Ein literarisches Weihnachtsschmankerl mit politischem Bezug aus einer Zeit, in der man noch ungehindert zum Dinner gehen konnte.
von Meinrad Müller
„Lust auf Dinner heute Abend?“ Wie unter Freunden üblich ganz knapp, erschien diese Frage gegen 16 Uhr auf Whatsapp. Wir sind, um ein missbrauchtes Wort zu zitieren „Kulturschaffende“, wir komponieren zwar nicht, malen nicht, singen nicht und bringen doch das, was sich tagtäglich politisch abspielt, in eine lesbare und gelegentlich witzige Form, was ja eine Kunst ist.
Unsere Leser lieben es, wenn wir einen zweiten Blickwinkel einnehmen oder jemanden durch den Kakao ziehen. Womit wir bei Tiramisu wären, doch das kommt später.
Ich antworte in maximal gekürzter Form mit einen „Oui“, dies in der Hoffnung, dass damit mein Wunsch, sich in unserem Stammlokal, dem „Petit Paris“ am Kurfürstendamm, zu treffen, dezent angedeutet wäre. Doch Michaels Sinn stand nach italienischer Küche im „Petrocelli“.
Pünktlich wie die Maurer, so handhaben wir es seit Jahren, obwohl wir beide „schwer zu Fuß“ sind, treffen wir uns im Vorgarten dieses Ristorante. Zierliche Orangenbäumchen mit noch kleineren Früchten stehen Spalier. Unser Aperitif mit Campari initiierte das erste Philosophieren.
Nachdem wir beide diesen italienischen Kinderlikör nicht pur, sondern mit Aqua verdünnt lieben, entspann sich ein Gespräch über die Farbe des Glasinhalts.
Welche Partei passte nun zu unserem hellrosafarbenen und blassen Getränk? Einhellige Meinung war, dass dies dem derzeitigen Zustand der einst soliden Sozialdemokratie entspräche. Quasi als Beitrag zur Selbstausrottung schütten deren missmutige Vertreter seit Jahren Wasser in den vormalig glutroten Wein.
Der Appetit ist somit angeregt, wir begeben uns ins Innere des kulinarischen Tempels und studieren die zwölfseitige Weinkarte genauer als das Grundsatzprogramm der AfD. Deren demokratische Ordnungsgedanken sind augenscheinlich preisgünstiger zu haben als die in Flaschen abgefüllten Gaben Bacchus'.
Der Koalitionsvertrag der GroKo hingegen fordert gar eine „Neue Weltordnung“ (sh. Zeile 6912 und 6913). Was bislang „Verschwörungstheorie“ war, steht hier schwarz auf weiß, doch, wer liest schon 175 Seiten mit 8335 Zeilen? Noch wird keine Luxussteuer für Austern gefordert, die lieben wir beide nicht.
Um es kurzzufassen, unsere Wahl fiel, um wenigstens ein wenig auf das ausgelassene „Petit Paris“ einzugehen, auf eine Bouteille Château Saint-Aubin aus der Region um Bordeaux. Dieser linksrheinische Rebensaft wird, wie aus trinkfesten Regierungskreisen bekannt wurde, die Geschmacksknospen erst im Abgang mit seinem Fruchtaroma so richtig in Wallung bringen. Und gegen die Farbe rot haben wir im außerpolitischen Bereich rein gar nichts.
Apropos der oben zitierten Gemütswallung: die jüngsten verschwurbeleten Laute aus dem Kanzleramt verlangten, warten wir es ab, nach einer zweiten Flasche. Fast zu schade um den edlen Wein, um damit herunterspülen, was uns Bürgern im Halse so stecken bleibt.
Selbst die Redaktionstastaturen, mittlerweile an eine höhere künstliche und strafende Intelligenz angeschlossen, weigern sich das zu tippen „was ist“. Die millionenschwere finanzielle „Förderung der Demokratie“ mästet nicht zuletzt Verlage und deren Redakteure. Ob dieser staatlichen Wohltaten hält die schreibende Zunft Zunge und Tastatur im Zaum wie ein Rossknecht seinen Gaul.
Saluti auf den ersten Schluck! Der blumig-fruchtige wie aromatisch-herbe Abgang in Gaumen führt uns gedanklich zu den Altparteien. Das Wörtchen „Abgang“ zeigt hier eine gänzlich andere Bedeutung.
