Kachelmann: Unrecht durch „Freispruch 2. Klasse“. - Jörg und Miriam Kachelmann nennen ihr Buch „Recht und Gerechtigkeit“ ein „Märchen aus der Provinz“. Das Buch ist von beiden Autoren so anschaulich geschrieben, dass jedermann das Wunderliche des Geschehens leicht aufnehmen kann.
von Rolf Ehlers
Sagen Sie nur nicht: „Schon wieder Kachelmann! Ich kann es nicht mehr hören!“ Aber da hat doch der Erfinder der munteren Wettervorhersage, Jörg Kachelmann, sogar ein Buch über seinen Fall geschrieben und behauptet, dass ihm von Seiten der deutschen Justiz bitter Unrecht geschehen sei. War er vom Vorwurf der schweren Vergewaltigung denn nicht nur frei gesprochen worden, weil die Aussage des Opfers und seine eigene sich so widersprachen, dass nicht festgestellt werden konnte, wer von beiden denn log?
Hatte ihm nicht das Landgericht Mannheim in der Begründung des Freispruchs ins Gebetbuch geschrieben, dass das Gericht nicht von seiner Unschuld und demgemäß auch nicht von einer Falschbeschuldigung durch das Opfer ausgehe. Nur wegen verbliebener Zweifel und wegen des Rechtsgrundsatzes „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) habe man ihn laufen lassen müssen. Was soll denn da das Gerede, dass ihm Unrecht geschehen sei?!
Wie Millionen Mitbürger habe ich die widersprüchlichen Geschichten aus den Medien über Kachelmanns angebliches Verbrechen von Anfang an mitbekommen. Als gelernter Jurist und ehemaliger Strafverteidiger versuchte ich, mich von außen in die Sache hinein zu denken, was auch für einen Rechtskundigen nur begrenzt möglich ist. Es gab aber einen Zeitpunkt, zu dem das Verfahren eigentlich praktisch beendet, bzw. im Sinne des Angeklagten entscheidungsreif war. Dies ist der 29.7.2010, der Tag, an dem das Oberlandesgericht Karlsruhe mit absolut überzeugender Begründung den Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 25.2.2010 und den ihn bestätigenden Beschluss der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Mannheim vom 1.7.2010 aufhob und Kachelmann auf freien Fuß setzte.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte – anders als zuvor das Landgericht Mannheim - das akribisch verfertige Gutachten der Aussagepsychologin Prof. Dr. Greuel mit ihrer Beurteilung vorliegen, dass die einzige Kachelmann belastende Aussage, also die des angeblichen Opfers, selbst die Mindestanforderungen wie „Logik, Konsistenz, Detaillierung, Konstanz und Strukturgleichheit“ nicht erfülle.
Das sei zwar nicht gleich der Nachweis einer Falschaussage, aber die Aussage ließe nicht einmal einen „Erlebnisbezug“ erkennen. Die dahinter stehende klare Meinung ist so fein verklausuliert, wie das einem oberen deutschen Gericht zusteht. In Normalsprache übersetzt heißt das ganz eindeutig, dass man auf die Aussage der einzigen Zeugin, der selbst am für Kachelmann nachteiligen Ausgang des Verfahrens höchst interessierten Anzeigenerstatterin und Nebenklägerin, nicht einen Pfifferling geben darf! Das OLG wies auch bereits darauf hin, dass der angebliche Tathergang und die angeblich dadurch entstandenen Spuren – besonders der Striemen am Hals nicht durch die Breite des kleinen angeblichen Tatmessers – einfach nicht glaubhaft geschildert waren. Also nicht nur ein dringender Tatverdacht einer schweren Vergewaltigung (mit einer Waffe), sondern gar keine! Nur mit einer schweren Vergewaltigung ließ sich wenigstens im Ansatz der Haftbefehl gegen den mit 20 Lenzen in der Schweiz eingebürgerten vormalig deutschen Staatsangehörigen Kachelmann begründen, der inzwischen nach Kanada ausgewandert war und seine Wettersachen vorwiegend von dort aus erledigte.
Vom 29.7.2010 an hätte eigentlich alles sehr schnell gehen müssen. Staatsanwaltschaft und Gericht in Mannheim zogen aber einen Monsterprozess mit über 8 Monate andauernder Hauptverhandlung auf, in dem nichts – aber auch rein gar nichts – geschah, was zu neuen Erkenntnissen im Sinne der Anklage auch nur hätte führen können! Was folgte, war eine systematische Demontage aller belastenden Momente, während Staatsanwaltschaft und Gericht im Trüben fischten und auf Wunder hofften, die ihnen die Schmach des Freispruchs hätten ersparen können.
