Das Wachstum von ESG-Investments (Environmental, Social, Governance - also: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) verzeichnet Rekordzuflüsse. "Nachhaltigkeitsfonds" locken Anleger.
Börsen-Zeitung: "Kritische Masse", Marktkommentar von Wolf Brandes
Experimentelle Studien zeigen: Wenn etwa 20 bis 25 Prozent der Menschen in einer Gruppe eine Meinung vertreten, ist eine kritische Masse oder ein Wendepunkt für eine erfolgreiche Durchsetzung eines Themas erreicht. Diese Grenze hat das nachhaltige Investieren ganz offensichtlich überschritten.
Vor allem im vergangenen Jahr hat das Wachstum von ESG-Investments (Environmental, Social, Governance - also: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) einen erheblichen Sprung gemacht. Mit Rekordzuflüssen und einer nicht gekannten Auflage neuer Nachhaltigkeitsfonds.
Der Erfolg von ESG-Strategien befeuert das weitere Wachstum. Weil Investoren nun die kritische Masse für erreicht halten, wollen immer mehr auf den Zug aufspringen.
So auch das Ergebnis einer Umfrage von Natixis Investment Managers. "Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob das bestehende Momentum künftig anhalten wird oder ob es zu einer grünen Blase kommen könnte", fragt sich Harald Walkate, ESG-Chef bei Natixis. Bislang spricht alles für den Boom.
Wie stark und weiter zunehmend das Interesse ist, zeigen Umfragen, die laufend auf den Markt kommen. "Nachhaltige Geldanlagen werden in Deutschland immer beliebter", so das aktuelle Ergebnis einer regelmäßigen Befragung von Union Investment.
Anlegern gehe es darum, "etwas Positives zu bewirken sowie Unternehmen und Staaten auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen", heißt es im Anlegerbarometer der Fondsgesellschaft. 60 Prozent der Anleger in Deutschland fänden nachhaltige Geldanlagen attraktiv. Das ist ein neuer Höchststand.
2010 betrug der Wert 32 Prozent. Ähnlich die Ergebnisse der Fondsbank Ebase: Die Studie "Nachhaltige Kapitalanlagen 2021" bestätigt die sehr hohe Relevanz nachhaltiger Investments für deutschen Anleger. 47 Prozent der Befragten seien der Ansicht, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage in den nächsten zwölf Monaten an Bedeutung gewinnen werde.
Die Natixis-Erhebung unter Profis zeichnet ein noch grüneres Bild der Anlagewelt: Weltweit wurden 3600 professionelle Investoren, Fondsselektoren oder Finanzberater befragt. Mehr als 70 Prozent von ihnen nutzen schon jetzt nachhaltig ausgerichtete Investmentstrategien.
Kein Wunder, dass Morningstar angesichts der starken Nachfrage laufende Rekorde beim Volumen grüner Fonds festgestellt und zudem ermittelt hat, dass in Europa zuletzt fast 80 Prozent des Neugeschäfts auf ESG-Strategien entfielen.
Ungeachtet des wachsenden Anlegerinteresses und der tatsächlich investierten Gelder darf nicht vergessen werden, wie komplex und vielfältig grüne Investments sind. Das zeigt sich an der Studie von Natixis, die zum Ausdruck bringt, dass viele Wege zur Nachhaltigkeit führen.
Die Integration von ESG-Kriterien in den Anlageprozess gehört zu den am meisten präferierten Methoden. 48 Prozent der institutionellen Investoren befürworten diesen Ansatz. Immer noch verbreitet ist der seit den siebziger Jahren benutzte Ausschluss von Unternehmen oder Branchen.
Rund ein Drittel der Befragten setzen auf die Strategie Active Ownership, also den Versuch, über Gespräche mit der Unternehmensleitung Einfluss zu nehmen. Dann gibt es noch das Investieren in Themenfonds wie Wasser oder das Impact Investing, das zunehmend wichtiger wird.
Um bei diesen unterschiedlichen Ansätzen den Durchblick zu behalten und nicht einem Etikettenschwindel aufzusitzen, hat sich die Informationslage für Anleger jüngst verbessert.
Seit März gibt es die EU-Offenlegungsverordnung zur erweiterten Transparenz bei nachhaltigen Produkten. Sie soll dazu dienen, Finanzprodukte durch Pflichtangaben zu Nachhaltigkeitsrisiken und -strategien besser vergleichbar zu machen. Außerdem soll das besagte Greenwashing vermieden werden.
Bei allen Klagen über mehr Bürokratie durch die neue Offenlegungsverordnung scheint die neue Regulierung auch für die Anbieter nicht schlecht zu sein.
Beim Finanzdienstleister BCA spricht man von einer "neuen vielversprechenden Storyline" für den Vertrieb und sieht auch "reichlich Nachfragepotenzial" für nach der EU-Verordnung klassifizierte grüne Anlageprodukte. Auch die Deka sieht einen klaren Vorteil, der in der Transparenz begründet ist sowie den Vertrieb besser in die Lage versetzt, mit seinen Empfehlungen näher an die Kundenpräferenzen zu rücken.