Ein ehemaliger Qualitätsmanager von Boeing wurde in den USA tot aufgefunden. Hintergründe unklar. Aktienkurs kollabiert. Deutschstämmiger Boeing-Ingenieur wirft dem Flugzeugbauer vor, Sicherheitsmängel ignoriert zu haben.
Boeing 1 Jahr
In den USA ist ein ehemaliger Boeing-Manager tot aufgefunden worden, der den Konzern immer wieder wegen angeblicher Sicherheitsprobleme öffentlich kritisiert hatte. Der 62-jährige John Barnett habe sich vor einem Hotel im Bundesstaat South Carolina vermutlich selbst getötet, teilte die Polizei in Charleston mit und verwies auf "die weltweite Aufmerksamkeit", die der Mann erregt habe.
Barnett war ein langjähriger Boeing-Mitarbeiter und arbeitete als Qualitätsmanager, bevor er das Unternehmen 2017 verließ. Seitdem teilte er seine Sorgen über aus seiner Sicht mangelhafte Zustände in der Produktion der Boeing-Maschinen mit Journalisten.
Ex-Ingenieur packt aus
Der US-Flugzeugbauer Boeing hat trotz zweier Abstürze und einer Beinahe-Katastrophe im Januar offenbar wenig Interesse an einer neuen Sicherheitskultur. Das legen Aussagen des deutschstämmigen Boeing-Ingenieurs Martin Bickeböller gegenüber der Flugaufsichtsbehörde FAA nahe, die dem SPIEGEL vorliegen. Bickeböller wirft seinem Arbeitgeber darin vor, gegen »interne Abläufe« verstoßen zu haben und in vielen Fällen »nicht nach den Ursachen der Verstöße gesucht« zu haben. Der Ingenieur war an Konstruktion und Fertigung der Boeing 787, dem sogenannten Dreamliner beteiligt. Dabei fand er heraus, dass Rumpfteile, die von dem Zulieferer Spirit Aeronautics gekommen waren, nicht exakt den Vorgaben entsprachen. »Bis zum heutigen Tag hat Spirit nicht nachgewiesen, dass die Lieferung der Sektion 41 den Vorgaben von Boeingentsprach«, schreibt Bickeböller etwa.
Bei der Sektion 41 handelt es sich um das vordere Rumpfsegment, in dem sich das Cockpit befindet. Von Spirit Aeronautics stammt auch jenes Rumpfteil, das im Steigflug einer 737 Max von Alaska Airlines Anfang Januar herausfiel. Bickeböller listet eine Reihe von möglichen Verstößen auf, etwa bei Passagiertüren und Kabelbäumen.
Obwohl Boeing jahrelang bekannt gewesen sei, dass Spirit der Pflicht nicht nachkam, sei »nicht ein einziges Flugzeug« im Detail auf mögliche Probleme hin untersucht worden. Das »Ausmaß der Fehler«, schreibt Bickeböller an einer Stelle, zeige, wie systematisch der Überwachungsprozess kollabiert sei.
Einer seiner Vorgesetzten habe ihn angeherrscht, er werde doch kein Flugzeug wegen dieser Dinge »auseinanderrupfen«, so Bickeböller laut den Unterlagen. Ein leitender Mitarbeiter und ein Rechtsberater hätten ihm noch 2023 erklärt, es brauche sehr lange, um eine penible Sicherheitskultur zu etablieren, daran habe man kein Interesse. Auch äußert Bickeböller den Verdacht, Vorgesetzte hätten an das obere Management gemeldet, dass die Beanstandungen bei Spirit behoben seien, obwohl dies nicht der Fall gewesen sei, schreibt er in dem 62-seitigen Bericht aus dem Januar 2024.
Boeing erklärte dazu, allen Vorwürfen mit größter Ernsthaftigkeit und Strenge nachzugehen. Viele der von Bickeböller angesprochenen Probleme reichten viele Jahre zurück und seien bereits unter Aufsicht der FAA gründlich geprüft und ordnungsgemäß behandelt worden. Boeing setze die genehmigten Anforderungen an das Konfigurationsmanagement und die Abhilfemaßnahmen für das 787-Programm um und unterrichte die FAA regelmäßig über diese Fragen. Die Behörde ließ eine Anfrage des SPIEGEL zu Bickeböllers Eingaben unbeantwortet. Der SPIEGEL erhielt die Dokumente über einen Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz in den USA.
Bickeböller hatte die FAA auch schon vor 2019 über Probleme bei Boeing informiert. Weil er sich danach vom Unternehmen schikaniert fühlte, strengte er 2022 ein Verfahren beim US-Arbeitsministerium an.