Frank Schäffler zu Griechenland-"Hilfe": Die so genannte Griechenland-Hilfe dient nicht Europa oder Griechenland, sondern ist und bleibt eine Subventionsmaschine für Griechenlands Gläubiger und die Gläubiger seiner Banken.
von Frank Schäffler
Wir werden heute gefragt, den Änderungen des zweiten Anpassungsprogramms für Griechenland zuzustimmen, damit die nächste Tranche in Höhe von 43,7 Milliarden Euro bereitgestellt werden kann. Das Budgetrecht ist unser Königsrecht. Ausgaben haben wir dem Steuerzahler gegenüber zu verantworten. Etwas zu verantworten bedeutet, Antworten geben zu können und die Fragen zu kennen.
Wird der Steuerzahler ungeschoren davonkommen? Die Verschleppung der Reformen hat zu einem höheren Finanzierungsbedarf geführt. Dieser wird unter anderem über drei verschiedene Maßnahmen gedeckt, die jeweils eine Beteiligung der Zentralbanken des Eurosystems voraussetzen. Erstens hat die Europäische Zentralbank Griechenland erlaubt, einen größeren Teil seiner Staatsfinanzierung über Schatzwechsel (T-Bills) zu finanzieren. Diese kurzfristigen Anleihen sind so gut wie Geld und erhöhen unmittelbar die Geldmenge, bewirken also inflationäre Effekte. Zweitens haben Zentralbanken des Eurosystems einem Rollover von griechischen Staatsanleihen in ihren Beständen zugestimmt. Das bedeutet, dass sie die Erlöse aus fällig werdenden Anleihen in ihrem Bestand in neu aufgelegte Anleihen Griechenlands reinvestieren werden. Diese Maßnahme ist direkte monetäre Staatsfinanzierung, die verboten ist. Drittens werden erstmals Mittel aus dem Bundeshaushalt direkt an den griechischen Staat überwiesen, die der Höhe nach dem Gewinn der Bundesbank aus dem Erwerb von griechischen Anleihen im Rahmen des früheren Aufkaufprogramms „SMP“ entsprechen. Es geht um einen Barbetrag von annähernd drei Milliarden Euro. Diese Milliarden werden kassenwirksam.
Was haben die Griechen von den Hilfsmilliarden? Zur Auszahlung vorgesehen sind 43,7 Milliarden Euro. Doch nur 10,6 Milliarden Euro davon sind für den Defizitausgleich des griechischen Budgets gedacht. Dagegen sind 23,8 Milliarden für die Abwicklung und Rekapitalisierung des griechischen Bankwesens vorgesehen. Gerettet wird nicht die griechische Bevölkerung. Wer der Hilfe zustimmt, der kann dies also nicht mit seiner Solidarität begründen – für die man überdies auch noch die Steuerbürger bezahlen lässt.
Es geht vielmehr um Griechenlands Bankensektor. Leider soll erst gegen Ende April 2013 feststehen, wie hoch das jeweilige individuelle Kapitalbedürfnis der griechischen Banken ist. Allerdings wird der griechische Bankenstabilisierungsfonds bereits vorher, nämlich schon im Dezember 2012, gegenüber vier „besonders wichtigen“ Banken eine Selbstverpflichtung abgeben, jedes spätere Kapitalbedürfnis dieser vier Banken zu befriedigen. Da jedes Loch in der Kapitaldecke dieser Banken unbedingt gestopft werden soll, entstehen hier Fehlanreize zur Verlagerung von Bankrisiken auf den europäischen Steuerzahler. Überdies werden diese vier „besonders wichtigen“ Banken gerettet, obwohl die EBA in ihrem Stresstest nur zwei griechische Banken als systemrelevant erkannt hat. Es ist überhaupt unklar, warum diese vier „besonders wichtigen“ statt der zwei bekannten systemrelevanten griechischen Banken gerettet werden sollen.
Wem nutzt dies? Die Gläubiger dieser „besonders wichtigen“ Banken profitieren am meisten von unseren Überweisungen. Wir kennen nicht einmal ihre Namen. Die so genannte Griechenland-Hilfe dient nicht Europa oder Griechenland, sondern ist und bleibt eine Subventionsmaschine für Griechenlands Gläubiger und die Gläubiger seiner Banken. Bemerkenswert: Erst jetzt kommt man auf die Idee, verbliebene Nachranggläubiger der griechischen Banken an deren Sanierung durch Bail-in zu beteiligen. Dies bringt 600 Millionen Euro. Es stellt sich die Frage, wie viele zusätzliche Milliarden Bail-in-Kapital zur Verfügung gestanden hätten, wenn man diese Maßnahme zu Beginn und nicht erst im dritten Jahr der griechischen Insolvenzverschleppung verlangt hätte.