Sollten die Parteien nicht laut Grundgesetz an der politischen Willensbildung der „schon länger hier Lebenden“ mitwirken? Deren Beitrag ist, wie täglich zu erleben, beschränkt (passendes Wort) aufs ja sagen. Trauten sich Abgeordnete Gesetze gelegentlich ablehnen wie sauren Wein, so wären deren künftige Besuche im Petrocelli schon aus monetären Gründen gefährdet.
Zumindest rückten sie bei der Kandidatenaufstellung so weit nach hinten wie die zehn Mineralwässer auf der letzten Seite der Weinkarte.
Wenden wir uns der gar delikaten Vorspeise, dem Vitello tonnato zu. Feinstes gegartes Kalbfleisch in hauchdünnen Scheiben mit exquisiter Thunfisch- und Kapernsoße. Womit wir gedanklich beim Mittelmeer angekommen wären. Dabei hoffen wir, dass der Thunfischfang nicht etwa durch die wirren Schiffstaxidienste eines Herrn Bedford-Strom beeinträchtigt werde.
Nun zur Hauptspeise: Ossobuco. Wörtlich übersetzt heißt dies so viel wie Knochen (mit) Loch, wobei aber das zarte Fleisch ringsum, weich wie Butter, ein vollendeter Gaumenschmaus ist. Diese muskelbepackten Beinscheiben stammten aus den tragenden Säulen vierbeiniger EU-Fördermittelempfänger (m/w/d).
Sie werden schonend mit mediterranen Kräutern und Gartengemüse stundenlang weich gegart. Es verleiht diesem Teil der einst Raufutter verzehrenden Großvieheinheiten postmortal eine kulinarische Note.
Im Umkreis von Michaels Redaktion brutzeln berühmte Köche, welche ebenfalls Selbiges zu zaubern fähig wären. Doch die Chance bzw. Gefahr, dass die beste Führerin aller Zeiten samt Hofstaat dort einrückt, besteht konkret. Wurden nicht schon andere Wirte in Berlin-Mitte zuvor verpflichtet, die allgemeine Bewirtung rückgängig zu machen und keinesfalls Abgeordnete der „Schwefelpartei“ Platz nehmen zu lassen? Ja, wo kämen wir da denn hin?
Dieser Gefahr vorsorglich ausweichend, dieser köstliche wie kostspielige EU-genormte Knochen würde uns im Halse stecken bleiben, nehmen wir die Reise bis nach Zehlendorf auf uns. Fleisch am Knochen, so heißt es, soll ja das Beste sein.
Diese Assoziation führt uns gedanklich zur AfD. Fast. Deren gärige Eiweißfasern zeigen sich von höchst unterschiedlicher Konsistenz. Von zart-weich, saftig, sehnig bis zäh (Vorsicht: historisch belastetes Wort) wie Leder.
Das Kauen des Ossobuco ist kulinarische Muskelarbeit was uns entgegenkommt. Aufkommender mentaler Stress, die gemeine Politik ging uns nicht aus dem Sinn, wurde dadurch peu à peu reduziert. Diese aromatisch duftende und sämige Möhren-Sellerie-Tomaten und Rotweinsoße nebst feinsten Kräutern erschuf ein Idealbild.
Auch so könnte Politik eigentlich sein: genießbar und leicht zu schlucken. Wer schon für die Musik bezahlt, so wie wir Steuerzahler, der verlangt nur eines. Er möchte dass wohlklingende Harmonien sein Ohr und Gemüt erfreuen. Keinesfalls Dissonanzen wie unter dieser Herrschaft (des Unrechts).
Sanft wie geschlagene Sahne gleitet zum Dessert Salvatores Mokka-Tiramisu über unsere vom Wein schon schweren Zungen. Worte vermögen den himmlischen Genuss kaum zu beschreiben. Die Augen schließen sich bei jedem Löffelchen nahezu automatisch für einen Augenblick der Seligkeit, der alles politische verdrängt.
Dieser Sekunden nur währende Glückszustand lässt glücklichere Zeiten vors geistige Auge treten. Damals, als die Welt noch in Ordnung schien, selbst dann, wenn Wehner und Strauß sich stritten, dass Bonn erbebte.