Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat massive Kritik an der bundesdeutschen Rechtspraxis geübt.
Es sei "etwas ins Rutschen gekommen, wenn der Staat selbst auf gewissen Gebieten Recht nicht anwendet, ignoriert oder nicht durchsetzt", sagte Papier der "Bild" (Montagsausgabe).
"Indem geltendes Recht nicht eingehalten und durchgesetzt wird, wird ein ungutes Gefühl in weiten Teilen der Bevölkerung geweckt, was die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats anlangt. Das führt dazu, dass Vertrauen in unsere Rechtsordnung, in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert wird."
Das Resultat dieser Rechtspraxis sei "nach den Wahlen der letzten Zeit offenkundig", so Papier. Papier erläutert in der "Bild", in welchen Bereichen er einen Mangel an Durchsetzung bestehendes Rechts sieht.
So sei etwa beim Umgang mit Flüchtlingen deutsches und europäisches Recht "über Jahre nicht wirklich umgesetzt worden und wird noch immer nicht durchgesetzt".
Noch immer sei "in beträchtlichem Maße illegale Zuwanderung nach Deutschland zu verzeichnen", so der ehemalige Gerichtspräsident. "Eine Grenzschließung steht gar nicht zur Diskussion. Aber Personen, die ersichtlich keinen Anspruch auf Asyl oder subsidiären Schutz in Deutschland haben, weil sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen, ist nach geltendem deutschen Recht grundsätzlich die Einreise zu verweigern."
Wer dennoch Einreisen ermöglichen wolle, müsse "das Gesetz ändern. Aber das tut man nicht, man ignoriert es einfach."
Auch beim Diesel-Skandal sieht diagnostiziert Papier erhebliche Mängel in der Rechtsumsetzung. "Da geht es nicht nur um die Industrie und deren Manipulationen, sondern auch um Politikversagen", so Papier.
"Der Diesel-Skandal hat nämlich auch deutlich gemacht, dass seit Jahren verbindliches europäisches Recht nicht umgesetzt worden ist. Konkret geht es vor allem um Grenzwerte für Schadstoffe, die von der EU schon vor Jahren verbindlich festgelegt worden sind. Diese Grenzwerte, die der Luftreinhaltung und dem Gesundheitsschutz dienen, sind schlicht und dauerhaft ignoriert worden."
Foto: Justicia, über dts Nachrichtenagentur