Mobilitätsforscher: Individualverkehr mit eigenem Auto ist ein "Auslaufmodell". Stellt sich die Frage: Wie soll das z.B. auf dem Land funktionieren? Und was steckt hinter der Idee, Individualverkehr abzuschaffen?
Der Mobilitätsforscher Weert Canzler hat den Individualverkehr mit eigenem Auto als "Auslaufmodell" bezeichnet.
"Das Privatauto, wo man im Prinzip eine völlige Souveränität hat, Teil des Alltags, Teil des gelungenen Lebens - das ist ein Modell, das mal in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt", sagte der Sozialwissenschaftler vom Wissenschaftszentrum Berlin am Montag im RBB-Inforadio. Es sei aber immer weniger aktuell.
Für die Fälle, in denen man ein Auto brauche - etwa zum Transport schwerer Dinge -, könne man sich inzwischen eines leihen. "Wir haben jetzt einen Zugriff, den man jahrelang nicht hatte, nämlich über eine App." Die anhaltend hohen Zulassungszahlen von Autos hätten damit zu tun, dass die Welt immer noch komplett auf das Automobil ausgerichtet sei, so der Mobilitätsforscher weiter.
"Wir kaufen so ein, wir haben nach wie vor ja kein wirkliches Parkplatzproblem, gerade in Berlin", sagte Canzler. Das habe etwas mit "jahrzehntelanger Vorarbeit" zu tun - "wir sind auch alle so sozialisiert worden, zumindest die meisten von uns". Um den Ausstieg aus dem Individualverkehr mit eigenem Auto zu schaffen, seien Anreize nötig. "Die Alternativen müssen gut sein", fügte der Forscher hinzu. Doch das sei nicht immer einfach. "Wir erleben das in Berlin ja gerade mit den Fahrradwegen, der Fahrradinfrastruktur."
Viele Menschen würden gern Rad fahren, fühlten sich aber zu Recht zu unsicher. Der Aufbau der Infrastruktur brauche Zeit - das zeigten die vergangenen zwei bis drei Jahre. "Wir haben eben einen begrenzten Raum - der muss dann neu verteilt werden. Und da braucht es Mut und Hartnäckigkeit [...], um diese Konflikte auszustehen." Das gehe nur zulasten von Parkflächen und Straßenraum, so der Mobilitätsforscher.
Dem Verkehrssystem und dem öffentlichen Nahverkehr in Berlin stellte Canzler insgesamt ein gutes Zeugnis aus - das liege auch an einer starken Bewegung und Offenheit für Alternativen in der Stadt. Doch deren bisherige Erfolge reichten nicht aus. "Wir müssen jetzt ran an die wirklich schmerzhaften Punkte", so der Forscher. Das sei zum Beispiel auch die Parkraumbewirtschaftung.
"Die Parkplätze, die da sind, müssen was kosten." Auch eine Citymaut sei sinnvoll - dafür gebe es gute Beispiele, etwa in Stockholm. Mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte sagte Canzler: Man beobachte, dass alle früh motorisierten Städte inzwischen Fahrräder stärker förderten sowie Straßen und Parkplätze zurückbauten.
"Die Flächen werden dann für andere Verkehrsmittel genutzt, aber nicht nur - auch für Freizeitzwecke, vielleicht auch für Wohnungsbau. Wir werden insgesamt die Verkehrsflächen reduzieren, zulasten des individuellen privaten Autos, weil das schlichtweg zu viel Platz frisst." Stattdessen würden mehr Fahrräder, mehr Lastenräder, mehr Pedelecs und vielleicht auch mehr Sammeltaxis in den Städten unterwegs sein, so Canzler.