Als bekannt wurde, dass das Landgericht vor der Anzeigenerstatterin und Nebenklägerin, dem angeblichen Vergewaltigungsopfer, erst monatelang alle erreichbaren früheren Bettgenossinnen anhören wollte, um mehr über seinen Charakter zu erfahren, schrieb ich als Bürgerjournalist in der Readers Edition am 14.9.2010 unter „Fragwürdiger Kachelmann-Prozess“, dass die Richter am Landgericht Mannheim offenbar einen „Zwergenaufstand“ gegen die obere Instanz probe (s. http://www.readers-edition.de/2010/09/14/fragwuerdiger-kachelmann-prozess/). Was diese Zwerge dann immerhin bewegen konnten, war ein unsinniger quälerischer Prozess mit einem Freispruch 2. Klasse für Kachelmann.
Gegen einen solchen Freispruch „mangels Beweises“ gibt es nach unserem Recht leider kein Rechtsmittel. Zwar ist Kachelmann durch die Begründung des Urteils über das Fortbestehen des Tatverdachts rechtlich beschwert. Es entspricht aber der herrschenden Meinung und der durchgängigen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass die Beschwer des Rechtsmittelführers sich aus dem Urteilsspruch (dem Rubrum) selbst ergeben müsse.
Jörg und Miriam Kachelmann nennen ihr Buch „Recht und Gerechtigkeit“ ein „Märchen aus der Provinz“. Das Buch ist von beiden Autoren so anschaulich geschrieben, dass jedermann das Wunderliche des Geschehens leicht aufnehmen und sogar ohne juristische oder sonstige Vorbildung die tragenden rechtlichen Entscheidungen und die Stellungnahmen der vielen im Verfahren tätig gewesenen Gutachter verstehen und nachvollziehen kann. Einen schnellen Zugang zu den harten Fakten des Falles bietet auch das Buch des Prozessbeobachters Thomas Knellwolf „Die Akte Kachelmann“, das ich mir vorbereitend vor der Lektüre des Kachelmann-eigenen Buches angetan habe. Obwohl Knellwolf gut schreibt und die Materie sehr kundig durchdrungen hat und obwohl sich aus seiner Darstellung sehr deutlich ablesen lässt, dass er dazu neigt, Kachelmann für unschuldig zu halten, macht er den Fehler, seine eigenen Überlegungen nicht zu Ende zu denken. Nach den unfairen Worten im freisprechenden Urteil des Landgerichts Mannheim und der künstlichen Verweigerung der persönlichen Entscheidung des Autors Knellwolf in der Schuldfrage kann es nicht verwundern, dass die Eheleute Kachelmann selbst an die Öffentlichkeit gegangen sind, um darauf hinzuweisen, dass ihm Unrecht getan wurde und wird. Wie ihm Teile der Presse, besonders „Bild“ mit Alice Schwarzer als Bild-Reporterin und „Focus“, auf das Hässlichste begegnet sind, ist ein anderes Kapitel.
Das Unrecht, gegen das Kachelmann sich zu Recht wehrt, ist der billige Verweis des Landgerichts darauf, dass auch am Ende des langen Verfahrens Aussage gegen Aussage stünde. Dabei sind alle Belastungsmomente von den gerichtlichen Gutachtern Greuel, Kröber, Mattern, Rothschild, Püschel und Köhnken Punkt für Punkt entkräftet worden. Nachgewiesen war sogar, dass das angebliche Opfer, das blaue Flecken an den Innenseiten der Oberschenkel vorzeigte, sich Monate zuvor selbst solche Male zugefügt hatte, nach eigenen Angaben, weil sie es faszinierend fand zu sehen, wie sich solche Male bilden und zurückbilden! Nachgewiesen durch ihre eigenen unterschiedlichen Einlassungen ist, dass die Anzeigenerstatterin nach Recherchen und Kontaktaufnahmen im Internet ein ganzes Lügengebilde aufgebaut hatte, um den ihr abtrünnigen gewünschten Lebenspartner Kachelmann entweder doch noch auf ihre Seite zu zwingen oder ihn als Sexualtäter vorzuführen. Die gute Gutachterin Greuel hat an diesem Punkt leider versagt, worauf der renommierte Kieler Psychologe Prof. Dr. Günter Köhnken urteilte, dass Greuels Schlussfolgerung des „nichts Genaues weiß man nicht“ eine „Bankrotterklärung bezüglich der von ihr festgestellten Aussagequalität“ sei und er dem Gericht die Tatsache einer intentionalen Falschaussage durch die Anzeigenerstatterin nahe legte (s. Kachelmann, S. 256).
