Gerade der 1900 verstorbene kritische Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche, der sich in allen seinen Schriften vehement gegen die Unterdrückung der Frau eingesetzt hatte, gilt bis heute dem großen Publikum – Nietzsche würde sagen: dem Pöbel – als größter Weiberhasser aller Zeiten.
von Rolf Ehlers
Dass der Mensch der Mann und dieser die „Krone der Schöpfung“ sei, und Eva aus seiner Rippe geschnitten sei, um ihm als Gefährtin zu dienen, und dass der Mann das Weib mit Gewalt zur Erfüllung dieser Aufgabe zwingen solle, ist von vielen die Menschheit beherrschenden Religionen tausende von Jahren lang hoch gehalten worden. Dieses uns heute geradezu lächerliche Denken ist aus manchen Köpfen noch immer nicht verschwunden.
Gerade der 1900 verstorbene kritische Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche, der sich in allen seinen Schriften vehement gegen die Unterdrückung der Frau eingesetzt hatte, gilt bis heute dem großen Publikum – Nietzsche würde sagen: dem Pöbel – als größter Weiberhasser aller Zeiten. Dabei hat er das Wort von der Peitsche unverkennbar allein aus Ironie in seinem Hauptwerk „Also sprach Zarathustra“ einem alten Weib in den Mund gelegt. Nietzsche griff damit eine Ironie auf, die er den Schriften der britischen Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft (1759 – 1797) entnommen hatte. Sie forderte die Beendigung der autoritären Herrschaft des männlichen über das weibliche Geschlecht mit ihren nachteiligen Folgen für die Frauen selbst und die ganze Gesellschaft mit den Worten:
„Lasst die Frauen teilnehmen an den Rechten und sie werden mit den Männern an Tugend wetteifern. Wenn die Frau mündig ist, wird sie auch vollkommener werden, anderenfalls wird sie das, was ein unterdrücktes, schwaches Geschöpf, das man an Pflichten kettet, nur werden kann!“
An diesen Aufruf schloss sie ironischer Weise die Schlussfolgerung an, dass man sonst doch gleich den Männern die Peitsche in die Hand drücken sollte:
„Die Peitsche wäre dann das Geschenk, das jeder Vater seinem Schwiegersohn am Hochzeitstag geben sollte, (…) weil er es allein ist, der Vernunft hat – die göttliche unfehlbare, irdische Macht, dem Manne eingehaucht durch den Herrn der Schöpfung.“
Auf diese Zusammenhänge weist der Philosoph Dr. Andreas Belwe im Blog des PM-Magazins sehr anschaulich hin.
In seinem Werk „Menschliches Allzumenschliches“ schreibt Nietzsche selbst ganz klare, nur selten zitierte, Worte über das wirklich problematische Verhältnis von Mann und Frau:
„Aus der Zukunft der Ehe. – Jene edlen, freigesinnten Frauen, welche die Erziehung und Erhebung des weiblichen Geschlechtes sich zur Aufgabe stellen, sollen einen Gesichtspunkt nicht übersehen: die Ehe in ihrer höheren Auffassung gedacht, als Seelenfreundschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts, also so, wie sie von der Zukunft erhofft wird, zum Zweck der Erzeugung und Erziehung einer neuen Generation geschlossen, – eine solche Ehe, welche das Sinnliche gleichsam nur als ein seltenes, gelegentliches Mittel für einen größeren Zweck gebraucht, bedarf wahrscheinlich, wie man besorgen muss, einer natürlichen Beihilfe, des Konkubinats; denn wenn aus Gründen der Gesundheit des Mannes das Eheweib auch zur alleinigen Befriedigung des geschlechtlichen Bedürfnisses dienen soll, so wird bei der Wahl einer Gattin schon ein falscher, den angedeuteten Zielen entgegengesetzter Gesichtspunkt maßgebend sein: die Erzielung der Nachkommenschaft wird zufällig, die glückliche Erziehung höchst unwahrscheinlich. Eine gute Gattin, welche Freundin, Gehilfin, Gebärerin, Mutter, Familienhaupt, Verwalterin sein soll, ja vielleicht abgesondert von dem Manne ihrem eigenen Geschäft und Amte vorzustehen hat, kann nicht zugleich Konkubine sein: es hieße im Allgemeinen zu viel von ihr verlangen.“
