So wichtig die Frage ist, wie es zu der weltweiten Krise kommenkonnte – was Zukunftsforscher interessiert ist: Was kommt nach demCrash? Zwar sind die ersten Auswirkungen auf die Menschen in denwestlichen Wohlstandsländern bereits sichtbar. Die mittel- bislangfristigen Folgen der Krise für die Gesamtgesellschaft sind jedochnoch nicht genau absehbar. Das Zukunftsinstitut hat in einerSzenario-Analyse untersucht, wohin die aktuelle Entwicklung in dennächsten Jahren führen könnte. Ergebnis sind vier unterschiedlicheSzenarien, wie die Welt im Jahr 2013 aussehenkönnte.
Szenario 1: Selbstreinigung der Märkte – Die renovierte Marktwirtschaft
Die Finanzmarktkrise wirkt sich auf die Realwirtschaft aus, führtaber auch zu Korrekturen von Fehlentwicklungen und Negativ-Auswüchsen.Die Krise wird zur Chance für das kapitalistische Wirtschaftssystem.Der Rückschlag in den westlichen Wohlstandsgesellschaften wiegt schwer,mittelfristig aber zahlt sich das Vertrauen in dieSelbstreinigungskräfte des freien Marktes aus. Das Ergebnis: Eine neue,bessere Weltwirtschaftsordnung, ein System, in dem sich Amerika vonseiner Vormachtstellung verabschiedet hat und die Schwellenländer einegrößere Bedeutung haben.
Die Regierungen der Welt haben gezeigt, dass sie kurzfristigenergisch eingreifen. Bis diese „wachstumsorientierten Maßnahmen“wirken, dauert es zwar noch eine Weile, dann aber beruhigt sich dieLage und eine tiefe Rezession der großen Industrieländer bleibt aus.Der Kapitalismus ist keineswegs am Ende. „Ich glaube, dass wir dank derjüngsten Beschlüsse den Höhepunkt der Krise vielleicht gesehen haben“,äußerte sich Dominique Strauss-Kahn, Direktor des InternationalenWährungsfonds, am 13. Oktober 2008 zuversichtlich.
Die Banken werden ihre Hausaufgaben machen. Der Zustand unsererWirtschaft ist längst nicht so dramatisch, wie vielfach unterstellt.Ein Konjunkturprogramm für Deutschland, die EU oder Amerika ist völligüberflüssig. Auch die Jobverluste werden nicht so groß sein. Eindauerhaftes staatliches Eingreifen in das Marktgeschehen ist gänzlichfalsch. Krisen gehören zur freien Marktwirtschaft dazu. Dass sie siebewältigt, ist Ausdruck ihrer Leistungsfähigkeit. Und mehr noch:Letztlich geht die Welt daraus gestärkt hervor. Nach 2010 werden diederegulierten Märkte effektiver und besser arbeiten als jemals zuvor.
Szenario 2: Soft-Sozialismus – Die Skandinavisierung der Welt
Die Krise treibt alle Länder in ein neues halbstaatlichesWirtschaftsmodell. Nur durch umfassende Konjunkturprogramme und einepolitisch gesteuerte, radikale Umgestaltung des globalenWirtschaftssystems lassen sich globale Rezession und Zerfall westlicherWohlstandsgesellschaften vermeiden. Die Regierungen und dieinternationale Gemeinschaft greifen hart durch: Banken und andereGroßunternehmen werden verstaatlicht oder aber unter strenge staatlicheAufsicht gestellt, Managergehälter begrenzt und die Finanzarchitekturreformiert. Mit Erfolg: Die Aktienindizes gewinnen schon bald wieder anFahrt, das Tal ist durchschritten, das Ende der Krise in Sicht.Langfristig rentiert sich das massive Engagement der öffentlichen Hand– zum Wohle aller.
In einem Land wie den USA, das sich damit rühmte, Kapitalismus inReinkultur zu praktizieren und seine Weltmachtposition auf denNeoliberalismus baute, erleben wir, was bislang unmöglich schien: Miteiner milliardenschweren Kombination aus Staatsbeteiligungen undBürgschaften orientiert sich die US-Regierung an den Rettungspaketen,die in den europäischen Ländern geschnürt wurden. Eine Entscheidung,die in den USA als Sozialismus gilt. Die Sozialdemokratie hält erstmalsEinzug in die Vereinigten Staaten von Amerika.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitzbringt die Veränderung der globalen Ökonomie auf den Punkt: „DerNeoliberalismus ist tot.“ Doch die Lage ist nicht ausweglos: „Ich haltedie Krise für beherrschbar. Wir haben es in der Hand“, erläuterteBundespräsident Horst Köhler am 12. Oktober die Unterschiede derheutigen Situation zur Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren. DerStaat springt ein, die Börsen erholen sich. Dass die großenIndustrienationen an einem Strang ziehen, zahlt sich aus. Das Vertrauenunter den Banken kehrt zurück. Am Ende stehen eine bessere Regulierungder Finanzmärkte und eine andere Struktur der Managergehälter. GlobaleFinanzorganisationen wie IWF und Weltbank wachen künftig streng überdas Marktgeschehen. Die Staaten profitierten letztlich von ihremfinanziellen Engagement und machen – wie Schweden in den 1990er-Jahren– unterm Strich sogar noch Gewinne, die sie in die sozialstaatlicheWohlfahrtspflege investieren. Weltweite Solidaritätsfonds werdeneingerichtet, in die die führenden Finanzkonzerne einzahlen und mitderen Hilfe die globale Wohlstandsentwicklung unterstützt wird. – Inder Sorge um die eigenen angeschlagenen Volkswirtschaften vergisst derWesten nicht die Krisen in den Entwicklungsländern.
