Nach dem Terrorangriff der Hamas und der Reaktion Israels sorgen sich deutsche Behörden um die Sicherheitslage in der Bundesrepublik. Das geht aus Unterlagen und Aussagen aus Sicherheitskreisen hervor, wie die "Welt am Sonntag" berichtet. Anders als in der Vergangenheit, als ein besonderes Augenmerk auf das Wirken von Terrororganisation wie Al-Qaida lag, rücken nun verstärkt Hamas-Befürworter in den Fokus; von einer "volatilen Lage", die unmittelbar von den Geschehnissen im Nahen Osten beeinflusst wird, ist die Rede.
Das deckt sich mit Aussagen von Sinan Selen, Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. In einer nicht-öffentlichen Sitzung des Bundestags-Innenausschuss am 11. Oktober sagte er gemäß des Protokolls, Einzelpersonen oder Kleingruppen könnten den Konflikt nach Europa tragen: "Abstrakt ist das eine Entwicklung, die wir als höchst besorgniserregend einschätzen", sagte Selen laut Bericht der "Welt am Sonntag". Es drohe eine "langfristige Verschärfung der Sicherheitslage". Die aktuelle Lage nach dem Hamas-Angriff sei "geeignet, Mobilisierungspotenzial in der extremistischen und terroristischen Community weltweit und einen Solidarisierungseffekt herbeizuführen mit den entsprechenden risikoerhöhenden Elementen".
Verfassungsschützer Selen sagte, man müsse unterscheiden zwischen Problemen bei Demonstrationen und "Einzeltätern und Kleingruppen, die sich dann auf israelische und jüdische Ziele (…) fokussieren und sich zu ihrem eigenen - ich formuliere es mal etwas salopp - persönlichen Dschihad (…) berufen sehen". Die Lage in Deutschland werde vor allem von Gegenmaßnahmen der israelischen Armee beeinflusst. "Die Hamas wird diese Bilder im Endeffekt für die eigene Propaganda in der Community einsetzen", sagte Selen. "Das ist eine unserer großen Sorgen: dass daraus ein Emotionalisierungs- und Radikalisierungspotenzial zustande kommt." BKA-Vizepräsidentin Martina Link erklärte: "Wir rechnen damit, dass es entsprechende Aufrufe zu Anschlägen auf israelische Ziele in westlichen Staaten absehbar aus diesen Kreisen geben wird." Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul sagte jüngst, dass sich jede Aktion in Nahost "potenziell auch auf unsere Straßen auswirkt".
Auf Anfrage der "Welt am Sonntag" versicherte der CDU-Politiker, die Behörden würden jüdische Einrichtungen schützen sowie Anti-Israel-Demonstrationen "engmaschig begleiten" oder versuchen, diese zu verhindern: "Aber Versammlungsverbote würden nicht den Israel-Hass und den Antisemitismus aus den Köpfen herausholen." Besonders die arabische Community müsse sich fragen, "wie sie sich in einem Staat zu verhalten hat, der sich die Unversehrtheit Israels auf die Fahnen schreibt". Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD), derzeit Vorsitzende der Innenministerkonferenz, betonte in der "Welt am Sonntag", man spreche im Zusammenhang mit den Ausschreitungen bei Demonstrationen von etwa 300 bis 500 Personen. Dies sei "nur ein winziger Bruchteil der Menschen, die in Neukölln leben".
Die Zusammensetzung der Täter werde derzeit ausgewertet: "Gerade mit Blick auf die Straftaten in Neukölln lässt sich feststellen, dass auch Schaulustige, Gewaltinteressierte und -geneigte hinzutreten, die sich erst einmal passiv verhalten und sich bei passender Gelegenheit beteiligen." Die Bundesländer mahnen unterdessen, dass eine mögliche Ausweitung des Konflikts nicht "zu vermehrten Fluchtbewegungen möglicherweise bis nach Europa" führen dürfe. Es müssten Maßnahmen ergriffen werden, "damit Deutschland und Europa nicht zu einem Rückzugsort für Hamas-Mitglieder, deren Sympathisanten und Unterstützer oder militante Palästinenser wird", heißt in einem internen Protokoll der Leiter der Staats- und Senatskanzleien, über das die "Welt am Sonntag" berichtet.
Foto: Verbotene Pro-Palästina-Demo am 18.10.2023, über dts Nachrichtenagentur