Alle ökonomischen Daten weisen auf eine gravierende Depression hin. Doch die Börsen nehmen eine Besserung vorweg. Wie passt das zusammen? Wie schlimm steht es um die Wirtschaft wirklich?
von Sven Weisenhaus
Das wichtigste Ereignis der letzten Woche war die Veröffentlichung des offiziellen monatlichen US-Arbeitsmarktberichts. Dieser fiel besser aus als befürchtet. So wurden im April 20,5 Millionen Stellen außerhalb der Landwirtschaft abgebaut. Von Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Minus von rund 22 Millionen Stellen gerechnet.
Kleiner Makel: Der Februar-Wert wurde von +275.000 auf +230.000 und der März-Wert von -710.000 auf -870.000 nach unten revidiert. Es gingen also in den beiden Monaten zusammen 214.000 Stellen mehr verloren. Aber dieser 6-stellige Unterschied fällt bei dem aktuellen 7-stelligen Stellenabbau kaum ins Gewicht.
Die in einer getrennten Umfrage ermittelte Arbeitslosenquote schnellte im April erwartungsgemäß nach oben, allerdings „nur“ auf 14,7 %, von 4,4 % im Vormonat. Das sind zwar der stärkste monatliche Anstieg und der höchste Stand in der Geschichte der Datenerhebung seit 1948, es waren aber 16 % erwartet worden.
Auch hier gibt es, neben der extrem hohen Anzahl neuer Arbeitsloser, einen weiteren kleinen Makel, den ich gestern bereits genannt hatte: Das Hoch dürfte bei der Arbeitslosenquote noch nicht erreicht bzw. das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit nicht vollumfänglich erfasst worden sein. Allerdings haben 18,1 Millionen Menschen angegeben, ihren Arbeitsplatz wohl nur vorübergehend verloren zu haben, dauerhaft nur 2 Millionen.
Die Erwartungen sind inzwischen schon extrem gedämpft
Die durchschnittlichen Markterwartungen wurden damit aber ziemlich genau getroffen. Ein Grund dafür ist, dass die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung, über die hier in der Börse-Intern in den vergangenen Wochen auch regelmäßig zu lesen war, bereits einen Eindruck davon vermittelten, wie viele Menschen ihren Job verloren haben. Und daher waren die Marktreaktionen auch gering.
Insgesamt scheint es so, dass sich die Anleger an schlechte Nachrichten gewöhnt haben und die Erwartungen schon deutlich zurückgeschraubt wurden. Daher gibt es kaum noch negative Kursreaktionen bei Bekanntgabe von Daten, auch wenn damit nach wie vor Negativ-Rekorde gemeldet werden. So wurde heute zum Beispiel auch bekannt, dass der Auftragseingang in der deutschen Industrie im März um 15,6 % im Vergleich zum Vormonat und im Jahresvergleich um 16 % zurückgegangen ist.
Und in der Eurozone sind die Einzelhandelsumsätze um 11,2 % im Vergleich zum Vormonat und um 9,2 % zum Vorjahresmonat eingebrochen.
Doch das war für die Anleger alles kein Problem.
Das 1. Quartal 2020 ist abgehakt
Wohl auch, weil beide Daten das vergangene Quartal betreffen und dazu schon viele weitere extrem schwache Werte bekannt waren. Deutlich spannender sind daher die Zahlen zum April. Denn in diesem Monat waren die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in der Eurozone und den USA über den gesamten Zeitraum aktiv. Und daher dürften hier die Werte noch einmal deutlich schlechter ausfallen als zum März. Bei den April-Prognosen liegt zudem noch eine große Bandbreite vor, was die Unsicherheit erhöht. Und bekanntlich mag die Börse keine Unsicherheit.
Es gibt auch noch positive Nachrichten – zumindest relativ gesehen
Doch die Anleger scheinen sich gerade auf positive Nachrichten zu fokussieren. Und tatsächlich gab es auch positive Meldungen, allerdings auf sehr niedrigem Niveau: So wurden heute die extrem schwachen Einkaufsmanagerdaten zur Eurozone und Deutschland in ihrer endgültigen Fassung leicht nach oben revidiert. Der Index für die Gesamtwirtschaft in Deutschland liegt statt bei 17,1 bei 17,4 und das Pendant zur Eurozone statt bei 13,5 bei 13,6. Diese Revisionen sind aber nur marginal.