Werden wir uns heute das letzte Mal mit dem Anpassungsprogramm für Griechenland befassen?
Erstens werden die Mittel für die griechische Bankenrettung wegen der Fehlanreize nicht ausreichen. Wer heute zustimmt, der legt die Grundlage für die spätere Abforderung weiteren Sanierungskapitals für die griechischen Banken.
Zweitens erwartet die Troika bis 2016 trotz der inzwischen vorgenommenen Abstriche immer noch Privatisierungserlöse in einer Höhe von phantasievollen 22 Milliarden Euro. Jeden fehlenden Privatisierungseuro muss der europäische Steuerzahler später ausgleichen.
Drittens haben die Euro-Staaten weitere Eventualmaßnahmen vereinbart. Sie sollen die Schulden Griechenlands um fast 8 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts reduzieren. Nach heutigen Verhältnissen entspricht dies weiteren 16 Milliarden Euro. Wie diese versprochenen Maßnahmen konkret aussehen sollen, bleibt uns indes unbekannt. Doch nur mit ihnen kann überhaupt 2020 der in Aussicht gestellte Schuldenstand von 124 Prozent und 2022 von 110 Prozent erreicht werden.
Viertens kommen weitere Milliarden wegen der zehnjährigen Stundung der Zinsen auf die EFSF-Kredite dazu. Die gestundeten Zinsen sind nicht mehr fällig und senken dadurch den Schuldenstand, weil nicht fällige Forderungen auf diesen nicht angerechnet werden müssen. Die gestundeten Zinsforderungen verzinsen sich allerdings während der 10 Jahre dauernden Stundungsphase! Diese Milliardenforderung wird die EFSF im Jahr 2023 fällig stellen. Dann wird sie die Staatsschuld erhöhen. Allein in der Hälfte des Zeitraums der Stundung von 2012 bis 2016 geht es um 13,6 Milliarden Euro. Man kann also realistisch mindestens mit der doppelten Summe gestundeter Schulden rechnen. Diesen Betrag muss man ab 2023 der griechischen Staatsschuld hinzurechnen. Die Angabe, im Jahr 2022 rechne man mit einem tragfähigen Schuldenstand Griechenlands von 110 Prozent, trifft ab 2023 nicht mehr zu.
Fünftens klafft trotz aller Maßnahmen immer noch eine aus der Streckung des Programms resultierende Finanzierungslücke von fast 4 Milliarden Euro in den Jahren 2015 und 2016.
Manche Fragen sind gestellt, einige Antworten liegen vor. Aus Verantwortung für das Budget, die Steuerzahler und auch für die griechische Bevölkerung ist festzuhalten: Es ist klar, dass heute erneut die Gläubiger von Banken und Staaten auf Kosten der Allgemeinheit gerettet werden. Es ist klar, dass diese Anpassung des Programms keine Lösung der griechischen Schuldenmisere bedeutet. Es ist klar, dass die Zahlen geschönt und geglättet wurden. Es ist klar, dass bald wieder Mittel für Griechenland in einem hohen zweistelligen Milliardenbetrag fehlen werden. Es ist klar, dass der Bundestag nochmals über Griechenland verhandeln wird. Es ist vor allem klar, dass der eingeschlagene Weg gescheitert ist.
Die uns zur Entscheidung gegebene Anpassung des Programms verschleiert und verschleppt in Wahrheit die seit 2010 anhaltende Insolvenz Griechenlands. Dazu senkt und stundet man die Zinsen, verschiebt Fälligkeiten, verzichtet auf Avalgebühren, beteiligt die Privatgläubiger durch einen Schuldenrückkauf und prolongiert die laufenden Kredite der Zentralbanken. Im Ergebnis bedeutet dies einen zweiten Schuldenschnitt mittels einer Restrukturierung der Staatsschulden Griechenlands. Fände diese Schuldenrestrukturierung nach einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone statt, wären die Maßnahmen als erster Schritt zur Rückkehr in die Normalität und Stabilität zu begrüßen. Für ein Griechenland Innerhalb des Euroraums sind sie nicht mehr als Flickschusterei.