Die Staatsanwaltschaft, die seinerzeit die Anklage einreichte, obwohl das Kachelmann entlastende aussagepsychologische Gutachten Greuel erst unterwegs war, und die später gegen alle Vernunft den Psychiater Seidler, bei dem die Nebenklägerin in Behandlung war, als gerichtlichen Gutachter einbrachte, trieb bei ihrem Plädoyer neue Spielchen. Die Medien hätten ihm bereits sein Privatleben gestohlen, daher wolle sie seine Tat nur als minder schweren Fall der Vergewaltigung einstufen und verlangte die Verhängung von „nur“ 4 Jahren und drei Monaten Haft. Wie fühlt sich eigentlich solche ein Sitzungsvertreter, der im Brustton der Überzeugung von der Schuld des Angeklagten spricht und dann ein paar Minuten später vom Gericht hört, dass dort niemand diese Überzeugung teilt? Das, wo er ja schon seit Monaten weiß, dass die klugen Richter der nächsthöheren Instanz das ganze Prozedere für falsch halten?!
Kachelmann wird jetzt billiger Weise vorgehalten, mit seinem Buch ginge es ihm nur ums Geld. Der Prozess hatte ihn zu Ausgaben von über 1 Million Euro und den Verkauf von Immobilien in Kanada und sonstwo veranlasst – wer weiß, ob er gegen die Macht von Staatsanwaltschaft und Gericht in Mannheim je durchgekommen wäre, wenn sein Anwalt Dr. Birkenstock nicht zur Verteidigung alle Register hätte ziehen können. Den Großteil der Kosten wird wohl am Ende die Staatskasse, also der Steuerzahler, getragen haben. Aber der wirkliche private Schaden des bis zum Vorfall so populären Wettermannes ist mit Geld kaum aufzuzwiegen. Da geht es um seinen Ruf, seine Ehre und den ganz normalen Respekt, den man ihm zollen sollte.
Dass Kachelmann im Umgang mit Frauen bis zum Vorfall ein absolut unreifer Mann war, der sich mit ständig wechselnden Frauen herumtrieb, ihnen allen Versprechungen machte und sie sämtlich – bis auf seine heutige Ehefrau - schmählich fallen ließ, zählt in unserer seltsamen Gesellschaft kaum. Ein verlogener Weiberheld hat eben „Schlag“, er „kommt an bei den Frauen“ und ist „ein toller Hecht“. Dabei hat zweifellos er die Schuld daran, dass bei einer der vielen Frauen, die er ähnlich wie ein Heiratsschwindler hinterging, nach 11 Jahren des Hinhaltens die Leine riss, sie ihm nachspionierte und ihm eine Falle stellte. Sein Fehlverhalten rechtfertigt das dieser Frau natürlich nicht. Es macht den unbeteiligten Betrachter aber auch nicht wirklich traurig darüber, dass sie nicht überführt wurde. Wie die Justiz sich in Mannheim aber in diese Ranküne hat hineinziehen lassen, und wie sie die Tatsachen und die Rechtslage verbogen hat, ist ein Skandal. Wir alle können uns nur glücklich schätzen, wenn wir im Leben nie so die Macht der Vierten Gewalt auf Provinzebene zu spüren bekommen. Ich habe es selbst wiederholt vor Gericht erlebt, dass Untergerichte sich stur der bereits bekannten besseren Rechtserkenntnis der nächsthöheren Instanz verweigerten. So bedauerlich es oft ist, dass der lange Weg durch die Instanzen erst spät die endgültige Klärung von Rechtsproblemen möglich macht, so unerlässlich ist es aber, dass zumindest in wichtigen Fällen nicht bereits in der ersten Instanz das Endurteil fällt. Hätte es hier nicht die Haftprüfung durch das OLG Karlsruhe gegeben, wäre Kachelmann in erster Instanz ganz sicher zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden und hätte bis aufs letzte Hemd kämpfen müssen, diesen Makel wieder los zu werden.
Kachelmann hat durch sein Verfahren viel gelernt, insbesondere über unser Rechtssystem mit seinen Stärken und Schwächen. Was sein persönliches Verhalten und Denken angeht, hat er dagegen wenig gelernt, was er im Vorwort zum Buch deutlich macht. Er erklärt, dass er „über Jahre in Beziehungen nicht immer ehrlich“ gewesen sei, hätte „mehrere Geliebte auf einmal“ gehabt. Dann lässt er einen Satz ab, der nur erstaunen kann: „Einige von ihnen haben, um Rache zu üben, für Geld ihre Seele und die Wahrheit geopfert und mir damit letztendlich nur bewiesen, dass sie nie Liebe empfunden haben, sondern auch gezeigt, dass ich nicht so feige hätte sein müssen –mein Rat an alle in einer ähnlichen Situation: lieber das Ganze gleich beenden, dann muss man nicht mehr oder weniger lustige Räubergeschichten erfinden, nur um doch bitte selbst verlassen zu werden, weil das wirklich vor der Rache der Ex schützt.“ Was für ein erbärmliches Beziehungskonzept! Kein Wunder, dass Alice Schwarzer sich ihn als besonderen Feind ausgeguckt hat!