IW: "Das Verfassungsgericht kommt mit der Komplexität des Themas offenbar nicht zurecht und will die Verantwortung nun auf den EuGH abschieben"
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, den Streit um die EZB-Hilfsaktionen für Euro-Krisenländer vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen, stößt unter Ökonomen und Finanzpolitikern auf Sorge und Ungeduld, berichtet der SPIEGEL in seiner neuen Ausgabe.
"Warum nicht gleich der ganzen Regierungsarbeit ein laufendes Aktenzeichen in Karlsruhe verpassen?", grollt ein Unionsmann. Der Umweg zum EuGH könne die Euro-Rettung auf nicht absehbare Zeit lähmen.
"Stabilität kann nur entstehen, wo Vertrauen besteht", warnt auch Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. "Wo in der Euro-Zone offene Rechtsfragen bestehen, kann sich kein Vertrauen bilden."
"Das Verfassungsgericht kommt mit der Komplexität des Themas offenbar nicht zurecht und will die Verantwortung nun auf den EuGH abschieben", sagte Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Der Ökonom hält das ganze Verfahren in Karlsruhe für falsch. "Die Diskussion darüber, ob die EZB Staatsanleihen kaufen darf, sollten wir nicht vor Gericht führen", so Hüther.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sieht das genauso: "Eine Zentralbank muss geldpolitisch unbegrenzt handeln können. Wird dieses Recht beschränkt, unterhöhlt das ihre Glaubwürdigkeit." Mit seiner Entscheidung schaffe das Verfassungsgericht neue Unsicherheit, weil sich künftig bei vielen geldpolitischen Maßnahmen die Frage stellen könnte, ob sie eine Klagemöglichkeit in Karlsruhe eröffneten.
Wie gefährlich die Kollision von Markt und Recht zumindest für die Märkte ist, sieht auch der Rechtsprofessor Udo di Fabio, der als Verfassungsrichter federführend für das Lissabon-Urteil gewesen ist. Es sei natürlich "schwierig" für den EZB-Chef, mit so einer Situation umzugehen: "Er hat eine Riesenwaffe angekündigt, und jetzt fangen die Gerichte an, über deren Einsatzbedingungen zu diskutieren."
Dagegen lobte die Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD) den Karlsruher Beschluss. "Ich bin äußerst erfreut darüber", sagte AfD-Chef Bernd Lucke. "Endlich ist höchstrichterlich festgestellt, dass das Anleihekauf-Programm der EZB ein klarer Bruch des Europarechts ist." Diese Karlsruher Entscheidung sei eine "wichtige Schützenhilfe für den Wahlkampf".