Wie oft haben Frauen es schon beklagt, dass sie zum Ausgleich für Kost und Logis - nach der Rechtsprechung sogar für ein kleines Taschengeld!- dem Mann alles zugleich sein sollen: Bettgenossin, Geliebte, Gesprächspartnerin, Unterhalterin, Trösterin, Begleiterin, Gebärerin, Amme der Kinder, Erzieherin, Nachhilfelehrerin, Anlaufpunkt für Familie und Freunde, Hüterin aller privaten Daten(Geburtstage etc.), Organisatorin privater Treffen, Einkäuferin, Köchin, Kellnerin, Haushälterin, Gärtnerin, Heimwerkerin und was noch. Als es noch Schlager gab, die mehr oder minder platt eine Moral unter die Menschen bringen wollten, sang die Schauspielerin Johanna von Koczian das schöne Lied über „das bisschen Haushalt“ … „sagt mein Mann!“
Im Zuge der fortschreitenden Präkarisierung immer breiterer Schichten heißt es zudem: „In diesen harten Zeiten müssen alle mitarbeiten!“ Also muss die Frau sehen, dass sie auch noch Geld verdient – wie allgemein üblich zum stark reduzierten Lohn! Gott erhalte dem Mann seine Gesundheit – und die Arbeitskraft seiner Frau!
Zurück zum radikal missverstandenen Philosophen Nietzsche. Auf sein Wort „Gott ist tot“ und Zarathustras Rede vom „Übermenschen“ haben ihm Generationen Unwissender weitere Etiketten verpasst, ein Nihilist und ein Vorbereiter des Faschismus zu sein. Dabei suchte er nur nach den besseren Menschen, die sich von der blinden Masse im ersten Schritt dadurch abheben, dass sie die Werte von Demut, Selbstverleugnung, Genügsamkeit, Folgsamkeit und mit der Anpassungsfähigkeit an widrige Umstände auch eine Leidensfähigkeit zur Maxime ihres Handelns machen, im zweiten Schritt ihre Freiheit im Sinne von Souveränität, Stärke und Selbstbestimmung erwerben und im dritten Schritt aus freier unschuldiger Seele heraus alte Werte überwinden und neue schaffen. Gegen dieses Wunschbild vom freien selbstbestimmten Menschen spricht doch beileibe nichts! Hätten wir doch nur einige Politiker, die diesem Standard gerecht werden! Störend bei Nietzsche ist nur die Benennung solcherart verantwortungsbewusster Persönlichkeiten als „Übermenschen.“
Dass Gott und erst recht die Kirchen nicht mehr der Träger weltlicher Macht im Staate sind, ist in unserer Welt, die seit Aristoteles in der realen Welt immer der rationalen Kontrolle verpflichtet ist, ein allgemein akzeptiertes Fundament, auf dem unsere heutigen säkularisierten Gesellschaften aufbauen. Auch da stört nur die Krassheit des von Nietzsche gewählten Ausdrucks, dass Gott tot sei. Denn Nietzsche war so sehr Erkenntniskritiker, dass er zur unserer Anschauung nicht zugänglichen Existenz Gottes keine Aussagen gemacht hat. Seine Beschäftigung mit dem Buddhismus brachte ihn zum Glauben oder, besser gesagt, der Furcht vor der Ewigen Wiederkehr aller Dinge. Die Peitsche, die die Männer tatsächlich viele Tausende von Jahren über Frauen und Kinder schwangen, kommt aber dadurch gewiss nicht wieder!