In Bezug auf die US-Wahl lagen Prognosen wieder dramatisch daneben. Das hatte auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Eine wochenlange Hängepartie wie im Jahr 2000 bei der Wahl zwischen Al Gore gegen George Bush steht an.
von Sascha Opel
Als ob das Jahr 2020 mit dem schnellsten (und innerhalb der kurzen Zeitspanne im März auch noch heftigsten) Börsencrash aller Zeiten, mit der Corona-Pandemie, den größten Gelddruckmaßnahmen der Geschichte und dem schleichenden Entzug der Freiheitsrechte nicht schon genug zu bieten hatte, so setzt die US- Präsidentschaftswahl noch ein weiteres Puzzleteilchen in dieses historische Jahr.
Wir ahnten es bereits am Dienstag, als wir schrieben, dass die Wahlnacht in den USA spannend wie nie werden könnte. Wir haben den Prognosen der Demoskopen, die Biden bis zu 10% vorne sahen, nicht recht getraut.
Denn: Von 11 Amerikanern, die wir persönlich kennen und die wir vor der Wahl befragten, hatten 9 sich klar für Trump ausgesprochen (als Hauptgrund wurden natürlich Steuern und Wirtschaft genannt, also der eigene Geldbeutel) und nur zwei für Biden.
Nun ist jedoch das eingetreten, was denkbar ungünstig scheint. Es könnte sich bis zu einem klaren Ergebnis noch länger hinziehen, auch weil Trump bei einem sehr Hängepartie wie im Jahr 2000? knappen Biden-Sieg bis zum Supreme Court gehen dürfte.
Damit wäre eine wochenlange Hängepartie wie im Jahr 2000 bei der Wahl zwischen Al Gore gegen George Bush möglich, als das Ergebnis in Florida angezweifelt wurde.
Zur Erinnerung: Die Stimmauszählung in Florida, einem der besonders umkämpften, großen Swing States, dauerte damals mehr als einen Monat. Am Ende lag Bush hauchdünn vor seinem demokratischen Konkurrenten Gore.
Auch nach richterlich angeordneten Nachzählungen in einigen Wahlkreisen und der höchstrichterlichen Überprüfung durch den Supreme Court blieb der Wahlausgang umstritten. Als der damalig mehrheitlich republikanisch besetzte Supreme Court letztinstanzlich eine erneute Nachzählung in bestimmten Wahlkreisen Floridas verbot, war der Wahlsieg des republikanischen Kandidaten George W. Bush offiziell.
Er hatte die Präsidentschaftswahl mit einer bis heute umstrittenen Differenz von nur 537 Stimmen in Florida gewonnen. Von den entscheidenden insgesamt 538 Wahlmännerstimmen konnte George W. Bush mit 271 Stimmen die Mehrheit für sich gewinnen (eine Stimme mehr als die notwendigen 270).
Ob sich so ein Szenario wiederholt ist offen. Aber es würde in der Dramaturgie ziemlich gut zu diesem irren Jahr passen. Für uns als Anleger bringt die Hängepartie ein Timing-Problem.
Börsen
Tauchen die Märkte nochmals ab? Hatte man schon Biden eingepreist? Was passiert, wenn Trump doch noch gewinnt? Ein Blick auf die Reaktion der Aktienmärkte, als Trump gestern schon als Gewinner gehandelt wurde, ist nur wenig hilfreich.
Klar, der Anstieg der Tech-Aktien, die in den Tagen zuvor schwach waren und einen Biden-Sieg eingepreist hatten, war absehbar. Diese dürften aber auch bei einem Biden-Sieg nicht wirklich um ihre Existenz fürchten. Viele befürchteten eine Zerschlagung der Tech-Riesen in ihre Einzelteile, sollte Biden siegen.
Doch selbst wenn sich Biden die Big Techs vorknüpfen sollte: Eine Alphabet in seine Einzelteile wie Google oder Youtube zu zerschlagen, würde wahrscheinlich sogar noch einen Mehrwert für Aktionäre heben.
Ähnlich bei Facebook, wenn man es in Instagram, WhatsApp und Facebook aufteilen würde. Insofern dürfte die Schwäche der Techs vor der Wahl ebenso übertrieben gewesen sein, wie der gestrige Freudensprung (facebook +8,3%, Alphabet +6%, Amazon +6,3%) über einen möglichen Trump-Sieg.
Sah es bis Mittag noch nach einem klaren Trump-Sieg in wichtigen Swing States aus, holte Biden im Laufe des Nachmittags plötzlich überall dort auf (insbesondere in Michigan), wo Trump scheinbar uneinholbar in Führung lag.
US-Anleihemarkt auf dem falschen Fuß erwischt
Interessanter als die Reaktion des „dummen Aktienmarktes“ war da schon die Reaktion des üblicherweise „schlaueren“ Anleihemarktes. Dieser wurde anscheinend auf dem falschen Fuß erwischt und reagierte auf die überraschende Trump-Führung mit einem heftigen Einbruch der US-Renditen um 114 Basispunkte.
Die 10-jährige US-Rendite fiel von 0,882% auf 0,768%. Das Kapital floss also massiv in US-Staatsanleihen. Man sieht am Anstieg der Rendite vor der Wahl, dass der Anleihenmarkt den Demoskopen vertraute und einen klaren Biden-Sieg mit weiteren Extrem-Ausgabenprogrammen (Umbau der US-Wirtschaft nach Vorbild des EU-“Green Deal“) vorweggenommen hatte.
Insofern war der „schlaue“ Anleihemarkt gestern ebenfalls der Dumme. Ob man nach dem dritten Vorhersagedebakel der Wahlforscher (die weder Trumps erste Wahl, noch den Brexit, noch den gestrigen Krimi vorhersagen konnten) noch viel auf deren Prognosesicherheit geben kann, bleibt eine der unbeantworteten Fragen dieser Tage.
Dabei hatten diese nach der Trump-Wahl 2016 doch hoch und heilig versprochen, dass man künftig „verbesserte“ Analysemethoden in den Umfragen anwenden würden. Auch am Devisenmarkt richtete die überraschende Trump-Führung gestern hohe Vola aus. Der Kapitalfluss in US-Staatsanleihen ließ den USD erstarken, was sich heute (mit einem wahrscheinlichen Biden-Sieg) wieder umkehrt.