Wichtiger war, dass die Einkaufsmanagerindizes zur US-Wirtschaft zwar auch deutlich gesunken sind, aber nicht auf so tiefe Werte wie in Deutschland und der Eurozone. So gab der Index von IHS Markit im April auf 27,0 Punkte nach, von 40,9 im März.
Aber diesen Wert kann man wohl kaum den positiven Nachrichten zuordnen. Zumal er den dritten Monat in Folge unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten und darüber hinaus auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Datenerhebung im Oktober 2009 notiert.
Die eigentlich positive Nachricht waren die Einkaufsmanagerindizes vom Institute for Supply Management (ISM). Beim Index für das verarbeitende Gewerbe hatten Ökonomen schon „nur“ mit einem Rückgang auf 36,9 Punkte gerechnet. Tatsächlich wurde aber für April ein Wert von immerhin 41,5 Zählern gemeldet, nach 49,1 im März.
Ähnlich ist die Entwicklung beim Dienstleistungsbereich der USA. Hier hatten Ökonomen mit einem Rückgang auf 36,8 Punkte gerechnet. Der tatsächliche Wert liegt bei 41,8 Zählern, nach 52,5 im März.
Sicherlich, der Industrie-Index fiel auf den niedrigsten Wert seit elf Jahren und auch die Geschäfte der US-Dienstleister sind im April wegen der Corona-Epidemie abrupt geschrumpft – zum ersten Mal seit Ende 2009 – doch beide Wirtschaftsbereiche halten sich zumindest besser als befürchtet. Allerdings brach das Neugeschäft der Unternehmen so stark ein wie noch nie seit Umfragebeginn 1997. Und daher sind dies alles nur teilweise positive Nachrichten.
Fazit zu den fundamentalen Daten
Auch wenn die Anleger nach positiven Nachrichten gieren, es fällt sehr schwer, die aktuellen Wirtschaftsdaten schön zu reden. Nun könnte man noch argumentieren, dass die Börse die Zukunft handelt und die Lockerungen, die inzwischen beschlossen oder angepeilt werden, zu einer Belebung der größtenteils heruntergefahrenen Wirtschaft führen werden. Die Einkaufsmanagerdaten sind jedoch Frühindikatoren und somit in die Zukunft gerichtet. Und sie zeichnen eben keine zeitnahe wirtschaftliche Erholung ab.
Denn die Auftragseingänge der Unternehmen sind eingebrochen und werden sich wahrscheinlich auch kurzfristig nicht erholen. Daher verzeichnen auch die Umfrageergebnisse zur Beschäftigung extrem tiefe Werte. Warum sollten Unternehmen jetzt Mitarbeiter entlassen, wenn sie diese in Kürze wieder benötigen?! Auf absehbare Zeit ist keine Erholung zu erwarten.
Zu viel Optimismus oder zu viel Pessimismus?
Schaut man sich vor diesem Hintergrund die aktuellen Aktienkurse an, dann muss man sich die Frage stellen, ob die Kurse zu weit gelaufen sind und die Anleger die Zukunft zu rosig sehen oder die Unternehmensmanager zu pessimistisch sind. Oder sind die gestiegenen Aktienkurse der Vermögenspreisinflation geschuldet (siehe Börse-Intern vom 23. April)?
DAX arbeitet sich wieder nach oben
Dem DAX ist es dank der freundlichen Kursentwicklung von Freitag gelungen, die Mittellinie bei 10.815 Punkten zu überspringen. Damit ist nun grundsätzlich wieder die Rechteckgrenze bei 11.170 Zählern das Kursziel der Bullen.
Doch bislang konnten nach einem positiven Handelsbeginn kaum Anschlussgewinne generiert werden. Und wenn der DAX wieder unter die Mittellinie zurückfällt, dann wäre es gut denkbar, dass nicht die 11.170er Rechteckgrenze angesteuert wird, sondern die Kurse dem ABC-Szenario folgen (roter Pfeil).
Es bleibt daher bei der Aussage von vorgestern: „Solange der DAX nun das Hoch der möglichen Welle 5 nicht mehr überwindet, kann man davon ausgehen, dass die zweite Abwärtswelle begonnen hat. Und wenn der Index als nächstes die 10.460er Rechteckgrenze bricht, läge bereits eine ABC-Korrektur vor. Dann muss man abwarten, wie weit diese führt.“
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