In der Berichterstattung über die Grünen haben die Medien jede Scham verloren. Vor allem Annalena Baerbock wird quasi als Erlöserin verheiligt, Negatives wird geschickt ausgeblendet.
von DK
Manchmal fragen sich Bürger ja, wieso in den meisten Medien etwas völlig anderes steht als das, was sie selbst erleben und erspüren in ihrem Alltag. Das massivste Beispiel für die Schere zwischen Realität und medialer „Wirklichkeit“ ist und bleibt die Berichterstattung über die Grünen.
Heute haben wir für unsere Leser mal ein besonders feines Beispiel besorgt. Es handelt sich um ein Porträt des Journalisten Jürgen Petzold, der für die Nachrichtenagentur AFP regelmäßig die Grünen beobachtet. Es wurde am 9. Juni 2021 an alle rund 3500 Redaktionen, Journalisten und andere Stellen verschickt, die AFP abonniert haben.
Unter der Überschrift „Kluge Pragmatikerin mit Ambitionen auf das Kanzleramt“ liest man hier eine ganz besondere Eloge, die selbst für die verkommenen Verhältnisse der Berliner MedienPolitikBlase ein ganz besonders feines Exemplar medialer Distanzlosigkeit darstellt.
Annalena Baerbock mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. «Ich trete an für Erneuerung, für den Status Quo stehen andere», sagte die Grünen-Chefin bei der Verkündung ihrer Kanzlerkandidatur im April.
…beginnt der Text – durchaus bemerkenswert, mit einem fast acht Wochen alten Zitat zu beginnen. Das Signal ist klar: Hier soll der schöne alte Frame wiederhergestellt werden – ganz so, als habe es die Peinlichkeiten und Schummeleien der angeschlagenen Grünen-Kandidatin nie gegeben.
Die 40-jährige Völkerrechtlerin, die seit Anfang 2018 gemeinsam mit Robert Habeck die Partei führt, nimmt Kurs auf das Kanzleramt. Zwar verfügt die Bundestagsabgeordnete über keinerlei Regierungserfahrung, doch sie gilt als durchsetzungsstark und gut vernetzt.
…heisst es weiter. Ein journalistischer Liebesdienst ist es, Schmalspurstudentin AB allen Ernstes als „Völkerrechtlerin“ zu bezeichnen – und dies, ohne auch nur ein Wort über die breite öffentliche Debatte zu verlieren, die um diese von AB selbst angeeignete Bezeichnung tobte. Auch hübsch: einer der Hauptkritikpunkte wird im zweiten Satz eingerahmt von drei Positiv-Punkten – und ist somit erwähnt, aber auch erledigt.
Dass sie über keine Regierungserfahrung verfügt, wird Baerbock im Wahlkampf wohl oft zu hören bekommen. Also sagte sie es bei der Vorstellung ihrer Kandidatur gleich selbst: «Ja, ich war noch nie Kanzlerin, und auch nicht Ministerin.» Doch sie betrachtet sich und ihre Partei als «lernfähig».
Oh nein… das Thema ist wohl doch sooo heftig, da muss Petzold offenbar doch nochmal ran. Und er nutzt wieder Wochen alte Zitate, um AB schön „auf Anfang“ zu setzen – und so die heftigen Debatten in den letzten 14 Tagen vergessen zu machen.
Spekulationen über eine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit hat sie schon vor einiger Zeit selbstbewusst gekontert: «Drei Jahre als Parteichefin, Abgeordnete und Mutter kleiner Kinder stählen ziemlich.» Nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur schnellten die Grünen-Werte in die Höhe, die CDU/CSU wurde auf Platz zwei verwiesen. Doch die Euphorie ließ zuletzt spürbar nach.
Echt jetzt? Warum denn das? Und die „Euphorie“ lässt nur nach? Ist also immer noch da, landauf, landab – nur etwas weniger als in Prenzlauer Berg und in den Berliner Redaktionsstuben?
Dass Baerbock Nebeneinkünfte zu spät an die Bundestagsverwaltung meldete und ein «blödes Versäumnis» einräumen musste, war ein gefundenes Fressen für die politischen Gegner. Zudem musste sie Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf klarstellen.
Das ist wirklich grandios: Petzold schafft es hier, die „zu spät“ (de facto: garnicht, sondern erst nach Anfragen der Presse!) gemeldeten Einkünfte ohne jedes Detail (etwa die Summe von 25.000 Euro, von der „einfache“ Menschen ein ganzes Jahr leben können müssen) so zu drehen, dass das „cui bono“ im Mittelpunkt steht. Also nicht der Verstoß gegen die Regeln für Abgeordnete, sondern die Punkte für die politischen Mitbewerber sind das Problem…
In jedem Fall wird Baerbock einen Wahlkampf mit heftigem Gegenwind bestreiten müssen. In ihren gut drei Jahren an der Spitze der Grünen hat sie aber bewiesen, dass sie das politische Handwerk beherrscht: Baerbock ist verbindlich und vertritt jenen Pragmatismus, der die Grünen zu ihrer jetzigen Stärke geführt hat. Die ausgewiesene Realpolitikerin schaffte es dabei, den linken Parteiflügel einzubinden.
Na, das ist ja prima. Ein Super-Zeugnis von AFP.