Die Börsen reagieren euphorisch auf ein mögliches Ende des Handelsstreits mit China. Doch bisher ist nichts in trockenen Tüchern. Kommt es trotz Unsicherheiten zu einer Jahresendrally?
von Sven Weisenhaus
Die Stimmung an den Börsen ist derzeit überwiegend bullish. Die Anleger befinden sich eindeutig im „risk-on“-Modus. Defensive und konjunkturunabhängige Titel wurden jüngst gemieden, spekulative und konjunktursensible Werte hingegen bevorzugt. Verantwortlich dafür wurden natürlich Meldungen zum Handelskonflikt gemacht, wie soll es aktuell auch anders ein?!
Juncker erwartet keine Auto-Zölle mehr
So gab sich gestern der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker überzeugt, dass US-Präsident Donald Trump in der kommenden Woche keine neuen Zölle auf die Einfuhr europäischer Automobile und Automobilteile verhängt.
Die US-Regierung hatte angedrohte Zölle im Mai zunächst für ein halbes Jahr ausgesetzt und will nun am 14. November über die Einführung entscheiden. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung fügte Juncker in einem Interview jedoch hinzu: „Sie reden mit einem vollinformierten Mann.“ Das klang überzeugend und ließ Anleger verstärkt zu Auto-Herstellern und -Zulieferern greifen.
Informationen zum Handelsstreit sind weiterhin widersprüchlich
Zuvor hatte bereits die Meldung der chinesischen Regierung die Anleger in Kauflaune versetzt, man habe sich mit den USA auf eine schrittweise Aufhebung der gegenseitigen Strafzölle geeinigt. Die USA bestätigten, es gäbe eine Übereinkunft zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt und man hätte sich geeinigt, als Teil der ersten Phase eines Handelsabkommens die Zollschraube zurückzudrehen.
Doch nach wie vor gibt es dazu widersprüchliche Informationen. Laut Aussagen des Wirtschaftsberaters von Trump, Peter Navarro, seien die USA lediglich bereit, beim Phase-1-Deal die für den 15. Dezember geplante Einführung weiterer Zölle aufzuschieben.
Eine Aufhebung von bereits bestehenden Zöllen scheint somit nicht geplant. Zumal sich nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters im Weißen Haus teils heftiger interner Widerstand dagegen regt. Auch externe Berater seien gegen eine auch nur schrittweise Rücknahme von Zöllen. Es scheint also weiterhin noch nichts beschlossene Sache zu sein.
Ein Ende des Handelsstreits wird überbewertet
Doch selbst wenn der Handelsstreit beigelegt wird und sogar sämtliche in diesem Zusammenhang neu eingeführten Zölle wieder abgebaut werden, wären die aktuellen Kursgewinne an den Börsen überzogen. Denn vielleicht erinnern Sie sich noch – ich hatte auch die zwischenzeitlichen Kursverluste für übertrieben erklärt, weil die Auswirkungen des Handelsstreits verhältnismäßig gering waren – siehe zum Beispiel „Handelsstreit: Panikmache ist übertrieben“.
Welthandel und Weltwirtschaft sind belastet
Sicherlich, seit der damaligen Analyse vom 8. März hat sich der Handelsstreit verschärft und es sind neue Zölle in Kraft getreten. Dadurch sind der Welthandel und die Weltwirtschaft inzwischen stärker belastet. Eine UN-Studie ist kürzlich zu dem wenig überraschenden Ergebnis gekommen, dass die zusätzlichen Abgaben im chinesisch-amerikanischen Handelskrieg beiden Volkswirtschaften schaden.
Die USA bekämen den Zollstreit vor allem in Form von höheren Preisen für die Verbraucher zu spüren und China würden Exportverluste zu schaffen machen. „In den ersten sechs Monaten gingen die mit zusätzlichen Zöllen belegten US-Importe von chinesischen Gütern verglichen mit dem Vorjahr um 35 Milliarden Dollar auf 96 Milliarden Dollar zurück“, war dazu zu lesen.
Die Zeiten hoher chinesischer Exporte sind aktuell vorbei
Ein Exportrückgang um mehr als ein Viertel – das klingt natürlich viel. Und Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sanken die chinesischen Ausfuhren in die Vereinigten Staaten im Oktober noch um 16,2 %, nach einem Minus von 21,9 % im September. Doch nach wie vor sind die Auswirkungen relativ gering. Was sind schon 35 Milliarden Dollar bei einem chinesischen BIP in Höhe von mehr als 14 Billionen Dollar (2018)?! Ich verrate es Ihnen: weniger als 0,25 %.
