Die Affäre um sexuelle Belästigungen beim WDR durch Korrespondenten und leitende Redakteure weitet sich aus. Die Kölner Staatsanwaltschaft verfolgt die Berichterstattung in den Medien zur Prüfung eines Anfangsverdachts.
Das wahre Ausmaß der sexuellen Belästigungen und Übergriffe im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sei es durch „Alpha-Tiere“ oder Vorgesetzte, ist immer noch nicht bekannt: Jeden Tag brechen weitere Opfer ihr Schweigen, kommen neue Vorfälle ans Licht.
Der WDR hat nun eine externe Anwaltskanzlei damit beauftragt, den Vorwürfen der sexuellen Belästigung im eigenen Haus auf den Grund zu gehen, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
Sowohl Tina Hassel, damals die Vorgesetzte des Beschuldigten, als auch der damalige Chefredakteur Jörg Schönenborn und die Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff seien informiert gewesen, schreibt die Berliner Morgenpost. Mehrere Rundfunkräte hätten gefordert, die Vorwürfe bei der Ratssitzung am 8. Mai "ausführlich" zu besprechen.
Staatsanwaltschaft prüft
Unterdessen steht die WDR Affäre mittlerweile auch im Fokus der Kölner Staatsanwaltschaft.
Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer teilte auf Anfrage von News25 mit, entsprechende Strafanzeigen seien bei der Staatsanwaltschaft Köln bislang nicht eingegangen. "Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft – jedenfalls bislang - in Ermangelung eines Anfangsverdachts für eine (noch) verfolgbare Straftat – davon abgesehen, von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen eines Sexualdeliktes einzuleiten. Wir werden aber die Berichterstattung in den Medien zur Prüfung eines Anfangsverdachts weiterhin aufmerksam verfolgen," so Bremer.
Wie sieht es rechtlich aus?
Das deutsche Sexualstrafrecht besteht im Kern aus § 177 Strafgesetzbuch (StGB), welcher die sexuelle Nötigung (Abs. 5), den sexuellen Übergriff (Abs. 1-4) und die Vergewaltigung (Abs. 6) tatbestandsmäßig erfasst, und dem „neuen“ § 184i StGB, welcher am 10.11.2016 im Rahmen des „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“ in Kraft trat und die sexuelle Belästigung unter Strafe stellt.
Die sexuelle Nötigung (§ 177 StGB) ist kein Vergehen, sondern ein Verbrechen (§ 12 StGB), da mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bedroht und zudem ein so genanntes Offizialdelikt. Die Ermittlungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) sind bei Offizialdelikten verpflichtet, von Amts wegen zu ermitteln. Die sexuelle Belästigung (§ 184 StGB) dagegen ist ein relatives Antragsdelikt, das heißt, die Ermittlungsbehörde wird nur auf Antrag des Geschädigten aktiv oder wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht.
Wie schaut es mit den bisher bekannt gewordenen Fällen aus, liegen Straftaten vor?
„Hasi“ und „Bang Bus Pornos“
Wenn der Auslandskorrespondent seine Praktikantin ungefragt „Hasi“ nennt, ihr den „Arm umlegt“, sie auf sein Hotelzimmer einlädt, Champagner einschenkt und „Bang Bus Pornos“ vorspielt, ist noch keiner der oben genannten Straftatbestände erfüllt, gleichwohl liegt unzweifelhaft eine sexuelle Belästigung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vor, ebenso unstreitig dürfte auch eine (sexualisierte) Beleidigung im Sinne des § 185 StGB vorliegen.
Der erregte „Kaffee“-Besuch
Anders verhält es sich dagegen, wenn der Vorgesetzte „auf einen Kaffee“ hoch in die private Wohnung einer ihm untergebenen Mitarbeiterin kommt, sich sodann, während die Mitarbeiterin Kaffee kocht, entblößt und die mit dem vorgeblich gewünschten Kaffee zurückkehrende Mitarbeiterin mit seiner nackten Erektion empfängt und ihr dabei sinngemäß verkündet, er würde nun entscheiden, ob sie demnächst vor oder hinter der Kamera arbeiten oder gefeuert wird.
