Nach dem größten Crash der Geschichte erholen sich die Aktienmärkte wieder. Doch Wirtschaftsdaten bleiben schlecht. Es dürfte nun spannend werden, wie sich die chinesische Wirtschaft im 2. Quartal 2020 entwickelt.
von Sven Weisenhaus
Trumps Plan sind eher Empfehlungen
Die Kurse sollen letzte Woche gestiegen sein, weil US-Präsident Donald Trump einen Drei-Stufen-Plan zur Lockerung der Virus-Restriktionen vorgelegt hatte. Doch im Prinzip handelt es sich gar nicht um einen konkreten Plan, sondern es sind eher Empfehlungen an die Gouverneure.
Ob, wann und inwieweit die einzelnen US-Bundesstaaten diese Empfehlungen umsetzen werden oder können, ist noch nicht geklärt. Von einer schnellen und breiten Rücknahme von Einschränkungen ist man damit weit entfernt. Stattdessen wolle man vorsichtig einen Schritt nach dem anderen machen. Das ist aber das genaue Gegenteil von dem, was Trump ursprünglich angekündigt hatte.
Passend dazu haben die Kurse von DAX, Dow Jones & Co. während und seit der Trump-Rede, in der er diesen Plan vorgestellt hat, nicht mehr nachhaltig zugelegt. Das mag daran liegen, dass Trumps Plan bereits zuvor publik wurde und die Märkte schon mit steigenden Kursen reagieren konnten.
Seitdem kommen die Kurse aber eher wieder zurück. Es fehlen demnach die Anschlusskäufe. Offenbar ist nach den ersten Reaktionen der Markt zur Überzeugung gelangt, dass der Plan doch keine so gute Nachricht ist.
Ein potentielles Mittel, das der Wirtschaft kaum helfen wird
Auch eine andere Nachricht, die als Grund für die steigenden Kurse angegeben wurde, ist bei genauerer Untersuchung kaum geeignet für eine allgemeine Marktstärke. Ein potenzielles Coronavirus-Medikament der US-amerikanischen Pharmafirma Gilead, das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Mittel Remdesivir, hat laut einer Studie auch bei einer Corona-Infektion ermutigende Ergebnisse gezeigt.
Doch es führt wohl lediglich zu einer schnellen Fiebersenkung und einem Rückgang der Symptome der Lungenkrankheit. Und so könnte das Mittel nur den Effekt haben, dass Patienten schneller aus Kliniken entlassen und so Kapazitäten frei werden. Aber ob das ausreicht, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie erheblich abzumildern, darf bezweifelt werden.
Positive Daten aus China?
Und auch mit vermeintlich positiven Konjunkturdaten aus China haben die Kommentatoren heute versucht, die steigenden Aktienkurse zu begründen. Doch schauen wir uns auch die Daten einmal genauer an:
Durch die Ausbreitung des Coronavirus musste die Wirtschaft in China zum ersten Mal seit mindestens 1992 einen Rückgang der Aktivitäten verkraften. 1992 begann die Volksrepublik damit, Wachstumszahlen quartalsweise zu veröffentlichen. Und laut offiziellen Daten ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 1. Quartal 2020 um 6,8 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum eingebrochen.
Die Einkaufsmanagerdaten für Februar hatten eine solche Entwicklung bereits angedeutet (siehe „Chinas Wirtschaft bricht ein, nicht jedoch der Aktienmarkt“). Doch zur Einordnung: Am 6. März, kurz nachdem die Einkaufsmanagerdaten veröffentlicht waren, ging aus einer Umfrage unter 40 Wirtschaftswissenschaftlern hervor, dass das chinesische BIP-Wachstum im 1. Quartal 2020 immerhin noch bei +3,5 % erwartet wurde.
Sicherlich wurden die Erwartungen seitdem schon weiter reduziert, schließlich kamen zwischenzeitlich bereits andere erschreckende Konjunkturdaten aus dem Reich der Mitte (siehe „Werden Schulden jetzt zu einem Problem?“ und „Die Aussichten werden immer düsterer“).
Vor zwei Tagen berichtete ich, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) inzwischen ein Minus von 6,5 % prognostizierte – siehe „Die Erwartungen scheinen noch zu optimistisch“. Von Reuters befragte Analysten äußerten die gleichen Erwartungen. Doch passend zur Überschrift der Börse-Intern war der tatsächliche Einbruch mit 6,8 % auch hier wieder noch etwas dramatischer als befürchtet.