Werfen wir dazu auch noch einen Blick auf die aktuellen Außenhandelsdaten Chinas für den Monat Oktober. Demnach sanken die weltweiten chinesischen Exporte zwar den dritten Monat in Folge, insgesamt nahmen sie aber gegenüber dem Vorjahresmonat gerade einmal um 0,9 % ab.
Von Reuters befragte Analysten hatten dagegen ein deutlich stärkeres Minus von 3,9 % erwartet. Das zeigt, dass die Befürchtungen viel schlimmer sind als die Realität. Und diese sieht mit Blick auf die obige Grafik nicht gerade nach einbrechenden chinesischen Exporten aus. Stattdessen ist die Menge der aus China exportierten Güter relativ stabil.
Sicherlich, die hohen Zuwachsraten der Vergangenheit sind mit den US-Zöllen aktuell offensichtlich nicht mehr zu erreichen. Doch die Wirtschaft stellt sich kontinuierlich auf die US-Zölle ein und um. Es werden zum Beispiel alternative Liefer- und Beschaffungswege etabliert. Und daher waren nicht nur die Befürchtungen vor dem Handelskonflikt übertrieben, sondern es sind nun eben auch die Hoffnungen überzogen, die auf einem möglichen Ende des Handelsstreits ruhen und die Aktenkurse antreiben.
Schließlich wären die Entlastungen, die durch die Rücknahme der eingeführten Zölle entstehen würden, verhältnismäßig genauso überschaubar wie zuvor die Belastungen. Zumal sich, wie gesagt, die Wirtschaft zum Teil schon umgestellt hat.
Die US-Indizes sind noch längst nicht über den Berg
Und damit komme ich nun zu der gestrigen Frage eines Lesers, was denn eigentlich aus den Trompeten in den Charts geworden ist, die hier immer wieder angesprochen wurden. Sind diese nun hinfällig? Werfen wir dazu einen Blick auf den Dow Jones, den Nachzügler unter den hier beobachteten US-Indizes.
Nachdem S&P 500 und Nasdaq 100 schon längst neue Allzeithochs markieren konnten und der S&P 500 auch über die Linie seiner vermeintlichen Trompetenformation gestiegen ist, folgte nun offensichtlich auch der Dow Jones (siehe grüne Ellipse im Chart).
Doch ist dieser Ausbruch nun schon nachhaltig? Ich würde ein klares Nein sagen. Noch sind keine dynamischen Anschlusskäufe zu erkennen. Deswegen reicht bereits ein schwacher Tag und die Bullenträume zerplatzen. Es ist also auch charttechnisch nach wie vor Vorsicht geboten.
Fazit
Der Handelsstreit zwischen den USA und China belastet die Wirtschaft. Dies hatten die Anleger zwischenzeitlich mit zum Teil deutlich überzogenen Kursverlusten an den Aktienmärkten quittiert.
Inzwischen zeichnet sich eine mögliche Einigung ab, was bereits zu deutlich gestiegenen Aktienkursen führte. Doch sowohl die negativen Auswirkungen der eingeführten Zölle als auch die positiven Effekte einer möglichen Aufhebung der Handelsbarrieren scheinen von den Investoren überbewertet zu werden.
So ist aber Börse meist – die Kurse schwanken zwischen Panik und Euphorie. Lassen Sie sich davon aber nicht anstecken und bleiben Sie gelassen! Achten Sie darauf, dass es nach der Übertreibung nach unten von Ende 2018 nun zu einer Übertreibung nach oben kommen kann – mit am Ende entsprechend bearishen Konsequenzen, wenn es zum Beispiel zu einer Bullenfalle in den US-Indizes kommt.
Zumal eine Einigung zwischen den USA und China noch längst nicht in trockenen Tüchern ist. Und aktuell gehen die Anleger schon davon aus, dass eingeführte Zölle zurückgenommen werden. Das könnte aber eine voreilige Erwartung sein, die sich vorerst nicht erfüllt. Setzt sich diese Erkenntnis an den Märkten durch oder bestätigt sich diese sogar, könnte das die Kurse wieder belasten.
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