Im Weltall vagabundieren heiße Sternkerne, die sich zu sogenannten Weißen Zwergen entwickelten. Neulich fanden Astronomen heraus, dass sich hier unvorstellbar große Mengen an Diamantkristallen aufhalten.
von Hans-Jörg Müllenmeister
Ja, es gibt sogar Planeten, die zum größten Teil aus Diamant bestehen. Einer dieser kosmischen Diamanten, genannt BPM 37093, ist eigentlich ein kristalliner weißer Zwergstern, etwa 50 Lichtjahre von uns entfernt. Auch unser Planet Erde ist mit Diamanten reich gesegnet.
Selten fördert man herrliche Kohlenstoffgebilde zutage, darunter hochseltene, farbige Exemplare. Zur Zeit bereitet man gerade in Hongkong bei Sotheby's erneut den 59,6-karätigen, weltweit teuersten „Pink-Star“-Diamanten zur Versteigerung vor, Limit 71 Millionen US-Dollar. Lassen wir uns hier für einen Moment von eben so einem Protagonisten verzaubern. Hören wir die Lebensgeschichte eines roten Diamantkristalls (Fancy Coloured Diamond):
„Jäh wurde ich dem glutheißen Schoß der Mutter Erde entrissen. Lang ist meine abenteuerliche Lebensgeschichte, fast so alt wie der Planet selbst, der mich gebar. Der Kosmos schrieb drei Milliarden Jahre vor der Zeitrechnung. In jener Epoche fanden und fügten sich elementare Kohlenstoffatome zu wohlgeordneten Kristallen. Ein kleiner Teil der belebten Welt, gewisse Zweibeiner auf dem Erdball, nannten uns viel später Diamanten. Einer dieser seltenen Kristallen bin ich. Strengste Disziplin ist unsere Art. Irgendwie haben wir nämlich ein kollektives Bewusstsein, wie wir unsere Atome anordnen (kubisch-flächenorientiert). Symmetrie und Ordnung sind uns angeboren. Man frage uns nicht nach dem Wie. Ihr Menschlein werdet den Geist des Schöpfungsplans eh nie ergründen.
Als wir uns Schicht für Schicht zusammenfanden, entdeckten gerade die ersten irdischen Pflanzensiedler die Photosynthese. Indessen schmorten wir tief im Leib der Erde. Es herrschte Höllenglut. Der Druck war galaktisch. Das Gewicht eines Mammuts auf einem Stecknadelkopf wäre dagegen eine sanfte Streicheileinheit. Die Geburtsurkunde des Infernos tragen wir Diamanten wie ein Muttermal in uns. Mich hat die Natur damit bedacht, zeitlebens Olivin-Mineralgäste in mein festgefügtes Kristallgitter aufzunehmen. Glaubt ja nicht, dass mir die Rolle als Gastgeber gefiel. Meine Mineralgäste mussten sich mir schon anpassen. Kein Wunder, dass sie dabei mein Erscheinungsbild annahmen.
Wie von Geisterhand gepackt, geriet ich aus mehr als 300 km Erdtiefe auf ein glutflüssiges Transportband aus dem Mineral Kimberlit. Mit diesem flüssigen Vehikel trat ich vor etwa 200 Millionen Jahren die weite Reise aus dem Höllenschlund nach oben an. Viele meiner Diamant-Geschwister begleiteten mich. Im Geburtskanal, der Piepe eines riesigen Vulkanschlotes, blieben wir stecken. Noch ehe wir das Licht der Welt erblickten, verfielen wir in einen langen, tiefen Schlummer.
Irgendwann erwachte ich. Wassermoleküle des einsickernden Regens brachten mir die Kunde von der nahen Erdoberfläche. Plötzlich bebte die Erde wie vor Urzeiten. Das Dröhnen gefräßiger Bagger erschütterte selbst das letzte Atom meiner kristallinen Behausung. Wieder erfasste mich ein Transportband, diesmal war es fettgetränkt. Wehrlos klebte ich wie eine Fliege an der Leimrute. Eine grobe, dreckverschmierte Menschenhand packte mich unsanft und warf mich mit einigen meiner Artgenossen in eine hölzerne Kiste. Gewiss, alle hatten wir die gleiche sagenhafte Härte, alle eine ähnliche Lebensgeschichte. Wir konnten stolz sein, den nagenden Kräften der Elemente getrotzt zu haben. Doch ich war die Adelige unter meinesgleichen. Mein natürliches, pinkfarbenes Aussehen ließ alle vor Neid erblassen“.
Es dauerte nicht lange, da ergriff Frau Kristallweiß das Wort für alle: „Sagen Sie mal, Gräfin von Kristallrot, wie kommen Sie zu dieser unverschämt seltenen Farbe?“ :„Ehrlich gesagt, eine Weile musste ich nachdenken und mein Kristallgitter Atom für Atom abfragen. Unter Myriaden von Kohlenstoffatomen fanden sich schließlich ganz vereinzelt blinde Passagiere. Alle Achtung, diese atomaren Fremdlinge hatten es dank ihrer ähnlichen Atomgröße geschafft, unbemerkt einige Plätze im Kristallgitter zu besetzen.
