Zimmermann: "Produktion hat nach einen freien Fall wieder Boden unter den Füßen". Wirtschaft schrumpft 2009 um 6,4 Prozent. Vor langem Marsch durch die Talsohle ohne absehbares Ende.
Die deutsche Wirtschaft wird im laufenden Jahr um 6,4 Prozentschrumpfen. "Die Produktion hat nach einen freien Fall wieder Bodenunter den Füßen", sagte DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann. "Allerdingsdroht ein langer Marsch durch eine konjunkturelle Talsohle ohneabsehbares Ende, der bestenfalls die Aussicht zum Aufstieg auf kleineHügel bietet."
Der Konjunktureinbruch geht vor allem auf die gesunkeneExportnachfrage zurück. Da sich die Ausfuhren derzeit nur verhaltenerholen, fällt auch die Wachstumsperspektive für 2010 mit 0,5 Prozenteher gering aus. Die trügerische Ruhe auf dem Arbeitsmarkt wird baldvorbei sein und die Erwerbslosenzahl im nächsten Jahr im Schnitt wiederdeutlich über der 4,5-Millionen-Marke liegen.
Dies sind die zentralenErgebnisse der heute veröffentlichten Sommergrundlinien des DIW Berlin.Das DIW Berlin hält weitere kurzfristige Konjunkturhilfen nicht fürErfolg versprechend und empfiehlt stattdessen ein mittelfristigesInvestitions- und Wachstumsprogramm. Dazu müssten die staatlichenInvestitionen nachhaltig auf ein höheres Niveau steigen.
Konjunkturverlauf wieder etwas überschaubarer Im Frühjahr hatte das DIW Berlin noch auf eine quantitativePrognose für das Wirtschaftswachstum 2010 verzichtet. Damals liefen dieveröffentlichten Prognosen der tatsächlichen Entwicklung hinterher undmussten in sehr kurzen Zeitabständen immer wieder nach unten revidiertwerden. "Mittlerweile ist der Konjunkturverlauf wieder etwasüberschaubarer geworden", sagte DIW-Präsident Zimmermann. "Daher legenwir wieder eine Prognose für das kommende Jahr vor."
Zu den am stärksten betroffenen Bereichen der deutschen Wirtschaftzählen der Maschinen- und Fahrzeugbau, die Elektroindustrie sowie dieMetallverarbeitung, aber auch die unternehmensnahen Dienstleistungen.
Die Finanzkrise wird die Produktionsmöglichkeiten in Deutschland beeinträchtigen
Die deutsche Volkswirtschaft bleibt über den Prognosezeitraumhinaus weit unter ihren Produktionsmöglichkeiten. Die Produktionslückeöffnet sich sogar noch weiter. Das DIW Berlin beziffert denProduktionsverlust infolge der Finanzkrise auf insgesamt 4 Prozent nachfünf Jahren. "Dies ist vorsichtig gerechnet und kann auch noch deutlichpessimistischer ausfallen", sagte DIW-Konjunkturchef Christian Dreger.Auch bei der Schätzung des Produktionspotenzials ist die Entwicklungder Exportmärkte entscheidend.
Deutschland erholt sich langsamer Trotz der jüngsten Anzeichen für eine leichte konjunkturelleEntspannung dürfte sich Deutschland langsamer von der Krise erholen alsandere Regionen der Weltwirtschaft. So kommt der Euroraum nurschleppend auf die Beine, weil die Arbeitslosigkeit noch steigen wird.Des Weiteren stecken besonders die mittel- und osteuropäischen Länderund Russland noch tief in der Krise. Damit dürfte sich die Nachfrage inden Hauptabsatzregionen für deutsche Exporte nur schwach entwickeln.Darüber hinaus ist die Finanzkrise noch längst nicht ausgestanden. Sowerden bei den europäischen Banken noch enorme Kreditausfallrisikenvermutet. In der Prognose wird unterstellt, dass es denEntscheidungsträgern durch geeignete Maßnahmen gelingt, dieBankbilanzen von den toxischen Beständen zu reinigen. Dies ist einedurchaus kritische Annahme.
DIW Berlin warnt vor Protektionismus Angesichts der historischen Rezession der Weltwirtschaft warnt dasDIW Berlin vor protektionistischen Maßnahmen. Bereits in derWeltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre hatten diese die Krisedrastisch verschärft. Trotz der negativen Erfahrungen versuchen einigeStaaten, die inländische Produktion zu Lasten der Einfuhren zu fördern.Damit sollen vermeintlich Arbeitsplätze gesichert werden. "Besondersfür exportorientierte Volkswirtschaften birgt ein zunehmenderProtektionismus erhebliche Risiken, weil die Gefahr einesFlächenbrandes besteht", sagte DIW-Präsident Zimmermann. Die aktuellePrognose unterstellt, dass es gelingt, einer möglichen Ausbreitung desProtektionismus entgegenzuwirken.