Immerhin: Ganz so schlimm, wie es JPMorgan erwartet hatte, ist es nicht gekommen. Der Teilnehmer im Rennen um die pessimistischsten Prognosen sah im 1. Quartal 2020 sogar Einbußen für die chinesische Wirtschaft von mehr als 40 % (Börse-Intern vom 19. März). Aber von positiven Konjunkturdaten kann man hier trotzdem nicht sprechen.
Im 2. Quartal ist Besserung in Sicht
Wir wissen aber, dass die Börse die Zukunft handelt. Und hier dürfte es nun spannend werden, wie sich die chinesische Wirtschaft im 2. Quartal 2020 schlagen wird. Die Einkaufsmanagerdaten haben sich immerhin nach nur einem Monat schon wieder im expansiven Bereich eingefunden (siehe „Von einer Übertreibung in die nächste?“).
Der Chefökonom des in Peking ansässigen Finanzhauses Zhonghai Shengrong Capital Management, Zhang Yi, ist allerding deutlich pessimistischer als die Einkaufsmanager. Denn aus seiner Sicht dürften die chinesischen Exporte im laufenden 2. Quartal „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um mindestens ein Fünftel einbrechen. Der Grund: Im Rest der Welt hat sich das Virus erst in diesem Zeitraum ausgebreitet und zu nachfragehemmenden Maßnahmen geführt.
Eine deutliche Verbesserung der BIP-Entwicklung im 2. Quartal ist dennoch so gut wie sicher (Prognose DekaBank: +2,7 %). Denn die Wirtschaft ist in China bereits wieder in großen Teilen angelaufen. Schon ab der zweiten Februar-Hälfte wurden Beschränkungen Schritt für Schritt rückgängig gemacht.
Zwar ist der Binnenmarkt noch nicht bei 100 % und der Außenhandel belastet, doch lag zum Beispiel die Industrieproduktion im März nur noch um 1,1 % unter dem Vorjahresniveau. In den Monaten Januar und Februar war die Industrieproduktion um 13,5 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres eingebrochen. Dabei hatte gemäß Berechnungen der DekaBank die Entwicklung mit einem Rückgang um 27 % im Februar ihren Tiefpunkt.
Wenn überhaupt, dann wäre dies für die Anleger ein Grund zum Feiern gewesen. Aber was ist dann mit den Einzelhandelsdaten, die zeitgleich veröffentlicht wurden? Die Einzelhandelsumsätze brachen im März um 15,8 % ein, und damit deutlich stärker als erwartet (-10 %).
Selektive Wahrnehmung?
Letztlich weiß niemand, warum die Anleger ausgerechnet letzte Woche noch einmal kräftig am Aktienmarkt eingekauft haben. Es mag eine selektive Wahrnehmung nur der positiven Nachrichten gewesen sein, während die negativen Aspekte ausgeblendet wurde. Womöglich war es auch wieder einfach nur der Herdentrieb, der zu einer Fortsetzung der laufenden Kurserholung geführt hat.
Was den Markt genau bewegt hat, sei einmal dahingestellt. Wenn ich sämtliche Nachrichten der jüngeren Vergangenheit bewerte, komme ich jedenfalls zu dem Fazit, dass viel Spekulation im Markt steckt und die Bullen noch etwas von der laufenden Kurserholung profitieren wollen. Ob diese aber nachhaltig ist, muss sich erst noch zeigen.
Kursanstieg bringt den DAX nicht weiter
Zumal der DAX seine Kurserholung auch noch gar nicht wirklich fortsetzen konnte. Denn mit dem heutigen Kursanstieg blieb der Index noch unter dem Hoch vom Dienstag und steckt damit aktuell eher wieder in einer Seitwärtstendenz (gelbe Rechtecke im folgenden Chart).
Hinzu kommt auch noch, dass man die Kurserholung im DAX als Keil ansehen kann (siehe folgender Chart).
Passend zur Farbe der Keillinien steht die Börsenampel im DAX also keineswegs auf Grün, sondern maximal auf Gelb (oder Orange). Denn es handelt sich in dieser Formation um einen Bear-Keil. Bei einem Ausbruch unter die untere Trendlinie drohen weitere Kursverluste, die dann durchaus auch dynamisch ausfallen können. Seien Sie also weiterhin vorsichtig.
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