Die Kanarischen Inseln entwickeln sich immer mehr zu einem Brennpunkt illegaler Zuwanderung nach Europa.
Die Zahl der dort festgestellten unerlaubten Einreisen hat sich binnen Jahresfrist verzehnfacht, geht aus einer internen Analyse der EU-Kommission hervor, über die die "Welt am Sonntag" berichtet. Demnach wurden auf den Kanaren bis 22. November dieses Jahres 17.911 Ankünfte registriert (Vorjahr 1775).
Auf den Inseln vor der Nordwestküste Afrikas traf jeder Fünfte der insgesamt 88.550 Migranten ein, die dieses Jahr illegal über die südlichen Länder in die EU gekommen sind. Die Route über das spanische Archipel wird inzwischen doppelt so häufig genutzt wie jene über die griechischen Inseln (8.846). Seit September verschärft sich die Lage in der Region.
Die Brüsseler Beamten gehen davon aus, dass der "Zustrom auf die Kanaren weiter steigt". Als Hauptgründe führen sie die typischerweise bis Ende Dezember guten Wetterbedingungen an, zweitens motiviere viele die Corona-Pandemie samt der schlechten Wirtschaftslage der Herkunftsländer zur Überfahrt.
Drittens sei das ohnehin sehr geringe Abschiebungsrisiko für die meist aus Marokko und Subsahara-Staaten stammenden Migranten im Zuge der Pandemie sehr deutlich gesunken. Insgesamt erreichten der Analyse zufolge in diesem Jahr bisher 35.342 Migranten Spanien (plus 24 Prozent), 132 kamen bei der Überfahrt ums Leben. Damit ist das Land inzwischen vor Italien und Griechenland das Hauptankunftsland für illegal Einreisende.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), sieht akuten Handlungsbedarf: "Mit einem EU-Projekt sollte auf den Kanaren demonstriert werden, dass zügige Verfahren und Rückführungen machbar sind, wie es die Pläne für die europäische Asylreform an allen Außengrenzen vorsehen." Die schon lange angekündigte große Reform des EU-Asylsystems erlebt allerdings einen Rückschlag.
In einem Brief der Regierungschefs von Spanien, Italien, Griechenland und Malta an Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), über den die "Welt am Sonntag" berichtet, wird die "Unausgewogenheit" des von Brüssel im September vorgelegten Reformkonzepts kritisiert.
Die Absender verlangen die nicht mehr vorgesehene "verpflichtende Umverteilung" der Ankömmlinge innerhalb der Union. Zudem müssten die geplanten "verpflichtenden Asylverfahren an den Außengrenzen überarbeitet" werden. Die anvisierte Errichtung "großer geschlossener Asylzentren" sei "nicht hinnehmbar". Die Staaten wollen hingegen weiter selbst darüber entscheiden, für welche Migrantengruppen sie schnelle Grenzverfahren durchführen.
In Deutschland sorgt das für Enttäuschung. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) sagte, sollten die Küstenstaaten auf ihrem Standpunkt beharren, "sinken die Chancen auf die von Bundesinnenminister Horst Seehofer angestrebte Einigung auf wesentliche Punkte der Reform noch in diesem Jahr beträchtlich". Die "Außengrenzverfahren in geschlossenen Asylzentren" bezeichnet er als politisch unverzichtbar. "Bricht dieser Pfeiler zusammen, stürzt das ganze Gebäude ein." Ohne sie "wäre die Reform aus deutscher Sicht nicht zustimmungsfähig".