Privater Konsum stabilisiert Bei einer sehr niedrigen Inflation von 0,2 Prozent in diesem und0,4 Prozent im nächsten Jahr erweisen sich die Ausgaben für denprivaten Konsum als stabilisierender Faktor für die deutscheWirtschaft. Das Anspringen der automatischen Stabilisatoren und -wichtiger noch - die Pufferfunktion der Unternehmensgewinne schirmendie verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte weitgehend von dengesamtwirtschaftlichen Einkommenseinbußen ab. Insgesamt können durchden relativ stabilen privaten Verbrauch die Nachfrageausfälle aus demExportgeschäft allerdings in keiner Weise kompensiert werden. Imnächsten Jahr dürfte angesichts kräftig steigender Arbeitslosenzahlendas Vorsichtssparmotiv an Bedeutung gewinnen, was dann einer stärkerenBelebung der privaten Konsumnachfrage im Wege steht.
Arbeitsmarkt: Kurzarbeit gerät an ihre Grenzen In nahezu allen Wirtschaftszweigen ist 2009 die Produktivitätdrastisch gesunken. Obwohl die Talsohle der wirtschaftlichenEntwicklung inzwischen erreicht ist, wird sich die Auftragslage derUnternehmen in der zweiten Jahreshälfte nur wenig verbessern. DieUnternehmen werden deshalb zunehmend Beschäftigte entlassen. "DieKurzarbeit gerät an ihre Grenzen. Wegen der schlechten Ertragslage wirdes zu Entlassungen und sogar zu Insolvenzen kommen", sagte Zimmermann."Im nächsten Jahr wird die Arbeitslosenquote wohl zweistellige Werteerreichen und die Erwerbslosenzahl im Jahresdurchschnitt auf 4,7Millionen steigen. Dies trifft vor allem die exportorientierten undwirtschaftlich starken Bundesländer."
Mittelfristiges Investitions- und Wachstumsprogramm auflegen Der Rückgang der Steuereinnahmen bei gleichzeitigem Anstieg derAusgaben aufgrund der automatischen Stabilisatoren und der Kosten fürdie beiden Konjunkturpakete führt zu einem staatlichen Defizit inRekordhöhe. Die Defizitquote wird in diesem Jahr -3,7 und im nächstenJahr -6,4 Prozent erreichen. Angesichts der sich weiter öffnendenProduktionslücke empfiehlt das DIW Berlin einen mittelfristigenInvestitionsplan für Bund, Länder und Kommunen über mehrere Jahre, dernicht nur in einer konjunkturellen Schwächephase die Investitionenpunktuell erhöht. Damit baut man längerfristige Kapazitäten auf undstabilisiert die Erwartungen der Unternehmen. Zudem werden auchkünftige Wachstumsbremsen wie Infrastrukturengpässe in bestimmtenRegionen behoben.
Weiterhin berichten die Geschäftsbanken von einer restriktivenKreditvergabe, wovon besonders Unternehmenskredite betroffen sind.Grund hierfür ist neben der schlechten Konjunkturlage auch die starkgeschrumpfte Eigenkapitaldecke der Banken. Daher würde eine weitereEigenkapitalaufstockung die Kreditvergabe erleichtern. Notfalls mussder Staat den Banken frisches Eigenkapital zuführen, sollte estatsächlich zu einer Kreditklemme kommen.
Hintergrundinformation: Was ist das Produktionspotenzial? Das Produktionspotenzial ist die Menge an Gütern undDienstleistungen, die eine Volkswirtschaft bei einer "normalen" - dasheißt gleichgewichtigen - Auslastung der Produktionsfaktoren Arbeit undKapital auf dem gegebenen Stand der Technologie erstellen kann. DieDifferenz zwischen dem Produktionspotenzial und der tatsächlichenLeistung einer Volkswirtschaft ist die Produktionslücke. Einkonjunktureller Abschwung kann wegen der damit verbundenen Abnahme derInvestitionen und Zunahme der Arbeitslosigkeit das Produktionspotenzialeiner Volkswirtschaft deutlich verringern. Dies ist insbesondere dannder Fall, wenn der Abschwung durch eine Banken- oder Finanzkriseausgelöst wurde.