukunft entscheiden kann, ist der Montag nach der Hessen-Wahl«, wird ein anonymer CDU-Politiker bei zeit.de, 17.10.2018 zitiert.
Könnt ihr noch? Wollt ihr noch?
Mit jeder Landtagswahl fliegen ein paar Wagen mehr aus dem Riesenkarussell; sie landen krachend und splitternd auf dem Boden kalter Wahlergebnisse, und am Abend in der TV-Talkshow sitzen dann die verunglückten Insassen und müssen tun, als wäre das alles nur eine Kleinigkeit, und ab morgen würde sich das Karussell weiterdrehen.
Es ist der letzte Tag auf dem Jahrmarkt. Es ist gar nicht zwingend, dass es einen neuen Jahrmarkt geben wird. Wer sagt denn, dass Deutschland nicht in den großen Freizeitpark »EU-Land« aufgeht, mit Juncker als neuem Groß-Impressario?
Wenn es einen neuen Jahrmarkt geben sollte, wider allen Anschein, dann braucht es ein neues Konzept und neue Schausteller.
21% der Wähler geben sich gerade dem grünen Irrsinn hin, vom Moralin betrunken wie die Junggesellen nach dem Schützenfest, und es erinnert an den Hype kurz nach Fukushima – doch selbst wenn man die 21% abschreibt, müsste sich mit dem Rest ein neuer, kluger Jahrmarkt aufziehen lassen – wenn das gelänge, das wäre doch eine Sensation! Also, tretet heran, jetzt geht es ab hier! Traut euch was, die nächste Fahrt beginnt!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com. – Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.
Dushan Wegner verstehen: