Streit um EU-Politik: SPD fordert Merkel zu Machtwort gegen CSU auf. Auch Joschka Fischer wettert gegen Karlsruhe. Richter würden "europäische Integration hintertreiben".
Die Europa-Politik spaltet die großeKoalition in Berlin. In scharfem Ton kritisierte die SPD dieForderungen führender CSU-Politiker zur nationalen Kontrolle über dieEU-Politik und rief Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, einMachtwort zu sprechen.
„Ich verstehe überhaupt nicht, dass Frau Merkel die Sache so lange hin-und herwabern lässt“, sagte die stellvertretende SPD-FraktionschefinAngelica Schwall-Düren der „Berliner Zeitung“. „Dasschadet ihrem eigenen Ansehen in der EuropäischenUnion.“
Auslöser dieser herben Kritik sind Versuche einiger Politiker ausder CSU-Führung, das deutsche Begleitgesetz zum sogenanntenLissabon-Vertrag so zu verschärfen, dass künftig für alle EU-relevantenBeschlüsse der Bundesregierung die Zustimmung des Bundestagserforderlich sein soll.
Schwall-Düren sprach von „populistischen Bemühungen der CSU, denMenschen in Bayern ein X für ein U vorzumachen“. Es sei falsch, demBundestag ein imperatives Mandat über alle EU-relevanten Entscheidungenzu geben. Es bestehe nun die Gefahr, dass die Ratifizierungdes Lissabon-Vertrages durch Deutschland verzögert werde. „Wir könnenes uns nicht leisten, dass am Ende der Lissabon-Vertrag ausgerechnet anDeutschland scheitert“, sagte Schwall-Düren.
Der frühereBundesaußenminister Joschka Fischer wettert in der ZEIT ebenfalls gegen das Urteil desBundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag undwirft den Richtern vor, die europäische Integration zu hintertreiben.
"Karlsruhe passt die ganze Richtung der EU hin zu einer vertieftenIntegration nicht", schreibt Fischer in der ZEIT. "Das Gericht möchtedieser (Integration) nun mehr einen nationalen Riegel vorschieben."Augerechnet in einer Zeit, in der das Ausland ohnehin mehr und mehr denEindruck gewinne, dass sich Deutschland von Europa abwende, verstärkedas Gericht diesen Eindruck.
Fischer kritisiert, das Urteil gehe von falschen Voraussetzungen ausund sei realitätsfremd. Nirgends sei im Lissabon-Vertrag von einemeuropäischen Bundesstaat die Rede: "Karlsruhe ballert in seinerEntscheidung mit verfassungsrechtlichen Kanonen auf imaginierteSpatzen." Wenn man das Urteil bis zum Ende lese, so Fischer, gewinneman den Eindruck, "man befände sich in einer Fraktionssitzung derbritischen Konservativen".
Fischer wirft dem Gericht vor, es hätte den Lissabon-Vertrag amliebsten gestoppt: "Den Zweiten Senat hat aber bei der Abfassung derEntscheidung ganz offensichtlich die Angst vor der eigenen Courageüberfallen." Deswegen hätten sich die Richter "formal in dasBegleitgesetz" geflüchtet.
Die Karlsruher Entscheidung, argumentiertFischer, werde dazu führen, dass am Ende bloß die nationalenRegierungen und nicht die Parlamente gestärkt würden. Der frühereAußenminister in der ZEIT: "Man sieht, die Realitäten Europas sindkomplizierter als die Karlsruher Fiktionen."