Nicht das ich sie tadeln möchte, im Gegenteil: Gerade diese köstliche Durchmischung an den Fensterplätzen meines Kristallhauses machte mich ja so attraktiv: Dem Betrachter erscheine ich dadurch purpurrot (selektive Absorption), vielleicht liegt die Farbursache aber auch an meinen inneren Verspannungen. Vor 300 Millionen Jahre brachte ein mächtiger Stress mein Gefüge durcheinander. Trotz dieses außergewöhnlichen Stigmas hätte ich gerne eine Weile mit meinen hartleibigen, blassen Vettern der edlen Zunft Anekdoten aus der Jugend ausgetauscht, denn was hatten wir nicht alles im Dunkeln der Zeit erlebt.
Allein gelassen mit meiner ganzen Pracht und Herrlichkeit, sperrten sie mich in das Verlies einer stählernen Dose. Monate vergingen. Für mich war das ein Zeit-Nichts, ich, dem Symbol der Ewigkeit. Wie dauert mich die Menschheit, die mein funkelndes Licht nur für einen Augenaufschlag von einigen kurzweiligen Millionen Jahre erblicken und genießen darf – diese zweibeinigen Eintagsfliegen.
Hin und wieder drangen urtümliche Laute in mein Behältnis. Von Zeit zu Zeit stand ich im Mittelpunkt einer Unterhaltung in bestem KIänguru-Englisch. Ich war der Sensationsfund in der jungen Argyle-Mine (erschlossen seit 1986) im nordwestlichen Australien. Da ich keiner Vergänglichkeit unterliege, also auch kein Zeitgefühl kenne, weiß ich nicht, wie lange ich alleine verbrachte, bis ich mit gleichfarbiger Verwandtschaft zusammentraf.
Eines schönen Tages gab es für mich und meiner Crew aus der Unterwelt ein herbes Erwachen: Man rückte mir mit einer Schleifscheibe zu Leibe. Unzählige Atome wurden mir grob aus dem Körper gerissen. Unter dem Gekreische der Scheibe verbrannten meine Bausteine zuhauf. Einige gingen eine lockere Beziehung mit Sauerstoffatomen (CO2) ein, andere wieder zerfielen unter der Reibungshitze wachsweich zu Graphit (C-Modifikation). Natürlich blieben meine kubisch angelegten Elementarzellen aus Kohlenstoff erhalten. Allerdings verpaßten die Menschen mir äußerlich einen hervorragenden Schliff mit 57 Facetten, den sie Brillantschliff nennen. Ich muss sagen, seitdem fühle ich mich wie neugeboren, wohlproportioniert und bestens gekleidet. Ein Jungbrunnen nach Millarden Jahre im Höllenschlund.
Mit meinem ruhigen Leben war es vorbei. Langsam fühle ich mich als Kosmopolit. Ich reise von Australien nach Europa, von Europa nach Amerika, von den Staaten wieder nach Europa. Und warum diese Hektik? Da stellen die Menschen immer wieder die merkwürdige Frage nach meiner Farbechtheit. Herrschaften, ich bin ein Fancy Coloured Diamond!
Mein edles Geschlecht kennt man doch, auch wenn ich nicht blaublütig bin wie meine bucklige Verwandtschaft, übrigens, ihre Blaufärbung verdanken sie einigen eingedrungenen Bor-Atomen. Aber nein, sie mussten mich im Gemmological Institute of America auf Herz und Nieren prüfen. Der spektrometrische Test im Speziallicht hat uns C-Atome ganz hübsch in Schwingungen versetzt; jedenfalls unsere Resonanz war groß. Nun steht es unter der Prüfnummer amtlich fest: Ich gehöre offiziell zur Elite der naturfarbenen Diamanten. Einige Zeit geschah nichts mit mir. Ich döste im Dunkeln eines Tresors und harrte der Dinge, die da kommen. Und sie kamen: Ein bärtiger Schlüssel schob sich klickend ins Schloss. Die schwere Panzertüre öffnete sich. Ich geriet mit anderen Diamanten, allerdings der blassen Art, in eine Aufsehen erregende Diamant-Versteigerung nach Genf.“
„Gnädige Frau Gräfin von Kristallrot, was hat man mit uns vor, Sie sind doch die Weitgereiste von uns“? Diese brillante Frage zerschellte unter dem Hammerschlag des Auktionators – „drei Millionen zum Ersten, zum Zweiten und... zum Dritten“!
So geriet Gräfin Kristallrot unter den Hammer und die damit königlich geschmückte Braut unter die Haube.