Irgendwann kommt es zur entscheidenen Frage: Sterben mehr Menschen mit Corona oder an den Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs bzw. den Folgen von Lockdown. Schon jetzt droht Hungersnot in armen Ländern.
von Wolfgang Hübner
Wer Kritik an den einschneidenden, mit der Corona-Gefahr begründeten staatlichen Eingriffen ins gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen äußert, wird ganz schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, es gehe doch um die Rettung menschlichen Lebens.
Allerdings vermag niemand zu sagen, wie viele und ob überhaupt in nennenswerter Zahl menschliche Leben durch „Lockdown“, Masken und Abstandsregeln gerettet wurden.
Einigermaßen sicher scheint nur zu sein, dass durch diese Maßnahmen eine unbestimmbare Zahl von Infektionen verhindert wurde. Da aber nur ein kleiner Teil dieser Infektionen ernste Krankheitsfälle zur Folge hat oder noch viel weniger zum Tod führt, bleibt die Frage, worin sich Corona in der Bilanz von schweren deutschen Grippewellen der Vergangenheit unterscheidet.
Viel weniger spekulativ, nämlich wesentlich genauer feststellbar, sind die wirtschaftlichen Folgen der politischen Entscheidungen.
In Deutschland ist demnach das hierzulande so geheiligte Bruttosozialprodukt im zweiten Halbjahr 2020 um nicht weniger als 10,1 Prozent geschrumpft.
Zur Erinnerung: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise betrug das Minus lediglich 4,7 Prozent.
Aber das alles sind nur Zahlen aus ökonomischen Statistiken. Wichtig an ihnen ist allein, was sie für die wirtschaftliche Leben der Menschen in Deutschland bedeuten: Mehr Arbeitslose, ein Millionenheer von Kurzarbeitern, bereits oder demnächst vernichtete Existenzen von Selbständigen wie abhängig Beschäftigten.
Damit sind unzählige Unsicherheiten, Ängste, Abstürze, Verschuldungen und Tragödien verbunden, über die in den vielgescholtenen sozialen Netzwerken mehr zu erfahren ist als in den konformistischen Medien, wo propagandistisch der Wiederaufschwung beschworen wird.
Diese Schieflage in der öffentlichen Diskussion über die Folgen der staatlichen Maßnahmen gibt es auch in der materiellen und seelischen Betroffenheit: Denn ein nicht geringer Teil der Deutschen hat finanziell bislang keine oder geringe Nachteile erlitten, dagegen hat ein auch nicht geringer Teil hohe, oft auch schon zu hohe Opfer bringen müssen oder noch zu bringen.
Die Gesellschaft ist gespalten, das können auch verharmlosende Politikeräußerungen und ebensolche Medienberichte nicht wegwischen.
Es hat zu dieser Spaltungsproblematik noch keine Rede der Kanzlerin oder des Bundespräsidenten gegeben. Und höchstwahrscheinlich wird es diese Reden auch nie geben. Denn zumindest für die Staatsorgane, aber auch für die wiedergestärkte Staatspartei CDU/CSU hat sich die Viruskrise machtpolitisch gelohnt, zumindest einstweilen.
Diese Profiteure haben bislang wenig zu fürchten vor der Verzweiflung und dem Zorn der Corona-Verlierer, die vollauf mit dem individuellen oder familiären Existenzkampf beschäftigt sind.
Es gibt auch keine Partei oder Organisation, die wirksam und auch glaubwürdig die Interessen der Verlierer wahrnehmen will oder kann. Millionen Menschen, meist im arbeitsfähigen, leistungswilligen Alter, fühlen sich nicht nur alleingelassen – sie sind es auch.
Und dann sind da noch die armen Staaten, die für ihre Bevölkerung keine Schecks ausstellen können. Die Zahl der vom Hungertod bedrohten Menschen könne sich bis Ende des Jahres auf 270 Millionen Menschen verdoppeln, schätzt die Welthungerhilfe. Sie warnte vor diesem Hintergrund davor, einen „Lockdown“ - weitgehende Einschränkungen für das öffentliche Leben und damit auch wirtschaftliche Aktivitäten - als Allheilmittel zu betrachten und Kollateralschäden zu unterschätzen.