Hier kann der Versuch einer sexuellen Nötigung vorliegen (der Versuch ist strafbar, § 177 Abs. 3 StGB). Der Vorgesetzte kommuniziert der Mitarbeiterin, dass er im Gegenzug für sexuelle Handlungen dafür sorgen wird, dass sie – karriereförderlich – vor der Kamera sitzen wird oder eben – wenn sie sich verweigert – hinter der Kamera – karriereabträglich. Der Vorgesetzte droht mit einem empfindlichen Übel, diese Drohung ist im Verhältnis zum verfolgten Zweck (sexuelle Handlungen) auch verwerflich. Die Mitarbeiterin verweigert sich und fordert den Vorgesetzten auf zu gehen, er geht dann auch, jedoch erst nach wiederholten Aufforderungen. Der Versuch ist also fehlgeschlagen, bleibt aber strafbar. Im Raum stehen also der strafbare Versuch einer sexuellen Nötigung – ein Verbrechen! – oder zumindest der Versuch einer einfachen Nötigung (§ 240 StGB).
Ferner ist hier der Tatbestand des § 183 StGB – Exhibitionistische Handlungen – unzweifelhaft erfüllt. Der Begriff der exhibitionistischen Handlung umschreibt eine Entblößungshandlung mit sexueller Motivation. Das Vorführen der nackten Erektion ist eine solche. Taterfolg ist, dass eine andere Person – hier die Mitarbeiterin – sich belästigt fühlt. § 183 StGB ist jedoch kein Verbrechen und kein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft wird nur bei Strafantrag oder öffentlichem Interesse tätig. Daneben bleiben natürlich noch die (sexualisierte) Beleidigung sowie Hausfriedensbruch, §§ 185, 123 StGB.
Fakt ist jedenfalls: die Grenze zur Strafbarkeit ist überschritten worden!
Der „Maulkorb“ oder: „Sollten Sie sich an diese Vorgabe nicht halten, kann das Auswirkungen auf Ihr Arbeitsverhältnis haben.“
Und was ist mit dem Mitarbeiter, der auf die Vorfälle aufmerksam gemacht hat und sodann mit der Möglichkeit arbeitsrechtlicher, disziplinarischer Maßnahmen konfrontiert wurde?
Hier kommen zunächst die Tatbestände der Strafvereitelung als Verfolgungsvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) wie auch der Nötigung (§ 240 StGB) in Betracht.
Für eine strafbare Vereitelung ausschlaggebend ist allein, dass der Täter absichtlich oder wissentlich vereitelt, dass gegen den Vortäter Strafverfolgungsmaßnahmen erfolgen können, etwa durch das Erschüttern der Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen, das Unterdrücken übriger Beweismittel. Dem „Whistleblower“ ein empfindliches Übel („Auswirkungen auf Ihr Arbeitsverhältnis“) anzudrohen, um ihn so zum Schweigen zu bewegen, kann Nötigung (§ 240 StGB) sein. Es bleibt jedoch bei den bisher bekannten Details fraglich, ob die Drohung das empfindliche Übel ausreichend konkretisierte. In Fällen allgemeiner, unspezifischer Ankündigungen eines schädigenden Verhaltens, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden.
Das „Öffentliche Interesse“
Im Strafprozessrecht wird unter dem Begriff „öffentliches Interesse“ bzw. „besonderes öffentliches Interesse“ das Interesse der Allgemeinheit an einer Strafverfolgung verstanden. Nach herrschender Ansicht liegt die Feststellung des öffentlichen Interesses in der Regel im Ermessen der Staatsanwaltschaft, da sie die „Herrin des Verfahrens“ ist. Dies bedeutet also, dass es bei Fehlen von Strafanzeigen bzw. Strafanträgen Sache der Staatsanwaltschaft ist, zu prüfen und zu entscheiden, ob sie tätig wird oder nicht.