Wegen Corona mussten Pleitefirmen bisher nicht ihre Insolvenz anmelden. Ökonomen: "Die Lage verschlimmert sich von Tag zu Tag. Denn die Insolvenzen werden derzeit nur verschoben".
Der Tag der Abrechnung rückt näher:
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat angekündigt, dass zahlungsunfähige Unternehmen trotz der Coronakrise bereits ab Oktober wieder pflichtgemäß Insolvenz anmelden müssen. "Unternehmen, die nach dem Auslaufen der bisherigen Regelung Ende September akut zahlungsunfähig sind, sollen wieder verpflichtet sein, einen Insolvenzantrag zu stellen", sagte Lambrecht der "Rheinischen Post".
Mindestens 800.000 Unternehmen am Ende
Die wegen der Coronakrise ausgesetzte Pflicht zur Insolvenzanmeldung wird nach Ansicht von Experten zu einer gewaltigen Anzahl sogenannter Zombieunternehmen führen.
Angesichts der seit März geltenden Ausnahme schätzt die Auskunftei Creditreform die Zahl der verdeckt überschuldeten Unternehmen auf 550.000, berichtet die "Welt am Sonntag".
Sollte die Anmeldepflicht wie von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) geplant bis Ende März 2021 weiter ausgesetzt werden, dann wird diese Zahl Creditreform zufolge auf 700.000 bis 800.000 Firmen steigen.
Bereits Ende 2019 schätzte Creditreform die Zahl der Zombiefirmen auf 330.000. Ursache ihrer verdeckten Überschuldung ist allerdings meist die Niedrigzinspolitik der EZB.
Die neuen Problemfälle sind aus Sicht von Ökonomen weit gefährlicher für die Wirtschaft. "Die Lage verschlimmert sich von Tag zu Tag. Denn die Insolvenzen werden derzeit nur verschoben", warnt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter Wirtschaftsforschung bei der Auskunftei Creditreform. "Dadurch könnten viele derzeit noch gesunde Firmen mit in den Abgrund gerissen werden."
Das habe am Ende gravierende Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands der Insolvenzverwalter (VID), befürchtet eine "nicht mehr kalkulierbare Kettenreaktion".
Die finanziellen Lasten würden auf andere verschoben, beispielsweise Vermieter, Lieferanten, und Banken. Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, spricht sich für eine Verlängerung der Insolvenzanmeldepflicht bis Ende März 2021 aus.
"Wir wollen Unternehmen, die sich tapfer durch die Corona-Pandemie kämpfen, nicht vorschnell aufgeben", sagte er. Gerade weil sich langsam die Auftragslage bessere und die staatlichen Hilfen wirkten, brauche es einen Rahmen dafür, dass die Jobs in den Firmen gesichert sind.
Die Union befürwortet dagegen nur ein Verlängerung bis Ende 2020. "Wir dürfen den Selbstreinigungsprozess des Marktes nicht ausschalten. Unternehmen, die unabhängig von Corona nicht gesund sind und keine wirtschaftliche Perspektive haben, müssen aus dem Markt ausscheiden", sagte Jan-Marco Luczak, rechtspolitischer Sprecher der Union.
Er fordert von der Justizministerin, schnell den Gesetzesentwurf für die Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens vorzulegen, auf die sich der Koalitionsausschuss geeinigt hat. Unternehmen sollen sich dann ohne Insolvenzverfahren sanieren und mit der Mehrheit der Gläubiger Schuldenmoratorien beschließen können.