Szenario 3: Globale Depression – Zusammenbruch der Weltwirtschaft
Die Finanzkrise basiert nicht auf einem grundsätzlichen Fehler desKapitalismus. Dennoch lähmen der Vertrauensverlust zwischen den Banken,die Angst der Sparer und die Massenhysterie die Konjunktur. Trotzvorübergehender staatlicher Hilfen gerät die Realwirtschaft in den Sogder Finanzmarktkrise. Das Ergebnis: eine weltweite, lang anhaltendeRezession, ähnlich der „Großen Depression“ der 1930er-Jahre. Weil dieStaaten auf die Marktgesetze vertrauen, gibt es von der Politik keineweitreichende, langfristige Einmischung. Diese Hoffnung wird jedoch jähenttäuscht. Die Weltwirtschaftsordnung bricht weitgehend zusammen, mitverheerenden gesamtgesellschaftlichen Folgen.
Weil sich alle führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gegenKonjunkturprogramme und staatliche Eingriffe aussprechen, setzen dieRegierungen lediglich auf „wachstumsorientierte Maßnahmen“. Diesebremsen den konjunkturellen Abschwung allerdings nicht. Vertrauen lässtsich eben auch mit Billionen Euro nicht erkaufen. Die staatlicheEinlagensicherung kann den Interbankenhandel nicht ankurbeln und dieFunktionsfähigkeit der Kreditmärkte nicht wiederherstellen. DieErwartung, damit könne die Basis für die wirtschaftliche Erholunggelegt werden, wird enttäuscht. Was sich die Verantwortlichen wieNotenbankchef Bernanke erhoffen, dass durch den Einstieg derRegierungen an den Märkten wieder Normalität einkehrt, tritt nicht ein.Hilfsfonds für die Banken können ohnehin nur begrenzt sein und kommenzu spät.
Was wir erleben, ist der „Bankrott der Metaphysik des Marktes“, sojüngst Frank Schirmacher in der FAZ. Die Realwirtschaft liegt am Bodenmit verheerenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Millionen Menschenverlieren ihre Jobs. Das wirtschaftliche Chaos schlägt auf den kleinenMann durch. Den Konsumenten vergeht die Kauflaune, selbst dieweltgrößten Discounter wie Wal-Mart melden Umsatzrückgänge, Autobauerschließen Werke, ganze Volkswirtschaften – siehe Island – stehen vordem Staatsbankrott. Die Abwärtsspirale dreht sich immer schneller, eineglobale Rezession ist die Folge. Weil man sich international auf keinegemeinsame Lösungsstrategie einigen kann, koppeln sich die einzelnenWirtschaftsräume voneinander ab und schließlich kommt dieGlobalisierung zum Erliegen.
Szenario 4: Defizit-Desaster – Ausverkauf des Wohlstands
Die dauerhafte Schwäche des Finanzsektors führt zu einer massivenStärkung, aber auch Verschuldung des Staates, der die Folgeschäden aufdie Bürger abwälzt. Die Bankenkrise wird zur Staatskrise. DieRegierungen sind trotz ihres gigantischen Engagements unfähig, diewirtschaftlichen Probleme zu lösen, überfordern sich und ihre Bürger.Staatliche Geldspritzen und Konjunkturprogramme, um das kränkelndeSystem am Leben zu erhalten, können eine Rezession nicht verhindern undführen zum Ausverkauf gesellschaftlichen Wohlstands.
Auf dem Weg in eine schwere Weltwirtschaftskrise mit tiefen sozialenEinschnitten gelingt eine grundlegende Wende nicht. Weltbank,Internationaler Währungsfonds, EZB, EU und G8 – alle versuchen sich aneiner effektiven Regulierung des Finanzmarktkapitalismus. Ohne Erfolg.Länder suchen nach gerechteren Steuergesetzen und nach Möglichkeiten,die Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen – allein dieHandhabe fehlt ihnen.
Was wir erleben werden, ist eine der teuersten Beerdigungen derWeltgeschichte. Der Finanzsektor hat die katastrophale Situationausgelöst und bekommt dafür auch noch Subventionen. Die Steuerzahlertragen die Kosten, ausgeglichene Staatshaushalte rücken in weite Ferne.Die Politik argumentiert, es handele sich um eine Vergesellschaftung zuGunsten des Gemeinwesens. Ein Trugschluss, wie sich schon baldherausstellen wird. Denn mehr als gigantische Schulden wird es nicht zuverteilen geben. Die Teilverstaatlichung der Banken reicht nicht aus.Eine effektive Gegenleistung seitens der Unternehmen gibt es nicht. ImGegenteil: Die ersten Banken werben bereits dreist für ihr Geldinstitutmit dem politischen Versprechen von Frau Merkel & Co. Inzwischenrufen nicht mehr nur die Banker nach dem Staat. Die Begehrlichkeiten inanderen Branchen wachsen. Mit dem Milliarden-Paket für dieKreditinstitute beginnt ein großes Subventions-Wunschkonzert. Die Ideender Wirtschaftsverbände und Unternehmen reichen von Sozialabbau bis hinzu Schecks für Autokäufer.